Hintergrund

Debatte um neuen IGeL-Monitor entfacht

Mit dem neuen IGeL-Monitor wollen die Kassen die Versicherten über Nutzen und Schaden von Selbstzahlerleistungen informieren - und sie so vor einer möglichen Abzocke in Praxen bewahren. Doch unumstritten ist das Angebot nicht. Die Augenärzte sehen im Monitor eher eine Gesundheitsgefährdung.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Tonometrie ist laut dem neuen IGeL-Monitor eine "tendenziell negative" individuelle Gesundheitsleistung.

Tonometrie ist laut dem neuen IGeL-Monitor eine "tendenziell negative" individuelle Gesundheitsleistung.

© BVA

Von einem großen Medienecho begleitet, haben der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDS) und der GKV-Spitzenverband in der vergangenen Woche die neue Online-Plattform IGeL-Monitor vorgestellt. Dort sollen GKV-Versicherte nachschauen können, welche Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) seriös und welche eher im Bereich der Beutelschneiderei zu verorten sind.

Wie zu erwarten war, hat dies den Berufsverband der Augenärzte (BVA) auf den Plan gerufen. Grund: Die Messung des Augeninnendrucks zur Glaukomfrüherkennung wird dort als "tendenziell negativ" kategorisiert.

In einer Übersichtstabelle auf IGeL-Monitor heißt es dazu lapidar, es lägen keine Hinweise auf einen Nutzen der Tonometrie vor: "Nutzen des Tests aufgrund unzureichender Datenlage nicht abschätzbar/diagnostische Aussagekraft der Messung eingeschränkt."

BVA-Vorsitzender Professor Bernd Bertram sieht in dieser Klassifizierung eine verzerrte Wertung des Glaukomscreenings als IGeL. In einer Stellungnahme, die der "Ärzte Zeitung" vorliegt, wehrt er sich.

Auf IGeL-Monitor werde "nicht das Glaukomscreening, das jeder Augenarzt anbietet und das aus der Kombination von Pupillenbeurteilung und Tonometrie besteht, besprochen, sondern die isolierte Tonometrie", schreibt er. "Diese wird von keinem Augenarzt in Deutschland angeboten und wird von uns als Kunstfehler bezeichnet, denn damit würde ein Grüner Star bei etwa jedem zweiten Glaukompatienten übersehen."

Glaukomscreening nur mit begleitender Puppillenbeurteilung aussagekräftig

Wie der in Senden niedergelassene Ophthalmologe Dr. Georg Eckert, der zugleich als Pressesprecher des BVA fungiert, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" konkretisiert, berge eine alleinige Augeninnendruckmessung ein hohes Risiko: "Ohne begleitende Pupillenbeurteilung ist die Untersuchung nicht aussagekräftig."

Daher sehe der BVA das auf IGeL-Monitor veröffentlichte Urteil des Glaukomscreenings, das in den Augen des BVA nicht wirklich einer Früherkennung des Grünen Stars entspricht, auch als gefährliche Steilvorlage für Augenoptiker sowie Betriebs- und Werksärzte. "Beide Berufsgruppen können zwar die Tonometrie durchführen, der Wert alleine sagt aber nichts aus", wiederholt Eckert.

Im Umkehrschluss gefährde die Meinung des GKV-Portals potenzielle Glaukompatienten, da sie mit den einfachen Tests in falscher Sicherheit gewogen würden. "Immerhin beläuft sich der Anteil der Glaukompatienten in unseren Praxen auf zehn Prozent", schiebt er zur Verdeutlichung des Bedrohungspotenzials nach.

Nicht zuletzt aufgrund der negativen Beurteilung des Glaukomscreenings durch IGeL-Monitor, aber auch der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, entstehe das Risiko, dass in Deutschland Menschen unnötig blind werden, nur weil sie die Vorsorge nicht wahrgenommen haben.

Bewertung in fünf Kategorien

Stein des Anstoßes ist die Bewertungssystematik des IGeL-Monitors. Diese basiert nach Angaben des Medizinischen Dienstes auf den Methoden der Evidenzbasierten Medizin (EbM).

Für die Bewertung von Nutzen und Schaden eines IGeL-Angebots recherchiere das aus Medizinern und anderen EbM-Experten bestehende Team beim MDS somit in medizinischen Datenbanken, trage die Informationen nach einer definierten Vorgehensweise zusammen und werte sie systematisch aus.

Um Versicherte bei der Entscheidungsfindung für oder gegen eine Selbstzahlerleistung in der Praxis zu unterstützen, wäge das IGeL-Team Nutzen und Schaden gegeneinander ab und fasse das Ergebnis in einem Gesamtfazit zusammen.

"Wir bewerten die einzelnen IGeL nach einem festgelegten Schema in fünf Kategorien: von ‚positiv‘, ‚tendenziell positiv‘ und ‚unklar‘ bis zu ‚tendenziell negativ‘ und ‚negativ‘. Dabei war uns wichtig, dass für jedermann nachvollziehbar ist, wie wir zu unserer Nutzen-Schaden-Bilanz kommen", so die MDS-Projektleiterin Dr. Monika Lelgemann.

Bisher sind 24 Selbstzahlerangebote im IGeL-Monitor veröffentlicht, darunter solche, die häufig angeboten werden, wie die Glaukomfrüherkennung oder die Akupunktur zur Spannungskopfschmerz-Prophylaxe.

In sieben Fällen kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die Leistung als "tendenziell negativ" zu bewerten ist. Bei vier Bewertungen wog der Schaden angeblich sogar deutlich schwerer als der Nutzen - als Fazit bedeutete dies "negativ".

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 30.01.201219:16 Uhr

Eingefleischte Vegetarier?

IGeL- und Selbstzahlerleistungen sind dem Spitzenverband der GKV-Kassen und seinem Medizinischen Dienst verständlicherweise ein Dorn im Auge. Denn diese weisen unmissverständlich darauf hin, dass entgegen den unverbindlichen und vagen Auskünften der Kassen-Hotlines: "Selbstverständlich m u s s Ihr Arzt a l l e s medizinisch Notwendige verordnen", in der GKV k e i n Anspruch auf optimale, umfassende und bestmögliche ärztliche Betreuung und Versorgung besteht.

Im IGeL-Monitor heißt es: "...IGeL...(sind)...medizinische Maßnahmen..., die nicht zeigen..., dass sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten". Aber indem der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA restriktiv über Art und Umfang der aktuellen GKV-Leistungspflicht mit Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V entscheidet ("Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen"), liegt der entscheidende Sprengstoff. A l l e Leistungen j e n s e i t s des Wirtschaftlichkeitsgebotes mit Wunsch-, Zusatz- und Luxusleistungen können gerade k e i n e GKV-Leistungsinhalte sein. Dazu gehört z. B., dass der G-BA entgegen positiver Datenlage die Verordnungsfähigkeit von Blutglucose- Teststreifen bei Typ-2-Diabetikern massiv zu Lasten von Patienten und Ärzten eingeschränkt hatte.

Wenn aber der GKV-Kassenverband Lichttherapie bei saisonaler Depression und Akupunktur zur Migräneprophylaxe in seinem IGeL-Monitor als "tendenziell positiv" einschätzt, müssten diese beiden Therapien nicht längst Kassenleistungen sein? Auf die unzulässige Negativbeurteilung der isolierten Tonometrie zur Glaukomfrüherkennung und die konträren Expertenmeinungen geht der obige ÄZ-Artikel ausführlich ein.

Besonders perfide ist die kassenseitige Einschätzung zur sonografischen Ovarialkarzinomprophylaxe. Wohlwissend, dass diese "fünfthäufigste Krebstodesursache bei Frauen" durch "ein jährliches Abtasten ab dem 20. Lebensjahr" als GKV-Pflichtleistung überhaupt nicht rechtzeitig detektiert werden kann, wird auch noch der Unsinn verbreitet "mit Ultraschalluntersuchung sterben gleich viele Frauen an Eierstockkrebs wie ohne Untersuchung". Als ob irgendeine Diagnostik und n i c h t die bisher hilflosen bis vergeblichen Therapiemöglichkeiten die extrem hohe Ovarialkarzinommortalität wesentlicher beeinflussen würden? Doch damit nicht genug, den Patientinnen wird auch noch Angst gemacht! "Frauen (werden) durch Fehlalarme häufig unnötig beunruhigt und sogar eigentlich gesunde Eierstöcke entfernt" ist, mit Verlaub pure Demagogie angesichts einer in der Regel tödlich verlaufenden Tumorerkrankung.

Stichwort "Kunsttherapie" bei Krebs und psychischen Erkrankungen: Wie können denn derartige IGeL-Leistungen im GKV-Monitor als "unklar" bewertet werden, wenn andererseits Kunst- und übrigens auch die Musiktherapie in fast jedem Fachkrankenhaus, in REHA- und AHB-Kliniken integraler Bestandteil interdisziplinärer Behandlungskonzepte bei diesen Morbiditäten sind?

Stichwort HbA1c-Bestimmung als Prädiktor für die Manifestation eines Diabetes mellitus: "Zur Diabetes-Vorsorge wird im ''Check-up'', den die gesetzlichen Krankenkassen ab dem 36. Lebensjahr bezahlen, der Zuckergehalt direkt im Blut und im Urin bestimmt" sagt der IGeL-Monitor. Jedem, der medizinisch auch nur halbwegs bei Verstand ist, muss klar sein, dass es sich bei der GKV-Leistung nur um eine Stoffwechsel-Momentaufnahme handelt; dass Glucose im Urin erst ab einer Harnschwelle von ca. 180 mg% Blutglucose nachweisbar ist; und dass der HbA1c die Berechnung des durchschnittlichen Glucosespiegels der letzten 60 Tage ermöglicht. Nicht zuletzt deshalb haben US-amerikanische und auch europäische Fachgesellschaften ein generelles HbA1c-Screening empfohlen.

Die Liste der Fehleinschätzungen im IGeL-Monitor des Spitzenverbandes der GKV-Kassen ließe sich noch fortsetz

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