Mythos „Künstliche Intelligenz“
Die natürliche Angst vor dem Algorithmus
Was im 19. Jahrhundert die Dampfmaschine war, das ist im 21. Jahrhundert die „Künstliche Intelligenz“. Medizinforscher setzen große Hoffnung in sie, Ärzte fühlen sich häufig von ihr bedroht. Die Angst vor neuen Techniken ist so alt wie die Menschheit – und für Ärzte kein Relikt aus dem Geschichtsunterricht. Sie müssen den Wandel mitgehen, ob sie wollen oder nicht.
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Ohne die „emotionale Intelligenz“ wird KI in der Medizin auch auf lange Sicht nicht funktionieren.
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Die großen Erfindungen der Menschheit fordern seit jeher die Gesellschaft heraus. Plötzlich sieht sie sich mit neuen Entwicklungen konfrontiert, die zunächst nicht einschätzbar sind und ihr neue Möglichkeiten bietet.
So etwa mit der Erfindung der Dampfmaschine, die im Verkehrswesen plötzlich größere Distanzen in schnellerem Tempo zuließ, oder Landwirten die Arbeit erleichterte. Die Veränderungen, die das 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung mit sich brachte, konfrontierte die Menschen seinerzeit mit der existenziellen Angst, von Maschinen ersetzt werden zu können. Dem war nicht so, wie wir heute wissen.
Heute streift dennoch ein neues Schreckgespenst durch die Gesellschaft, das nicht nur unter Ärzten mitunter ähnliche Ängste weckt: die „Künstliche Intelligenz“. Das wurde während einer Unterhausdebatte am Forschungszentrum Jülich zum Thema „Künstliche Intelligenz“ deutlich, bei der Journalisten, Wissenschaftler und Besucher über ihr KI-Verständnis diskutieren.
Am Anfang war das Wort
Als der amerikanische Informatiker John McCarthy 1956 seinen Projektantrag für eine große Konferenz im Dartmouth College in den USA formulierte, konnte er vermutlich nicht ahnen, welchen Stein er ins Rollen brachte. McCarthy wird nachgesagt seinerzeit den Begriff „artifical intelligence“ – „Künstliche Intelligenz“ (KI) – erfunden zu haben, als er ihn als markige Überschrift für den Antrag wählte.
Heute wird der Begriff im gesellschaftlichen Allgemeinverständnis häufig vor allem mit Robotern in Verbindung gebracht, die den Menschen ersetzen können. Doch was steckt hinter dem Begriff? In der Psychologie wird Intelligenz zunächst als die Fähigkeit des Menschen verstanden, abstrakt und vernünftig zu denken und auf Erfahrungen basierende Entscheidungen zu treffen.
Es liegt in der Natur der Wortgebung, dass die Annahme besteht, „Künstliche Intelligenz“ könnte ebenso vernünftig funktionieren und damit in Konkurrenz zum Menschen stehen. Per Definition, wie sie zum Beispiel im Lexikon der Neurowissenschaften zu finden ist, ist KI zunächst nur „ein Teilgebiet der Informatik, welches sich mit der Erforschung von Mechanismen des intelligenten menschlichen Verhaltens befasst.
Dieses geschieht durch Simulation mit Hilfe künstlicher Artefakte, gewöhnlich mit Computerprogrammen auf einer Rechenmaschine.“ Bricht man diese Definition herunter, zeigt sich, was tatsächlich dahinter steckt: die künstliche, maschinelle Generierung von datenbasiertem Wissen. Algorithmen erlernen – basierend auf riesigen Datensätzen –, Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Dieses antrainierte Wissen können sie dann reproduzieren, wenn sie mit einem neuen Datensatz konfrontiert werden.
Ein gutes Beispiel ist der Einsatz künstlicher Intelligenz für die radiologische Diagnostik. In Zeiten von „Big Data“ und „Digitalisierung“ liegen zahlreiche Datensätze aus der Bildgebung vor, sodass Wissenschaftler Algorithmen entwickeln konnten, die Veränderungen in Knochen oder Gewebe systematisch erkennen können. Der Vorteil: Algorithmen arbeiten bei hoher Zuverlässigkeit deutlich schneller als erfahrene Ärzte und erhöhen damit die Qualität der medizinischen Diagnostik.
Arzt muss seine Fähigkeiten behaupten
Dem technischen Vorteil Künstlicher Intelligenz, – also das schnelle, prozesshafte und nahezu fehlerfreie Arbeiten –, können Ärzte also offenbar nicht Einhalt gebieten. „Eine intelligente Maschine kann eine Krankheit diagnostizieren und sogar eine bessere Behandlung empfehlen, als ein Arzt“, war 2017 im Harvard Business Review zu lesen.
Auch Professor Simon Eickhoff, Direktor des Instituts Brain and Behaviour am Forschungszentrum in Jülich ist sicher, dass sich die Rolle des Arztes in den nächsten Jahren und Jahrzehnten „massiv verändern“ wird, „wie sie es auch in der Vergangenheit schon gemacht hat: „Die KI wird dem Arzt helfen, keine Konstellationen zu übersehen und den Blick auf wichtige Aspekte lenken“, glaubt der Neurowissenschaftler.
Trotzdem ist das Ende des Arztberufes nicht gekommen, ganz im Gegenteil: Ärzte können mit einer Fähigkeit aufwarten, die KI immer versagt bleiben wird: emotionale Intelligenz. Denn weiter heißt es im Harvard Business Review unter dem Titel „Der Fortschritt von KI macht die emotionale Intelligenz wichtiger“ : „Es braucht einen Menschen, der bei seinem Patienten sitzt, seine Lebenssituation versteht und schlussendlich bestimmt, welcher Behandlungsplan der Optimale ist.“
Entsprechend bedarf es in der Debatte um den Einzug KI in den medizinischen Alltag, mehr Rationalität, findet Eickhoff: „Meiner Meinung nach wird in der mittelbaren Zukunft KI für Ärzte kaum anders daher kommen als Laborbefunde: Wichtige Informationen, die aus der klinischen Untersuchung nicht gewonnen werden können, sondern diese zu einem umfassenderen Bild ergänzen.“