Schlaganfall-Netzwerk

Der Norden zeigt, wie's geht

Die Deutsche Schlaganfall Gesellschaft setzt auf neurovaskuläre Netzwerke, um bei einem Schlaganfall für schnelle Hilfe zu sorgen. In Schleswig-Holstein funktioniert das schon.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:

KIEL. Eine dauerhafte Behinderung oder Pflegebedürftigkeit gehören zu den Schreckensszenarien, die Menschen gerne verdrängen. Wenn es dazu kommt, ist kein Krankheitsbild so oft dafür verantwortlich wie der Schlaganfall.

Alle drei Minuten tritt in Deutschland ein Schlaganfall auf, er ist die häufigste neurologische Akut-Erkrankung. Und es sind immer häufiger auch jüngere, mitten im Berufs- und Familienleben stehende Menschen betroffen.

Umso wichtiger sind Prävention und Akutbehandlung. Dabei gibt es jedoch nach wie vor Verzögerungen. Bis die richtige Entscheidung über Lysetherapie, Katheterbehandlung oder Operation und den dafür passenden Behandlungsort getroffen ist, können schon schwerwiegende Langzeitfolgen für die Betroffenen eingetreten sein.

Um solche Folgen zu vermeiden, hat sich im Norden das Schlaganfallnetzwerk Schleswig-Holstein gegründet. Vier neurologische Kliniken in Kiel, Neumünster, Rendsburg und Schleswig - alle verfügen über eine nach den Kriterien der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) zertifizierte Stroke Unit - arbeiten bislang in dem Netzwerk, das von der Kieler Uni-Neurologie koordiniert wird und ein Einzugsgebiet von rund 750 000 Menschen hat.

Ziel dieser Zusammenarbeit ist es, dass jeder Patient die passende Behandlung so schnell wie möglich erhält.

Pilotprojekte in 16 Regionen

Damit setzen die Nordlichter das von der Deutschen Schlaganfall Gesellschaft entwickelte Konzept der neurovaskulären Netzwerke um. In insgesamt 16 Regionen wird bundesweit an Piloten für solche Konzepte gearbeitet, um die interdisziplinäre Zusammenarbeit ortsübergreifend unter den Stichworten einheitlich, verlässlich und qualitätsgesichert zu verbessern.

Der Norden war dabei vergleichsweise früh am Start. Die DSG hält diese Netze für den "nächsten Schritt in der Entwicklung der Schlaganfallversorgung in Deutschland", wie DSG-Past-Präsident Professor Joachim Röther sagte.

Warum selbst unter den zertifizierten Zentren noch Abstufungen bestehen und manche Patienten in Kiel eine für sie geeignetere Behandlung erhalten können als an anderen Standorten, erläuterte Netz-Initiator Professor Günther Deuschl aus Kiel der "Ärzte Zeitung" an einem Beispiel: "Die notwendige Routine für eine Thrombektomie haben in ganz Schleswig-Holstein vielleicht 15 Mediziner. Davon arbeiten allein fünf bei uns im Universitätsklinikum am Kieler Standort."

Mit anderen Worten: Nicht jeder Standort des Netzwerkes kann die notwendigen personellen und infrastrukturellen Voraussetzungen vorhalten.

Klar definierte Regeln

Ob ein solcher Eingriff erforderlich ist, entscheiden die beteiligten Netzwerkkollegen nach klar definierten Regeln. Andere Behandlungen dagegen werden vor Ort in den Stroke Units der beteiligten Kliniken vorgenommen.

"Es geht nicht darum, alle Patienten an eine bestimmte Klinik zu bringen. Wohl aber darum, so schnell wie möglich an den jeweils passenden Behandlungsort", sagt Deuschl. Bei rund 2800 Schlaganfallpatienten, die die vier Zentren im Jahr behandeln, könnte auch keines von ihnen alle Fälle allein übernehmen. Kiel als größtes Zentrum behandelt jährlich rund 1150 Patienten.

Um so abgestimmt wie im Norden zusammenarbeiten zu können, ist Vertrauen zwischen den Beteiligten in den Zentren erforderlich. Offiziell gegründet wurde das Netzwerk im November 2014, vorausgegangen waren aber zehn Jahre, in denen sich die Beteiligten immer besser kennenlernten und das Vertrauen langsam wachsen konnte.

 Deuschl hofft, dass in den kommenden drei Jahren auch die Zusammenarbeit mit den übrigen zertifizierten Stroke Units zwischen Nord- und Ostsee so intensiviert werden kann, dass das Netzwerk noch deutlich wachsen wird. Wobei für den Präsidenten der Europäischen Neurologenvereinigung primär wichtig ist, dass Schlaganfallpatienten überhaupt in die zertifizierten Zentren gelangen.

"Das Qualitätsdelta zwischen den nicht zertifizierten und den zertifizierten Einrichtungen ist viel größer als zwischen den zertifizierten und den Kliniken des Netzwerkes", sagt Deuschl. Die Ärzte in den Kliniken stünden vor der Herausforderung "zu erkennen, wo die eigenen Grenzen der Klinik erreicht sind" und wo andere den Patienten besser helfen könnten.

Im Netzwerk, so die Einschätzung des Kieler Oberarztes und Leiter des koordinierenden Zentrums Privatdozent Dr. Andreas Binder, haben die beteiligten Ärzte diese Herausforderung angenommen. Nicht nur diese: "Alle arbeiten nach den gleichen Regeln." Jeder Arzt im Netzwerk ist bereit, nach Leitlinien zu arbeiten und an Studien teilzunehmen.

Derzeit arbeitet man an SPACE2, ARISE und RASUNOA mit, vier weitere Studien sind geplant. "Wir kommen als Netzwerk auf höhere Fallzahlen und können daher stärker zu Studien beitragen als Einzeleinrichtungen", sagt Binder.

Weitere Themenfelder, auf denen das Netzwerk Fortschritte erreichen will, sind:

  • Die Schnittstellen zwischen den Kliniken und dem Reha- sowie dem ambulanten Bereich sollen so gestaltet werden, dass weniger Brüche entstehen.
  • Die Fortbildung der Teilnehmer soll mit gemeinsamen Veranstaltungen intensiviert werden.
  • Die Kontakte zur Selbsthilfe sollen ausgebaut werden. Ein kürzlich von Betroffenen und Angehörigen gegründeter Schlaganfallring Schleswig-Holstein ist dabei ein wichtiger Ansprechpartner.
  • Die Öffentlichkeitsarbeit soll zu einer besseren Prävention beitragen.

Viele Fortschritte

Die Bemühungen sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es schon viele Fortschritte gegeben hat. Die fachübergreifende interdisziplinäre Versorgung hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Die Einrichtung von Stroke Units, bessere Diagnostik, innovative Medikamente und Öffentlichkeitsarbeit haben ihren Beitrag zu den Verbesserungen geleistet.

Das heißt für Deuschl nicht, dass man sich auf den Erfolgen ausruhen sollte. Er verweist auf jährlich etwa 265.000 Schlaganfall-Patienten. "Wir haben die Pflicht, die Behandlung so zu organisieren, dass die Patienten sicher sein können, die für ihr Krankheitsbild passende Behandlung und den dafür ausgebildeten Arzt zu bekommen".

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