Bundessozialgericht
Grünes Licht für Mindestmengen in der ambulanten Versorgung
Das Bundessozialgericht hat zwar Mindestmengen im Diabetes-DMP Bayern verworfen. Prinzipiell hält es sie aber auch in der ambulanten Versorgung für zulässig. Ein Novum.
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Mindestmengen für die ambulante Versorgung? Prinzipiell hat das Bundessozialgericht nichts dagegen.
© Maurizio Gambarini / dpa / pic
KASSEL. Kniegelenke oder die Versorgung Frühgeborener – schon oft hat sich das Bundessozialgericht mit Mindestmengen befasst. Bislang ging es dabei aber stets um die Krankenhausversorgung. In seiner jüngsten Sitzung entschied, wie bereits kurz berichtet, nun erstmals der BSG-Vertragsarztsenat, dass Mindestmengen auch für niedergelassene Ärzte prinzipiell zulässig sein können. Etwa in DMP-Verträgen darf das Motto "Übung macht den Meister" zum Einsatz kommen. Die Hürden allerdings sind hoch, und daran scheiterte im konkreten Fall die Mindestmenge von 250 Patienten pro Quartal für Schwerpunktpraxen im Diabetes-2-DMP in Bayern.
"Jenseits von Gut und Böse"
Fünf weitere KVen haben hier dieselbe Schwelle, Hamburg und Schleswig-Holstein sogar eine Mindestmenge von 300. In zwei KVen haben sich die Vertragspartner für 230 entschieden, in vier weiteren für 200. Nach den Kasseler Urteilsgründen gibt es aber auch für die vergleichsweise niedrige Schwelle von 125 Patienten pro Quartal in Baden-Württemberg keine Grundlage.
Im konkreten Fall eines hausärztlichen Internisten mit einer diabetologischen Schwerpunktpraxis in München bezeichnete dessen Anwältin Gwendolyn Gemke die Schwelle von 250 als "fernab von Gut und Böse". Nach einer 2010 erfolgten Anhebung der Schwelle von ursprünglich 100 war dem Arzt die Genehmigung zur Teilnahme am DMP-Programm entzogen worden. Schon in der Verhandlung bezeichnete der Vorsitzende Richter Ulrich Wenner die Zahl 250 als "hoch". Sie stammt aus Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses für Diabetes-2-DMP von 2005. Dort war sie allerdings nicht im Haupttext, sondern nur in der Begründung als "Orientierungshilfe" genannt. Und sie stützte sich nicht auf wissenschaftliche Belege, sondern auf einen nicht näher begründeten Expertenkonsens.
Dem Bundessozialgericht war das zu mager. Die Anhebung der Schwelle in Bayern von 100 auf 250 ist "nicht wirksam", urteilten die Kasseler Richter. Es gebe keine Studien, die einen Zusammenhang zwischen Menge und Qualität "zumindest nahelegen". Rechtsanwältin Gemke führte dies darauf zurück, dass es hier ausschließlich um Gesprächsleistungen geht. Das sei eine deutlich andere Sache, als etwa operative Eingriffe. Einen Eingriff sah die Münchener Anwältin allerdings auch hier – nämlich in das Grundrecht der Berufsfreiheit. In Bayern seien Drei Viertel der Diabetes-2-Patienten in das DMP eingeschrieben. Diese seien für ihren Mandanten verloren. Das aber sei ein Eingriff in einen Kernbereich seiner Praxis. Zulässig sei das daher nur auf der Grundlage eines Gesetzes.
Wissenschaftlicher Beleg nötig
Im Gegensatz zum stationären Bereich fehlt im ambulanten eine solche gesetzliche Mindestmengen-Grundlage. Dem BSG reichte es aber aus, dass der Gesetzgeber für Kliniken Mindestmengen eingeführt hat. Dies sei dann grundsätzlich auch auf die ambulante Versorgung übertragbar. Denkbar sind danach Mindestmengen auch bei ambulanten Operationen oder für Belegärzte.
Bei einer solchen "gedanklichen Übertragung" dürften die Voraussetzungen für Mindestmengen im ambulanten Bereich dann aber nicht hinter denen für die Krankenhäuser zurückbleiben, betonten die Richter. Sie forderten daher einen durch Studien klar belegten Zusammenhang zwischen der Anzahl der Patienten und der Behandlungsqualität.
Darüber hinaus seien auch die Auswirkungen auf die Versorgungsstruktur zu berücksichtigen. So könnte es insbesondere in Städten teils schwierig sein, hohe Zahlen gesetzlich Versicherter zu erreichen. Auf dem Land könnten Probleme daraus resultieren, dass Mindestmengen immer zu einer Konzentration auf wenige Praxen führen. Patienten könnten sich daher gar nicht mehr in ein DMP einschreiben, wenn eine teilnehmende Praxis nicht mehr gut zu erreichen ist.
Bundessozialgericht Az.: B 6 KA 32/16 R