Mega-Regress

Dramatische Wende im Fall Blettenberg?

Ein Ende März mit den Kassen angeblich ausgehandelter Deal sollte dem Hausarzt Dr. Jörg Blettenberg immense Regressforderungen ersparen. Nun scheinen die Kassen doch wieder auf mindestens 150.000 Euro zu pochen.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Gibt sich kämpferisch: Dr. Jörg Blettenberg aus Lindlar will sich mit existenzbedrohenden Regressforderungen nicht abfinden.

Gibt sich kämpferisch: Dr. Jörg Blettenberg aus Lindlar will sich mit existenzbedrohenden Regressforderungen nicht abfinden.

© Ilse Schlingensiepen

KÖLN. Schwerer Rückschlag für den Hausarzt Dr. Jörg Blettenberg im Kampf gegen sechsstellige Regressforderungen: Die Krankenkassen haben nach seinen Angaben einen ausgehandelten Vergleich wieder geändert. Sie fordern nun stattdessen 150.000 Euro zurück. Das lehnt Blettenberg ab. Jetzt hofft er auf die Sozialrichter.

Der Allgemeinmediziner aus dem bergischen Lindlar ist seit 2009 mit ungewöhnlich hohen Regressforderungen konfrontiert.

Hauptursache seiner Überschreitungen der Arzneimittel- und vor allem der Heilmittelbudgets ist die Versorgung von 120 Patienten in der psychiatrischen Einrichtung "Haus Tannenberg", die er seit dem Ausscheiden einer neurologischen Kollegin allein betreut.

Die für die Jahre ab 2009 gegen ihn verhängten Regresse summieren sich auf rund 600.000 Euro. Für 2009 hat er bislang 74.000 Euro bezahlt. Der Arzt klagt vor dem Sozialgericht gegen die Entscheidungen des nordrheinischen Beschwerdeausschusses. Selbst für das Jahr 2009 gibt es noch nicht einmal einen Termin in der Hauptsache.

Ende März berichtete er von einer mit den Krankenkassen ausgehandelten Lösung. Die für 2009 ausstehenden 12.000 Euro sollten ihm erlassen werden, für die anderen Jahre sollte ein Vergleich gefunden werden. "Eigentlich war alles in trockenen Tüchern, es ging nur noch um formale Fragen".

Doch plötzlich hätten die Kassen das Paket wieder aufgeschnürt und ihn mit neuen Forderungen konfrontiert. Er soll jetzt mindestens 150.000 Euro bezahlen. Außerdem wolle man ihm einen Maulkorb verpassen.

Blettenberg: "Die Kassen wollen eine absolute Schweigepflicht, auch dem Hausärzteverband gegenüber". Ein weiteres Manko: Selbst wenn das Bundessozialgericht (BSG) entscheiden sollte, dass das Prinzip "Beratung vor Regress" auch für ältere Fälle gilt, soll er das bereits gezahlte Geld nicht wieder zurückerhalten.

"Außerdem soll ich mich verpflichten, die Budgets einzuhalten, was ich nicht kann." Eigentlich habe man ihm zugesagt, dass seine Verordnungsvolumina an die besondere Versorgungssituation angepasst würden. Davon jedoch sei inzwischen "keine Rede mehr."

Den von den Kassen geänderten Vergleich hat Blettenberg abgelehnt. Nach einer Analyse seiner Heilmittelverordnungen entsprächen die Überschreitungen dem Mehrbedarf durch die Verordnungen für die Patienten im "Haus Tannenberg".

Und wenn es bei Arzneimittelregressen bliebe, würden die Forderungen insgesamt 150.000 Euro nicht überschreiten, erwartet er. "Es macht für mich keinen Sinn, den Vergleich anzunehmen."

Blettenberg hofft nach wie vor auf das Bundessozialgericht. Wenn es zu "Beratung vor Regress" kommt, könnten Ärzte den zuständigen Gremien die Kostenstruktur besonderer Patientengruppen erläutern. "Genau darum geht es ja, denn im Moment wird alles über einen Kamm geschoren."

Der Allgemeinmediziner vermutet eine Taktik hinter dem Vorgehen der Krankenkassen. Es sei ihnen unangenehm gewesen, dass sein Fall bundesweit für Aufsehen sorgte. Deshalb habe man mit dem ursprünglichen Vergleichsvorschlag erst einmal Ruhe in die Sache bringen wollen.

Jetzt hoffe man offenbar, dass die Öffentlichkeit das Interesse verloren hat. Er werde sich weiter wehren, kündigt Blettenberg an.

"Ich lasse mich nicht unterkriegen." Schließlich gehe es nicht nur um seine persönliche Bedrohung durch die Regresse, sondern auch um den Kampf um eine adäquate Versorgung der Patienten. "Es ist einfach nicht einzusehen, dass den Ärzten für Patienten mit schweren Erkrankungen nicht mehr Geld zur Verfügung steht", so der Allgemeinmediziner.

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Dr. Henning Fischer 07.09.201514:05 Uhr

ich verstehe das ganze nicht


an Stelle des Kollegen würde ich den Krankensparkassen ankündigen, daß ich in 2 Wochen meine Kassenzulassung zurückgebe und einen freien Landarztsitz woanders übernehme (freie Auswahl unter hunderten).

Wenn nun diese Tagesklinik auf einmal ohne ärztliche Betreuung da stünde würde sich zeigen, wie wichtig das wirklich ist. KV und Kassen müßten eigentlich in Tränen ausbrechen, wenn der Sicherstellungsauftrag zusammenbricht.

Oder läuft da noch ganz was anderes?

Dr. Uwe Wolfgang Popert 28.06.201407:22 Uhr

kranke Kassen

Hier bahnt sich eine grundsätzliche Entscheidung an: Wer wird in Zukunft noch Altenheime und ländliche Regionen versorgen, wenn dies existenzbedrohende Risiken birgt? Machen die Krankenkassen das demnächst selbst? Wollen wir engagierte Kollegen ins Ausland oder in die Rente treiben? Wie viel sind vollmundige Beteuerungen von Politikern wert, wenn die Kassen ihr eigenes Spiel treiben?

Dr. Richard Barabasch 27.06.201413:09 Uhr

Meine Hochachtung

für so viel Mut und Widerstandskraft
gegen diese Phalanx von dreister Frechheit und unverschämtem Putinismus derer, die lauthals "das Beste für unsere Versicherten" beteuern und lediglich das über den Kamm gescherte bereits abgearbeitete Lohn-Vermögen des Krankankassenpflichtversicherte betreuenden Kollegen erneut kassieren wollen,
meint
R.B.

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Praxisabgabe mit Hindernissen

Warum Kollege Gieseking nicht zum Ruhestand kommt

Lesetipps
Krankenkassen haben zum Jahreswechsel schlechte Botschaften für ihre Mitglieder: die Zusatzbeiträge steigen stark. Die Kritik an versäumten Reformen der Ampel-Koalition ist einhellig.

© Comugnero Silvana / stock.adobe.com

Update

62 Kassen im Beitragssatz-Check

Höhere Zusatzbeiträge: So teuer wird Ihre Krankenkasse 2025