Eurotransplant

Göttinger Uni-Klinik akzeptierte zeitweise fast jedes Organ

Beim Prozesstag am Mittwoch berichteten Klinikumsmitarbeiter erneut über das Arbeitsklima mit dem angeklagten Transplantationsmediziner. Auch Eurotransplant gab Auskunft über die Zusammenarbeit mit der Uni-Klinik zum fraglichen Zeitpunkt.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:

GÖTTINGEN. Im Prozess um den Transplantationsskandal am Göttinger Universitätsklinikum hat der damalige Vorgesetzte heftige Vorwürfe gegen den angeklagten Transplantationsmediziner erhoben.

Dieser habe sich geweigert, sich in die Klinikumsstrukturen einbinden zu lassen und seine Patienten als "Privatbesitz" betrachtet, sagte der frühere Direktor der Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Mittwoch vor dem Landgericht Göttingen.

Als es darüber zum Konflikt gekommen sei und der Angeklagte auch seinen Stellvertreter nicht als Vorgesetzten habe akzeptieren wollen, habe er einen Vermittlungsversuch unternommen.

Bei diesem Gespräch habe der Angeklagte ihn persönlich bedroht und dem Sinne nach geäußert, dass "mit mir was passieren wird, wenn das umgesetzt wird."

Der ehemalige Leiter der Chirurgie, der sich inzwischen im Ruhestand befindet, zeigte sich schockiert über das Verhalten des Transplantationsmediziners: "So etwas ist in meiner gesamten Berufslaufbahn noch nie vorgekommen."

Der Konflikt sei derart eskaliert, dass sämtliche Oberärzte in einem Brief an den Klinikumsvorstand eine weitere Zusammenarbeit mit dem 43-Jährigen abgelehnt hätten.

Chirurg soll sich gegen Kollegen abgschottet haben

Dieser habe versucht, sich eine "Klinik in der Klinik" aufzubauen und gegen andere Kollegen abzuschotten.

Obwohl der Angeklagte nur für die Transplantationschirurgie die alleinige Verantwortung gehabt habe, habe er es abgelehnt, Operationen und Behandlungen von Patienten mit anderen Lebererkrankungen in der Gesamtklinikkonferenz zu besprechen. Daraufhin habe er ihm dann das Operieren solcher Patienten untersagt.

Der ehemalige Klinikdirektor übte auch heftige Kritik am damaligen Vorstand der Göttinger Universitätsmedizin. Dieser hatte mit dem Transplantationschirurgen einen Vertrag ausgehandelt, der zusätzliche Bonuszahlungen ab einer bestimmten Zahl von Lebertransplantationen vorsah.

Eine derartige Zielvereinbarung sei sittenwidrig, meinte der 65-Jährige.

Zuvor hatten zwei Klinikumsmitarbeiter berichtet, dass in mehreren Fällen bei Transplantationspatienten, die gegenüber Eurotransplant als Dialyse-Patienten gemeldet waren, keine Dialysen abgerechnet worden waren.

Strategie: Möglichst viele Organe?

Das Gericht hörte außerdem den Medizinischen Direktor der zentralen Organvergabestelle Eurotransplant, Axel Rahmel. Dieser bekräftigte, dass es einen Organmangel gebe.

Seit 2007 seien in Deutschland 2747 Patienten verstorben, die auf der Warteliste für eine Ersatzleber standen.

Weitere 534 Patienten seien von der Warteliste abgemeldet worden, weil sich ihr klinischer Zustand so stark verschlechtert hatte, dass sie nicht mehr transplantiert werden konnten.

Die Göttinger Transplantationschirurgie verfolgte unter der Leitung des Angeklagten offenbar die Strategie, möglichst viele Organe angeboten zu bekommen. Dies ergibt sich aus Untersuchungen der Patientenprofile, die aus Göttingen an Eurotransplant gemeldet worden waren.

Diese waren so unspezifisch und so weit gefasst, dass es so gut wie keine Ausschlusskriterien gab. Nur Organe von Spendern mit einem Tumor in der Anamnese sowie HbSAg-positive Spender waren für alle, Hepatitis C-positive Spender für einige wenige Empfänger ausgeschlossen.

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