Familienmedizinischer Versorgungsansatz

Hausarzt für die ganze Familie ausdrücklich erwünscht

Rund die Hälfte der Bevölkerung befürwortet die Versorgung aller Familienmitglieder in ein und derselben Hausarztpraxis. Das zeigt eine Untersuchung des Instituts für Allgemeinmedizin des Uniklinikums Düsseldorf. Hausärzte benötigen dafür aber bestimmte Kompetenzen.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Die ganze Familie in guten Händen in der gleichen Hausarztpraxis.

Die ganze Familie in guten Händen in der gleichen Hausarztpraxis.

© Brian Jackson / stock.adobe.com

Düsseldorf. Hausärztinnen und Hausärzte stehen als Anlaufstelle für die gesamte Familie hoch im Kurs. Das zeigt eine Untersuchung des Instituts für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf. Danach wünscht sich rund die Hälfte der Bevölkerung, dass alle Familienmitglieder in derselben Hausarztpraxis versorgt werden.

Um den familienmedizinischen Versorgungsansatz fester zu verankern, müssen sich aber die Rahmenbedingungen verbessern, betont Institutsleiter Professor Stefan Wilm. Als Teil einer repräsentativen Bevölkerungsstudie sind im September 2020 insgesamt 2017 Menschen im Alter von 14 bis 96 Jahren befragt worden. Die Ergebnisse sind gerade im „Deutschen Ärzteblatt“ veröffentlicht worden. 45,6 Prozent der Befragten sind demnach dafür, dass alle Familienmitglieder in derselben Hausarztpraxis versorgt werden. 45,3 Prozent ist das nicht wichtig. 6,5 Prozent wollen explizit, dass ihre Familienmitglieder in verschiedenen Hausarztpraxen versorgt werden.

Wohnortunabhängige Meinung

Dabei spielen der Wohnort in der Stadt oder auf dem Land, das Geschlecht und ein möglicher Migrationshintergrund kaum eine Rolle. Die Befragung hat gezeigt, dass Personen mit höherem Haushaltseinkommen und solche aus größeren Haushalten eher eine gemeinsame Versorgung wünschen. Immer wieder heiße es, dass die hausärztliche Versorgung der ganzen Familie heute eigentlich keiner mehr wolle, sagt Wilm der „Ärzte Zeitung“. „Wir sind sehr erfreut, dass fast die Hälfte der Menschen diese Art der Versorgung doch möchte und nur wenige sie ganz ablehnen.“

Nach seinen Angaben ist schwer abzuschätzen, wie viele Familien zurzeit tatsächlich gemeinsam versorgt werden. Angesichts der vielfältigen Formen des Zusammenlebens und der unterschiedlichen Namen innerhalb der Familie sei die Zusammengehörigkeit oft nur schwer zu erkennen.

„In meinen 22 Jahren als Hausarzt habe ich schon öfter Familien betreut, ohne es zu wissen“, berichtet Wilm. Ältere Menschen, die seit vielen Jahren in einer Wohngemeinschaft zusammenleben, sollten seiner Meinung nach familienmedizinisch als Einheit betrachtet werden. Eine methodische Erfassung sei schwer.

Familienkonferenzen wären sinnvoll

An seinem Institut, das einen Forschungsschwerpunkt in der Familienmedizin hat, läuft zurzeit eine erste Erhebung zu dem Thema. „Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Hausärztinnen und Hausärzte tatsächlich ganze Familien versorgt. Aber wir wissen nicht, wie viele es sind und ob sie für die Aufgabe optimal aufgestellt sind“, sagt Wilm.

Klar ist für ihn, dass Hausärzte und Hausärztinnen für die familienmedizinische Versorgung fit gemacht werden müssen. „Man braucht gewisse kommunikative Kompetenzen, um mit Familien umzugehen.“ Er hält Familienkonferenzen für ein sinnvolles Instrument in den Praxen. Sie seien aber eine Herausforderung. „Hausärzte müssen sich entsprechend fortbilden“, fordert der Allgemeinmediziner, der in einer Gemeinschaftspraxis im Kölner Norden arbeitet.

Angepasste Praxiszeiten nötig

Für die familienmedizinische Versorgung müssten auch die Praxiszeiten angepasst werden, damit etwa der berufstätige Mann mit seiner dementen Mutter kommen kann. „Viele Praxen stellen sich schon darauf ein, aber da ist noch viel möglich.“

Handlungsbedarf sieht Wilm auch bei der Vergütung. Er fordert spezifische Abrechnungsziffern für die Familienkonferenzen oder Gruppenberatungen. Denn nach einer explorativen, nicht repräsentativen Erhebung des Instituts kommt rund ein Drittel der Patienten mit einer Begleitperson in die Hausarztpraxis, auch wieder weitgehend unabhängig von den jeweiligen Lebensumständen. „Die Menschen möchten das, und wir als Ärzte möchten das auch“, betont Wilm.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 16.12.202113:43 Uhr

Medien, Politik, Öffentlichkeit sind einerseits von Infektionsepidemiologie, Corona-Pandemie, Post-Covid, Burn-Out der Intensivpflege, Kollaps der Krankheits-Versorgung in Klinik/Praxis, prokrastinierten OPs/Krebstherapien, andererseits von Gesundheit, "healthy lifestyle", Ernährungs-, Umweltbewusstsein, Wellness, "Health-Literacy" geprägt.
Es tummeln sich aber auch Impfverweigerer, Systemkritiker, Coronaleugner, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker, Alternativmediziner, Besserwisser auf dubiosen Plattformen bis zur militant-kriminellen Szene.

Während z.T. aus Angst vor SARS-CoV-2-Infektionen/COVID-19-Erkrankungen panisch-hypochondrisch geringste Symptome überdiagnostiziert werden, sind mehr denn je Haus- und Familienärzte als Wegweiser/Leuchttürme gefragt.

Der Fokus ist wieder auf Anamnese, Untersuchung, Beratung, Differenzialdiagnostik, Labor, differenzierte Therapie, Prävention und Palliation von akuten, chronischen bzw. infausten oder impfpräventablen Krankheiten zu richten. Unkritisch-naive Überbetonung von Gesundheit verkennt den Ernst der Lage bei multimorbiden, meist älteren Chronikern. Haus- und familienärztliche Fragestellungen sind 40.000 Krankheitsentitäten und Verdachtsmomente. Ärzte sind Experten und Profis für Krankheitsvorsorge/-früherkennung, für detektivische Differenzialdiagnostik und Beratung, für multimodale Therapie und für Palliation bzw. Sterbebegleitung. Wir sind nicht primär Gesundheits- sondern Krankheitsexperten müssen Politik, Medien, Öffentlichkeit begreifen.

Haus-/familienärztliche Professionen betreiben Ressourcen-adäquate, plan-/sinnvolle Stufendiagnostik/-therapie. Unsere Kernkompetenz bewegt sich in biografischen Lebenswirklichkeiten der PatientInnen bzw. ihrer Beziehungsgeflechte. Alltag ist der Wechsel zwischen lapidaren Befindlichkeitsstörungen, nur scheinbar harmlosen Erstsymptomen und hochdramatischen Krankheiten bzw. Gefahrenabwehr/Entwarnung. Unser Metier ist lebenslange, generationen- und familienübergreifende, bio-psycho-soziale Begleitung. (Fortsetzung...)

Dr. Thomas Georg Schätzler 16.12.202113:12 Uhr

Auch wenn wir 80–85% aller Beratungsanlässe lösen, ist die Koordination aller medizinischer Leistungen eine unserer wesentlichen Kernkompetenzen. Doch die Pathologisierung und Medikalisierung des Alltags schreitet voran. Bei Bronchitis braucht’s ein Antibiotikum, bei Rückenschmerzen sofort NSAR bis zur periradikulären Injektionstherapie, bei Schnupfen und Sinusitis sofort Pharmakotherapie statt abwartende Allgemeinverfahren. Doch die irreführende Werbung mit Umcka Loabo, Gelomyrtol und fragwürdigen Zink-Kombinationen, Vitaminen etc. ist stärker. Hinter jedem Kopfschmerz steckt mindestens eine atypische Migräne oder gar SAB, abzuklären durch Notfall-CT und Schädel-MRT. Jede Prellung wird geröntgt, jede Verletzung zum Chirurgen geschickt, jede Arthrose zum Rheumatologen, jede Schilddrüse zum Radiologen.

Der diametrale Gegensatz zwischen klinischer Hochleistungsmedizin und der „Feld-, Wald- und Wiesenmedizin“ haus- und familienärztlicher Provenienz führt zu Verständnislosigkeit, Konflikten und Schuldzuweisungen. Wir müssen klarmachen, wo wir stehen — und damit in vielen Situationen auch unsere Patienten schützen. GKV und auch PKV befinden sich im ausbalancierten Spannungsverhältnis zwischen Solidarität der Versichertengemeinschaft, Selbstverantwortung und Subsidiarität. Sie müssen ausschließen, dass ihre Versicherten nach „Flatrate“- oder "all-you-can-eat"-Manier quasi besinnungslos Ressourcen abgreifen. Zu den Mitteln dagegen zählen Gesundheits- und Krankheitserziehung, Prävention, Impfberatumg, Stärkung präformierten medizinischen Allgemeinwissens. Aber auch alle anderen medizinischen Fachberufe und ÄrztInnen der Primärmedizin müssen gefordert und gefördert werden. Wir sollten den gesunden Menschenverstand der Patienten, ihre Gesundheits- und Krankheitskompetenz stärken, um Bagatellerkrankungen von gefährlich abwendbaren bzw. interventionsbedürftigen therapierbaren oder gar therapieresistenten Krankheitsentitäten zu differenzieren.

Mf+kG, Ihr Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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