Medizinethik
Digitale Triage-Gerichte?
Die von einem Juristen vorgeschlagene Einrichtung digitaler Spruchkammern, um Ärzte bei Triage-Entscheidungen zu entlasten und vor möglichen späteren Prozessen zu schützen, stößt bei Medizinern auf wenig Gegenliebe.
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Urteilsfindung statt im Gerichtssaal per Video? Ein Jurist hat digitale Spruchkammern vorgeschlagen, die bei Triage-Entscheidungen angerufen werden sollen.
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Berlin. Eine Art Triage-Gericht im Stand-by-Modus bringt Timo Schwarzwälder, Professor für Zivilrecht an der Hochschule Niederrhein, in der Fachzeitschrift „Legal Tribune Online“ ins Spiel. Eine solche Spruchkammer, die etwa per Videokonferenz zugeschaltet wird, könnte „z.B. mit dem Vorsitzenden des für Arzthaftungsfragen zuständigen Senats des jeweiligen Oberlandesgerichts und zwei fachlich qualifizierten Ärztinnen und Ärzten“ besetzt sein. „Diese müssten dann in Krisenzeiten für ihren Bezirk in eine Art Bereitschaftsdienst eintreten und auf Abruf sofort verfügbar sein“.
Ärzte nur bei Rechtsbeugung haftbar?
Weiter heißt es in dem Artikel: „Ärzte, die eine das Leben beeinflussende Priorisierungsentscheidung zu treffen haben, müssten das Verfahren ad hoc an einem PC einleiten. Die Spruchkammer würde dann sofort digital zusammentreten, sich die Situation von dem anrufenden ärztlichen Dienst vorstellen lassen und, ggf. nach der Beantwortung von Rückfragen, über dessen Vorschläge und das Dilemma entscheiden.“ Um eine freie und unabhängige Entscheidung zu sichern, wäre es möglich, die Mitglieder der Spruchkammern dem Richterspruchprivileg zu unterwerfen, so dass sie nur bei Rechtsbeugung haftbar wären.
Nach der Idee Schwarzwälders sollen die Triage-Gerichte den Ärzten rechtlich die Entscheidung abnehmen und sie damit auch vor belastenden späteren Prozessen schützen. Selbstverständlich sei die Behandlungsbedürftigkeit von Patienten eine medizinische Entscheidung, so Schwarzwälder. „In den hier diskutierten Fällen geht es aber nicht nur um medizinische Expertise, sondern auch um ethische und rechtliche Fragen“. Ärzte seien für ethische Fragen nicht besser qualifiziert „und haben auch keine höhere Fachkompetenz als wir alle“. „Dennoch sollen sie entscheiden und sich später hierfür bei unsicherer Rechtsgrundlage, ggf. sogar strafrechtlich, rechtfertigen.“
Äußerst zurückhaltend bewertet Professor Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, den Vorschlag des Juristen. Für ihn sei es eine abstruse Vorstellung, Medizin mit digitalen Gerichten zu machen. Zudem hätten auch Juristen an den klinisch-ethischen Empfehlungen für eine Triage mitgearbeitet, die nun von den acht Fachgesellschaften noch einmal aktualisiert wurden.
Plädoyer für offene Diskussion
Eine offene Diskussion über das Vorgehen in Triage-Situationen sei notwendig, dafür könne das Ethikpapier der Fachgesellschaften als Arbeitsgrundlage genommen werden, meint Janssens. Mediziner würden bei einer Triage nicht aus dem Bauch heraus entscheiden und auch niemanden diskriminieren, wie jüngst unterstellt worden sei. Im Falle einer aktuell noch weit entfernt liegenden Triage-Situation stehe die Erfolgswahrscheinlichkeit der Intensivbehandlung im Mittelpunkt, „wie soll uns da ein Richter helfen?“, so Janssens.
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Nach der Leitlinie der Fachgesellschaften sollte zudem ohnehin ein Team aus mindestens drei Experten aus unterschiedlichen Blickwinkeln entscheiden. Zusätzlich digital zugeschaltete Ärzte einer Spruchkammer hält Janssens für unnötig. Es helfe allerdings auch nicht, wenn Ärzte mit Strafe bedroht würden, „dann macht kein Arzt das mehr“. (juk)