Gesundheits-Apps
Digitales Werkzeug für die Praxis der Zukunft
Sie messen die Lungenleistung, sie helfen bei Rückenschmerzen und bei anderen Leiden: Apps werden immer mehr zu digitalen Unterstützern von Ärzten. Aktuelle Anwendungen sollen mittlerweile häufig vor allem eine erreichen: in Praxen Zeit sparen.
Veröffentlicht:DÜSSELDORF. Gesundheits-Apps gibt es viele auf dem Markt, doch nur wenige von ihnen haben wirklich das Zeug dazu, die ärztliche Versorgung von Patienten im Alltag zu verbessern. Einige besonders aussichtsreiche neue Anwendungen wurden vor Kurzem während der Medizinmesse Medica ausgezeichnet. Sie zeigen, was digitalen Helfer heute leisten können.
Die App ISikCure hat dieses Jahr auf der Medica den Sieg bei der App-Competition davongetragen. Im Wettbewerb zeichnete eine zehnköpfige Fachjury in mehreren Runden die drei besten digitalen Medizinanwendungen aus. Insgesamt hatten sich bis zum 30. September 75 Unternehmen beworben. Davon schafften es 15 in die Endrunde. Sie durften auf der Medica vor gut gefüllten Rängen ihre App präsentieren und versuchen, die Jury von sich zu überzeugen. Dafür hatten sie allerdings nur drei Minuten Zeit, danach konnte die Jury noch ein paar Fragen stellen, bevor der nächste Kandidat auf die Bühne trat.ISikCure soll zunächst in Kenia zwei große Probleme im Gesundheitssystem lösen, die es in weiten Teilen Afrikas gibt: Patienten haben oft keinen Zugang zu Ärzten oder Spezialisten, und Medikamente sind teuer oder gar nicht zu bekommen. Das stellt vor allem chronisch kranke Patienten wie Diabetiker vor große Herausforderungen, berichtete der Arzt Dr. Moka Lantum. Er ist einer der Entwickler der App iSikCure.
Air Smart Spirometer
Air Smart Spirometer ist ein tragbares Lungenfunktionsmessgerät, das an ein Smartphone angeschlossen wird.
Funktion: Der Patient kann zu Hause messen und muss nicht so oft in die Praxis kommen, heißt es seitens Nuvoair, dem Anbieter des Spirometers. Der Test dauert 30 Sekunden. Dabei wird das Volumen des Ausatmens in der ersten Sekunde und auch über die gesamte Exspiration gemessen, zudem die Geschwindigkeit. Die Ergebnisse können mit dem Arzt geteilt werden.
Zulassung/Kosten: Air Smart Spirometer ist CE zertifiziert als medizinisches Gerät der Klasse IIa und hat 25 000 Nutzer. Die mobile Anwendung ist für die Nutzer kostenlos.
Website: https://www.nuvoair.com/spirometry.html
Amboss Knowledge
„Wissen in der Kitteltasche“ – das ist der Werbespruch der App Amboss Knowledge.
Funktion: Die App bietet ein Nachschlagewerk für Mediziner und Medizinstudenten in Deutsch und Englisch. Die App beinhaltet um die 200 000 Fakten. Sie sind stichpunktartig zusammengefasst und fächerübergreifend miteinander vernetzt. Ziel ist es, Ärzten dabei zu helfen, nicht nur schnell Wissen aufzufrischen, sondern auch auf dem Laufenden zu bleiben.
Zulassung/Kosten: Die Inhalte sind laut Hersteller leitliniengerecht. Der Jahreszugang für Ärzte kostet 192 Euro, der für Studenten 72 Euro. Es können Einzel- oder Gruppenabos über die Klinik oder Universität abgeschlossen werden.
Website: https://www.miamed.de/amboss
Butterfly-App
Die Geschichte der Butterfly-App beginnt mit Helen. Helen ist die Frau Michael Linskeys, dem Erfinder von Butterfly. Vor rund einem Jahr erhielt Helen die Diagnose Schilddrüsenunterfunktion.
Funktion: Mit Butterfly will Linskey das Management der Krankheit vereinfachen. Die Patienten geben ein, welche Symptome sie haben und die App hilft dabei, einzuordnen, welche Symptome tatsächlich mit Schilddrüsenproblemen zusammenhängen und welche Symptome bei dem Patienten besonders ausgeprägt sind. Die Nutzer können ihre Ergebnisse mit dem Arzt teilen. Zudem erinnert die App an die Medikation.
Zulassung/Kosten: Die App ist noch nicht auf dem Markt und wird aktuell getestet.
Website: http://getbutterfly.net
Clinivid
Clinivid ist eine App, die die sichere Kommunikation zwischen Medizinern erleichtern soll.
Funktion: Per WhatsApp oder ähnlichen Diensten mit Patienten zu kommunizieren ist für Ärzte datenschutzrechtlich problematisch. „Eigentlich müsste der Arzt mit jedem Patienten einen eigenen Vertrag abschließen“, schreibt der Clinivid-Entwickler. Die Clinivid-App soll eine datenschutzgerechte Alternative zu populären Messenger-Diensten sein. „Clinivid ist so einfach zu benutzen wie Whats-App“, wirbt der Hersteller. Die geteilten Inhalte wie Fotos, Videos und Berichte werden dabei allerdings nicht von Clinivid gespeichert, heißt es.
Kosten: Derzeit kostet die Nutzung 29 US-Dollar pro Monat.
Website: https://clinivid.com.au
ImitoCam
Die App ImitoCam ermöglicht die bildliche Dokumentation von Verletzungen.
Funktion: Nachdem der Arzt ImitoCam geöffnet hat, erscheint ein Körperdiagramm, auf dem er mit einem Klick dasjenige Körperteil auswählen kann, auf dem sich die Wunde befindet. Dann öffnet sich die Kamera und der Arzt kann ein Foto machen. Die App vermisst automatisch die Wunde. Die Bilder werden in einer Patientenakte gespeichert und können mit Kollegen geteilt werden. Beim nächsten Besuch werden die älteren Bilder automatisch neben neueren Aufnahmen angezeigt, um einen direkten Vergleich zu ermöglichen.
Kosten: Kostenloser Test, danach wird eine Gebühr fällig, die beim Hersteller erfragt werden muss.
Website: http://imito.io/imitocam-mobile-klinische-fotodokumentation
Kaia
Rückenschmerzen sind eines der häufigsten Leiden der Deutschen. Die Entwickler der Kaia-App wollen das ändern.
Funktion: Die Anwendung bietet 150 Bewegungs- und Entspannungsübungen in Kombination mit Wissenseinheiten. Mittels Künstlicher Intelligenz (KI) überprüft die App die Übungen der Nutzer und korrigiert gegebenenfalls die Haltung. Das soll etwa helfen, gegebenenfalls Wartezeiten auf eine ärztliche Therapie zu überbrücken.
Zulassung/Kosten: Kaia ist ein Medizinprodukt der Klasse I und nach der Medizinproduktehersteller-Norm ISO 13485 zertifiziert. Es werden zeitlich begrenzte Abos angeboten – ein Jahr ist für 79,99 Euro zu haben.
Website: https://www.kaia-health.com
Medicus AI
Medicus AI wertet medizinische Berichte aus und übersetzt sie für Patienten in eine leichter verständliche Sprache.
Funktion: Neben der Übersetzungsfunktion kann die App auch Gesundheitsrisiken einschätzen. Basis dafür sind Tests sowie Daten wie Alter und Geschlecht der Patienten. Obwohl der Endnutzer der Patient ist, verfolgt Medicus AI ein Business-to-Business-Geschäftsmodell. Kliniken und Ärzte zahlen dafür, wenn Berichte in der App hochgeladen werden. „Die Patienten müssen aufgrund der App nicht mehr so oft in die Praxis kommen oder anrufen“, wirbt der Entwickler.
Kosten: Die Basisversion ist kostenlos, später sollen Premiumdienste folgen. Die Kosten dafür stehen noch nicht fest.
Website: http://medicus.ai
Moodpath
Die Anwendung Moodpath soll Depressionen leichter zu erkennen und zu behandlen helfen.
Funktion: Die ersten 14 Tage beantworten Nutzer regelmäßig Fragen zu ihrem Befinden und schätzen ein, wie schwer bestimmte Dinge sie belasten. Danach erhalten sie einen elektronischen Arztbrief mit einer Beurteilung der mentalen Gesundheit sowie einem Behandlungsplan. Der soll als Basis für die Weiterbehandlung bei einem Therapeuten dienen. Die App umfasst zudem rund 150 Übungen – etwa zur Entspannung. Nutzer müssen kein Profil anlegen. „Die Anonymität ist ein wichtiger Anreiz“, sagt der Hersteller.
Kosten: Die App ist als CE-Medizinprodukt zertifiziert und kann kostenlos genutzt werden.
Website: https://www.moodpath.de/de
MyAirCoach
MyAirCoach wurde speziell für Patienten, die an Asthma leiden, entwickelt und soll eine richtige Arzneimittelanwendung erklären und unterstützen.
Funktion: Die Anwendung besteht aus zwei Komponenten: einem kleinen Gerät, das auf ein Asthmaspray gesteckt wird und einer dazugehörigen App. Der Stecker misst den Luftstrom beim Inhalieren des Sprays. In der App bekommt der Patient Rückmeldung, ob er das Spray richtig benutzt hat, und Tipps zur Verbesserung. Später soll ein Spirometer hinzugefügt werden. Die erste klinische Studie über den Nutzen der Anwendung startet im Januar.
Zulassung/Kosten: Die App ist noch nicht auf dem Markt und befindet sich in der Testphase.
Website: http://myaircoach.eu/myaircoach
Rx.Universe
Rx.Universe ist eine App für Apps. Sie soll Medizinern helfen, die richtigen Anwendungen für ihre Patienten auszuwählen.
Funktion: „Es gibt rund 300 000 Apps im Gesundheitssektor“,erklärt der Entwickler von Rx.Universe. Problem dabei sei, dass die wenigsten dieser Anwendungen klinische Studien durchlaufen hätten. „Für Ärzte ist es schwer zu wissen, welche Apps tatsächlich effektiv sind.“ Hier setzt die Plattform aus den USA an: Das Team hinter Rx.Universe überprüft alle Apps, bevor sie auf der Plattform gelistet werden. In Amerika können Ärzte über Rx.Universe die Apps auch ihren Patienten verordnen. Sie bekommen dann eine Textnachricht mit dem Link zur passenden App.
Kosten: Derzeitig finden sich dazu keine Angaben.
Website: http://www.rxuniverse.com
Die Initiatoren wollen mithilfe der App das Gesundheitswesen für alle in Afrika zugänglich sowie Arznei günstiger machen. "iSikCure ist wie Linkedin für Ärzte und so schnell wie Amazon für Medikamente", sagt Lantum. Patienten können die App kostenlos herunterladen und nach einem Arzt in ihrer Nähe suchen. Dann können sie direkt über die App einen Termin vereinbaren. "Oft laufen die Patienten viele Kilometer in die nächste Stadt, aber wenn sie in der Praxis ankommen, bekommen sie keinen Termin", erklärt Lantum.
Ärzte, Apotheker und medizinische Dienstleister melden sich in der App an. Ärzte können dann etwa Rezepte direkt in die Anwendung hochladen, und Patienten können sehen, welche Apotheke das Medikament vorrätig hat. Das ist wichtig für den Behandlungserfolg, denn in Afrika suchen Patienten häufig mehrere Apotheken auf, ohne ihr Medikament zu bekommen. Oft lassen selbst Menschen mit chronischen Krankheiten es dann ganz weg. Um einem Abbruch der Therapie vorzubeugen, bekommen Nutzer von iSikCure sogenannte MedCoins als Bonuspunkte, wenn sie die Behandlung durchhalten, sprich regelmäßig ihre Rezepte einlösen. Mit diesen MedCoins können sie dann Behandlungen oder das nächste Rezept bezahlen. Patienten können über die App auch per Kreditkarte oder über ihre Versicherung bezahlen.
Für Apotheken und Ärzte hat iSikCure noch einen weiteren Vorteil: Sie können Medikamente bestellen. Bisher ist die Belieferung mit Arzneimitteln in vielen Teilen des Kontinents schwierig, gerade in ländlichen Gebieten. "iSikCure liefert innerhalb von 48 Stunden", verspricht Lantum. Während die App für Patienten kostenlos ist, zahlen Ärzte, Kliniken und Apotheken eine Provision von 7,5 Prozent für Transaktionen, die über die App abgewickelt werden. Die App startete im März in Kenia und wurde seitdem bereits 38.000 Mal heruntergeladen. Lantum und seine Kollegen wollen die Anwendung für ganz Afrika ausbauen. Mitte November haben sie bereits die erste Bestellung von einer Apotheke in Südsudan erhalten über 20.000 Dollar (17.041 Euro). "Es gibt auch Interesse aus dem Nahen Osten und Deutschland", berichtete Lantum.
Den zweiten Platz im Wettbewerb belegten die Entwickler von Air Smart Spirometer. Das ist ein tragbares Lungenfunktionsmessgerät, das an ein Smartphone angeschlossen werden kann. "Es ist das erste dieser Art", so Entwickler Max Ladow. "Dadurch kann der Patient seine Lungenfunktion zu Hause messen und muss nicht jedes Mal in die Praxis kommen." Außerdem könne die Lungenfunktion häufiger kontrolliert werden. Der Test dauert rund 30 Sekunden. Das Spirometer misst sowohl das Volumen des Ausatmens in der ersten Sekunde als auch über die gesamte Expiration, zudem die Geschwindigkeit. Die dazugehörige App gibt dem Benutzer Rückmeldung darüber, ob er das Gerät richtig benutzt, und zeichnet die Ergebnisse auf. "So bekommt der Patient eine Übersicht, wie sich die Gesundheit seiner Lunge entwickelt", berichtete Ladow. Die Ergebnisse können mit einem Klick mit dem Arzt geteilt werden. Die App könne von mehreren Personen gleichzeitig genutzt werden. Die Ergebnisse werden dabei im jeweiligen Profil gespeichert. Air Smart Spirometer ist CE zertifiziert als medizinisches Gerät der Klasse IIa und werde bisher von rund 25.000 Menschen genutzt.
Eine App gegen Rückenschmerzen hat den dritten Platz im Wettbewerb errungen. "Rückenschmerzen sind einer der Hauptkrankheitsgründe", sagt der Entwickler Maximilian Wühr. Sie verursachten jährlich Kosten von rund 600 Milliarden Dollar weltweit. Für die Kaia-App wurden bereits existierende und anerkannte Therapien digitalisiert. Kaia selbst ist ein Medizinprodukt der Klasse I und wurde vom TÜV Süd nach der Medizinproduktehersteller-Norm ISO 13485 zertifiziert. Die Anwendung bietet 150 Bewegungs- und Entspannungsübungen in Kombination mit Wissenseinheiten. Eine künstliche Intelligenz überprüft die Übungen der Nutzer und korrigiert gegebenenfalls die Haltung. Die App soll Patienten dazu motivieren, täglich zu Hause zu trainieren. "Patienten haben außerhalb der Praxis des Physiotherapeuten wenig Anreiz, das Training fortzusetzen", weiß Wühr. Außerdem sind die Wartezeiten für Schmerztherapien sehr lang und die Betroffenen müssen für mindestens vier Monat in eine Klinik gehen, erklärt er weiter. "Das ist für viele nicht machbar." Die Preise für die Nutzung von Kaia beginnen bei 79,99 Euro im Jahr.
Bei der App-Competition dürfen die Projekte nicht vor 2015 gestartet sein und müssen spätestens bis 2018 auf den Markt kommen. Die Anwendungen müssen nicht nur mobil anwendbar sein, sondern auch Funktionalität und Originalität beweisen. Außerdem ist die Skalierbarkeit und Qualität der Unterlagen und des Teams entscheidend. Das haben die beschriebenen Entwickler mit ihren Anwendungen geschafft. Der Gewinner erhält neben 2000 Euro Preisgeld ein Ticket zur Teilnahme an der Startupboothcamp Masterclass in Berlin 2018 sowie zwei Tickets für die Mega-Konferenz South by Southwest 2018 in Austin im US-Bundesstaat Texas. Der Zweitplazierte bekommt 1000 Euro, ein 90-minütigen Mentoring durch das Team von Grants4Apps, einem Start-up-Accelorator, sowie ein Essen mit einem Mentor von Startupboothcamp, einem Netzwerk von Acceloratoren. Für den dritten Platz gibt es 500 Euro, zehn Minuten Bühnen-Zeit auf dem nächsten STEM4 Health-Meetup, einem Treffen für Start-ups und Industrie. Außerdem erhalten die Drittplatzierten eine Stunde Mentoring vom Startupboothcamp.
Neben den Top-Platzierten haben 15 Entwickler-Teams an der App-Competition auf der Medica 2017 teilgenommen und Apps vorgestellt, die teilweise noch nicht erhältlich sind (wie berichtet). Viele von ihnen richten sich direkt an Ärzte und sollen dazu beitragen, den Praxen Arbeitsaufwand und -zeit zu ersparen, wie unser Überblick zeigt (siehe unten).