Die Folgen des PIP-Skandals
Ein Urteil macht noch keine Entschädigung
Wegen seiner Geschäfte mit Brustimplantaten aus Billig-Silikon ist PIP-Gründer Jean-Claude Mas zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Für die Opfer ist dies Genugtuung. Auf Entschädigungszahlungen hoffen sie derzeit jedoch vergeblich.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Wer trägt die Schuld, wenn ein Medizinprodukt so schlecht ist, dass es tausendfach wieder herausoperiert werden muss? Im Fall der Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) steht Unternehmensgründer Mas wohl als ein Schuldiger fest.
Die Ermittlungen wegen Körperverletzung laufen zwar noch. Doch wegen Betrugs hat ein Gericht in Marseille Mas bereits zu einer Haftstrafe von vier Jahren sowie einer Geldstrafe von 75.000 Euro verurteilt.
Freilich ging PIP schon 2010 in die Insolvenz, als die französischen Behörden den Vertrieb der Implantate stoppten. Und bei Mas selbst ist wohl auch nicht viel zu holen.
Kein Wunder also, dass die erste Schadenersatzklage in Deutschland in alle Richtungen zielte. Gegen den Chirurgen, der seine Patientin angeblich nicht ausreichend über die Risiken aufgeklärt hat. Gegen eine Industriehandelsgesellschaft, die das von PIP verwendete Industriesilikon geliefert hat, ohne zu prüfen, wofür das Zeug verwendet werden soll.
Gegen die Bundesrepublik Deutschland, weil das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukten (BfArM) nicht rechtzeitig gewarnt habe. Gegen den französischen Haftpflichtversicherer von PIP, der für die Pleitefirma einspringen soll. Und schließlich gegen den TÜV Rheinland, der vor Erteilung des CE-Kennzeichens angeblich nicht genau genug hingeschaut hat.
Die Ärzte sind wohl aus der Schusslinie
Das Landgericht Karlsruhe hat im November verhandelt und einen Gutachter beauftragt. Das dauert bis zu einem Jahr, so die Einschätzung des Gerichts. Es ist aber die einzige Möglichkeit der Richter, zu einem soliden Ergebnis zu kommen.
Dennoch hat sich der Kreis der möglichen Verantwortlichen bereits deutlich verkleinert. Die Anwälte der Klägerin haben die Klage gegen die Chemiehandelsgesellschaft und auch gegen die Bundesrepublik zurückgezogen.
Schließlich hat das BfArM sämtliche Warnungen der federführenden französischen Behörden sofort auch in Deutschland kommuniziert. Und dass bei Produkten wie Industriesilikon der Verkäufer seine Nase nicht in die Angelegenheiten des Kunden stecken muss, leuchtet ebenfalls ein.
Doch auch die Ärzte sind wohl aus der Schusslinie. In zwei weiteren Fällen hat das Landgericht Karlsruhe gegen Ärzte gerichtete Schadenersatzklagen bereits abgewiesen. Eines dieser Urteile wurde unmittelbar rechtskräftig, im zweiten Fall hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe inzwischen die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.
Denn bis zu den ersten Warnungen 2010 aus Frankreich konnten Ärzte nicht wissen, was inzwischen auch das BfArM kommuniziert hat, dass bis Ende 2011 allein in Frankreich 1000 von 30.000 Implantaten gerissen sind und dass das Billig-Silikon auch aus Implantaten "ausschwitzt", die äußerlich unversehrt sind.
Wie bei Medizinprodukten üblich gilt der "Vertrauensgrundsatz", so das Landgericht Karlsruhe. Sprich: Ärzte dürfen sich auf Zertifikate und die Angaben der Hersteller verlassen.
TÜV Rheinland sieht sich durch das Urteil gestärkt
Bleiben die Versicherung und der TÜV. Das Handelsgericht in Toulon sieht die Kölner Prüforganisation mit in der Pflicht. Nach einem Urteil vom November soll jede betroffene Frau zunächst 3000 Euro bekommen - das wären insgesamt rund fünf Millionen Euro. Der TÜV Rheinland will das Urteil nicht hinnehmen.
Aus dem Verfahren gegen Mas ging er gestärkt hervor. Der TÜV war zwar nicht das Thema der Strafrichter in Marseille; sie gingen aber davon aus, dass Mas auch die Prüforganisation hinters Licht geführt hat. So sieht es auch der TÜV selbst. PIP habe immer behauptet, das Silikon eines bewährten Herstellers zu verwenden.
Während zwölf Besuchen vor Ort sei auch immer dieses Silikon verarbeitet worden. Einige Anwälte betroffener Frauen sehen dies anders. Der TÜV Rheinland hätte die Implantate stichprobenartig untersuchen und der Firma auch unangekündigte Besuche abstatten müssen.
In Deutschland winken hier die Gerichte allerdings bislang ab. Das Landgericht Nürnberg-Fürth und das Landgericht im rheinland-pfälzischen Frankenthal haben bereits erste Klagen abgewiesen. Zu dem rheinland-pfälzischen Fall will Ende Januar das OLG Zweibrücken sein Urteil verkünden.
Die Richter haben allerdings bereits bei der Verhandlung am 12. Dezember zu erkennen gegeben, dass sie der Klage keine Chance geben. Letztlich wird wohl der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entscheiden, was Verbraucher von dem CE-Kennzeichen zu halten haben.
Ohnehin ist sie lediglich bei Medizinprodukten auch mit einer Zertifizierung verbunden. Nach Darstellung des TÜV Rheinland geht es dabei aber allein um das Herstellungsverfahren. So soll verhindert werden, dass bei der Produktion Fehler passieren, die die Gesundheit der Verbraucher beeinträchtigen können.
Keine gemeinsame Linie bei der Regressfrage
Eine Untersuchung des Produkts oder gar das Aufspüren krimineller Machenschaften sei nicht Aufgabe der Prüfer, so der TÜV.Hoffnung liegt auch auf den Kassen-JuristenDas BfArM hatte Anfang 2012 empfohlen die Implantate wieder herausnehmen zu lassen. Etwa 5000 Frauen sollen in Deutschland betroffen sein.
Nach einem Urteil des Sozialgerichts Berlin sind hier die Krankenkassen mit in der Pflicht - auch dann, wenn die Implantate aus rein kosmetischen Gründen eingesetzt wurden. Für Ersatz-Implantate müssen die Kassen dann allerdings nicht zahlen. Zudem können sie die Frauen dann "angemessen" an den Kosten der Explantation beteiligen.
In dem Berliner Fall waren es bei einer Hartz-IV-Empfängerin nur zwei Prozent. Einige Kassen verzichten sogar ganz auf die Beteiligung, andere dagegen verlangen bis zu einem Drittel der Kosten. So verwundert es nicht, dass die Kassen auch in der Regeressfrage keine gemeinsame Linie verfolgen. Sie warten überwiegend ab.
Vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth klagt die AOK Bayern vom TÜV Rheinland 50.000 Euro ein, die sie für die Explantation bei 27 Frauen bezahlt hat. Ziel sei letztlich auch hier der von den Kassen ohnehin geforderte bessere Verbraucherschutz bei Medizinprodukten, betonte eine AOK-Sprecherin.
So liegt hier zumindest noch ein wenig Hoffnung für betroffene Frauen, dass die Kassen-Juristen Argumente für eine strengere Prüfpflicht des TÜV auftun, die die Gerichte bislang übersehen haben.