Hausarzt-Umschulung mit 66 Jahren
Er ist der erste Arzt im Norden, der den Quereinstieg zum Allgemeinmediziner tatsächlich durchläuft - und das auch noch in einer Zweigpraxis. Dabei war Bernd Scharfe längst Ruheständler.
Veröffentlicht:NEUKIRCHEN. Weiterbildungsassistent mit 66 Jahren: Bernd Scharfe hat damit kein Problem. Der Anästhesist und Notfallmediziner ist der erste Arzt, der im Norden den Quereinstieg zum Allgemeinmediziner durchläuft.
In 18 Monaten tritt er zur Prüfung vor der Ärztekammer in Bad Segeberg an, um seinen Facharzt in der Allgemeinmedizin abzulegen.
Bis dahin steht er der hausärztlichen Patientenversorgung schon zur Verfügung: In einer Zweigpraxis an der dänischen Grenze, die von einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis aus organisiert wird. Scharfe wohnt nur wenige Kilometer entfernt.
Bis 2011 war er als Anästhesist in der Ostseeklinik Damp beschäftigt und freute sich eigentlich auf seinen Ruhestand.
Von der Maximalbelastung auf Null zu schalten empfand der erfahrene Arzt aber als frustrierend: "Ich kam mir auf einmal überflüssig vor."
Kammer und KV ebneten den Weg
Dann hörte er von der Gemeinde Neukirchen, dass die Landarztpraxis leer stand. Bürgermeister Peter Ewaldsen und Scharfe wurden sich schnell einig, nur: als Anästhesist konnte Scharfe Neukirchen nicht helfen.
Was dann folgte, widerlegt manches Vorurteil über die vermeintlich langsam mahlende Bürokratie der Körperschaften und von angeblich unbeweglichen Ärzten.
Ärztekammer und KV in Bad Segeberg erarbeiteten in aller Kürze ein Modell, das eine Anstellung von Scharfe als Weiterbildungsassistent in der hausärztlichen Gemeinschaftspraxis von Dr. Thomas Maurer in Leck und zugleich Scharfes Einsatz im 25 Kilometer entfernten Neukirchen ermöglicht.
Hinzu kam eine Gemeinde, die ihrem Interesse an einem Arzt Taten folgen ließ.
Die Ärztekammer hatte zuvor den Quereinstieg zum Allgemeinmediziner ermöglicht und den von der weiterbildenden Praxis zu leistenden Bedingungen für den Einsatz des Weiterbildungsassistenten in einer Zweigpraxis zugestimmt.
Dazu zählen eine komplette EDV-Vernetzung mit der Stammpraxis in Leck, parallele Öffnungszeiten von Stamm- und Zweigpraxis und die Vorgabe, dass mindestens zweimal pro Woche ein gemeinsames Arbeiten unter Aufsicht eines allgemeinmedizinischen Facharztes erfolgt.
Die KV Schleswig-Holstein setzt in Neukirchen Mittel aus einem Fonds zur Sicherstellung ein.
Mietkosten zahlt die Gemeinde
Die Praxis von Dr. Thomas Maurer investiert einen fünfstelligen Betrag in eine leer stehende Praxis, deren Patienten seit einigen Monaten in die umliegenden Praxen abgewandert sind.
Im Gegensatz zu vielen anderen Zweigpraxen soll Neukirchen eine hausärztliche Vollversorgung bekommen, mit Sprechstunden an vier Vormittagen und zwei Nachmittagen.
Die Stammpraxis setzt neben Scharfe wechselseitig an zwei Tagen pro Woche einen der drei hausärztlichen Fachärzte in Neukirchen ein und stellt mit Ursula Lukas die erfahrenste Arzthelferin für einen Übergangszeitraum für Neukirchen ab, um die Organisation der Zweigpraxis und die Koordination mit der Stammpraxis zu steuern.
Die Kommune übernimmt für ein Jahr die Mietkosten der Praxis und lässt die Räume außerdem durch örtliche Handwerker so auf Vordermann bringen, dass Maurer seine Zweigpraxis einrichten kann.
Bürgermeister Peter Ewaldsen ist zudem eifriger Werber unter den rund 2500 Menschen in Neukirchen und Umgebung für die neue Praxis.
Maurer hat denn auch keine Bedenken, dass die Zweigpraxis mittelfristig angenommen wird.
Auf das Alter seines Weiterbildungsassistenten angesprochen, sagt er: "Das kann natürlich keine Dauerlösung sein, aber Bernd Scharfe kann uns einige Jahre helfen, bis wir einen jüngeren Kollegen gefunden haben."
Der Quereinsteiger soll die Zweigpraxis alleine führen
Scharfe und Maurer kennen sich noch aus gemeinsamen Kliniktagen in Niebüll und haben die Anstellung auf fünf Jahre ausgelegt. Maurer stellt auch klar, dass er die Zweigpraxis nicht aus Altruismus betreibt.
"Wir wollen hier kein Geld von Leck nach Neukirchen umschichten. Die Zweigpraxis muss sich mittelfristig selbst tragen", sagt er. Das heißt, dass sie neben dem Gehalt von Scharfe auch das von eineinhalb Vollzeitkräften, die dort eingestellt werden, erwirtschaften muss.
Für den erfahrenen Anästhesisten und Notfallmediziner ist der Sprung in die Allgemeinmedizin eine Herausforderun: "Ich muss mein gewohntes Denkschema ablegen und mir abgewöhnen, immer sofort einen Notfall zu sehen."
Auch die Arbeit mit dem Praxiscomputer ist für ihn Neuland. Es gibt aber auch Parallelen zur früheren Tätigkeit, etwa der Kontakt mit allen Altersstufen.
Außer einem 80-stündigen Kurs in Psychosomatik kann Scharfe seine gesamte Weiterbildungszeit in der Praxis absolvieren - ab April in Neukirchen.
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