Kapitalanlage
Digitale Sprechstunden als Renditebringer
Experten erwarten deutliches Wachstum und Kursgewinne bei Medizintechnik- und Softwareunternehmen, die neue Trends wie Video-Konsultationen und elektronische Patientenakten unterstützen.
Veröffentlicht:Neu-Isenburg. Seit Beginn der Corona-Pandemie bieten immer mehr Allgemein- und Fachmediziner Online-Sprechstunden an, um jene Patienten zu erreichen, die sich aus Sorge vor einer Infektion nicht in die Praxen trauen. „Die digitale Sprechstunde ist ein großes Zukunftsthema“, sagt Michael Thaler, Vorstand der Top Vermögen in München.
Vom Boom in der Telemedizin könnten auch Anleger profitieren. Wie massiv die Pandemie die Online-Sprechstunden vorangebracht hat, zeigen Daten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi).
Danach haben deutsche Ärzte im zweiten und dritten Quartal 2019 nicht einmal 5000 Video-Sprechstunden abgehalten. Im Vergleichszeitraum 2020 – inmitten und nach der ersten SARS-CoV-2-Welle – waren es hingegen rund 1,7 Millionen.
RPM-Lösungen für zuhause
Zudem setzen immer mehr Allgemeinmediziner auf digitales Remote Patient Monitoring (RPM), um COVID-19-Erkrankte daheim zu betreuen. Die Patienten erhalten ein Pulsoximeter samt passender App für ihr Smartphone.
Damit übertragen sie regelmäßig Sauerstoffsättigung, Puls- und Atemfrequenz per Internet in die Praxis. Verschlechtern sich die Vitalwerte, setzt sich der behandelnde Arzt online sofort mit dem Erkrankten in Verbindung, um die nötigen Maßnahmen abzustimmen.
Solche RPM-Lösungen würden „Praxen bei der Betreuung von Infektpatienten zeitlich entlasten“, sagt Zi-Vorstandsvorsitzender Dr. Dominik von Stillfried. „Zur Minimierung von Ansteckungsrisiken können die Patienten in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung versorgt werden.“
Die Digitalisierung im Gesundheitssystem werde „weiter voranschreiten“, sagt Thaler. Berufstätige Patienten würden es schätzen, zur Nachkontrolle nicht in die Praxis kommen zu müssen, sondern per Internet ihren behandelnden Mediziner zu konsultieren. Nach einer jüngst erfolgten Umfrage der Techniker Krankenkasse Rheinland-Pfalz würden dort 60 Prozent der Versicherten ärztliche Online-Sprechstunden in Anspruch nehmen.
Trend treibt Aktienkurse
Dieser Trend treibt die Aktienkurse von Unternehmen, die die erforderliche Technik stellen. Das Papier des Koblenzer Medizin-Softwareunternehmens CompuGroup Medical ist in den vergangenen zwölf Monaten um mehr als 30 Prozent gestiegen.
Die Aktie des US-Konzerns Cerner, fokussiert auf Informationstechnologie im Gesundheitswesen, hat im selben Zeitraum rund 17 Prozent gewonnen. Sogar mehr als 150 Prozent im Plus ist das Papier von Secunet Security Networks. Das Essener Unternehmen ist Spezialist für Hochsicherheitslösungen im IT-Bereich.
„Internet-Sicherheitsdienstleister werden stark an der Digitalisierung des Gesundheitssystems partizipieren“, sagt Thaler. Mit der wachsenden Videotelefonie zwischen Ärzten und Patienten und der seit Januar in 200 Praxen getesteten digitalen Krankenakte werde der Schutz der sensiblen Daten immer wichtiger.
Die voranschreitende Digitalisierung werde zugleich dazu führen, dass Medizintechnikunternehmen wie Drägerwerk, Philips und Siemens Healthineers künftig stärker mit Softwareschmieden zusammenzuarbeiten. Es genüge nicht mehr, nur hochmoderne diagnostische und therapeutische Geräte zu produzieren, sagt Thaler. „Die Unternehmen werden deren Nutzen durch geeignete Software ständig erweitern.“ Das dürfte Umsatz und Gewinn sowie die Aktienkurse der Unternehmen steigen lassen.
Schub durch Regulierung
Ein Beispiel für den Trend ist die im vergangenen Oktober vereinbarte strategische Partnerschaft zwischen Carl Zeiss Meditec und Microsoft. Durch die Kooperation mit dem US-Softwaregiganten kann das börsennotierte Medizintechnik-Unternehmen aus Jena die von ihm gelieferten Geräte sicher über das Internet warten und Facharztpraxen sowie Kliniken verbesserte Arbeitsabläufe und erweiterte Behandlungsmöglichkeiten bieten. Dies werde „die Lebensqualität der Patienten und die Arbeit der Ärzte verbessern“, sagt Zeiss-Vorstandschef Karl Lamprecht.
Zusätzlichen Schub könnten die Aktien von Medizintechnik- und -softwareunternehmen erhalten, weil die US-Regierung die Technologie- giganten Amazon, Facebook und die Google-Mutter Alphabet wegen deren Monopolstellung stark regulieren will. „Den Unternehmen und ihren Aktionären stehen bewegte Zeiten bevor“, sagt Heiko Löschen, Stratege bei Vermögensverwaltung GSP Asset Management in Münster. „Mehr Regulierung bedeutet Gefahren für die Unternehmenspolitik.“ Profiinvestoren könnten sich deshalb neue Investmentchancen suchen – auch im boomenden Gesundheitssektor.