Hausarztverträge im neuen Gewand
Schiedsverfahren haben es möglich gemacht: In Bayern gibt es mit fast allen Kassen wieder Hausarztverträge nach altem Recht. Doch was genau beinhalten die neuen Verträge? Und welche Praxen profitieren von den Vereinbarungen?
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Ärzte müssen jeden Patienten ansprechen, der für ein DMP infrage kommt.
© Klaus Rose
MÜNCHEN. Ab dem 1. Juli gibt es in Bayern bei fast allen gesetzlichen Krankenkassen wieder Verträge zur Hausarztzentrierten Versorgung (HzV-Verträge).
Bei der Entscheidung für oder gegen die Teilnahme an einem Hausarztvertrag sollte sich der Blick von Hausärzten jedoch nicht nur auf die Vergütung, sondern auch auf die Anforderungen und Pflichten richten.
Eine wichtige Rolle dürften auch Größe und Ausrichtung der Praxis sowie Patientenstruktur und Behandlungsschwerpunkte spielen.
Die Fallwertgrenze nach neuem Recht gilt nicht
Bei den neuen Hausarztverträgen in Bayern, die das Ergebnis von Vertrags- oder Schiedsverhandlungen zwischen dem Bayerischen Hausärzteverband (BHÄV) und den Krankenkassen sind, handelt es sich um Selektivverträge nach altem Recht.
Das heißt, die gesetzliche Beschränkung des Paragrafen 73b SGB V in seiner neuen Fassung, wonach der rechnerische durchschnittliche Fallwert in der HzV nicht höher sein darf als im Kollektivvertrag (Paragraf 73b, Abs. 5a), gilt bei diesen HzV-Verträgen nicht.
Gleichwohl enthalten die Verträge Budgetregelungen, die dafür sorgen sollen, dass die Kassen finanziell nicht überfordert werden.
Im Vergleich zu den alten Hausarztverträgen in Bayern, die von den Krankenkassen im Zusammenhang mit dem gescheiterten Systemumstieg des BHÄV Ende 2010 gekündigt worden waren, zeichnen sich die neuen HzV-Verträge durch eine stärkere Fokussierung auf die Betreuung von chronisch Kranken, alten Menschen und Palliativpatienten aus.
Morbi-RSA schlägt auf die einzelne Praxis durch
Bayerische Hausarztverträge auf einen Blick
Ab Juli gelten neue Regeln für Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV) in Bayern - für den BKK-Vertrag sogar schon ab April.
Wie die Verträge genau aussehen, können sich Hausärzte auf der Website des Bayerischen Hausärzteverbandes (BHÄV) ansehen.
Der Verband stellt unter dem Menüpunkt "Hausärzte" und dann "Hausarztverträge" sämtliche Unterlagen zu den Verträgen mit folgenden Kassen bereit: AOK, BKK, LKK, Ersatzkassen (EK), Vereinigte IKK, IKK Classic, IKK gesund plus und Techniker Krankenkasse (TK).
Neben den Qualitätsanforderungen, die an teilnehmende Ärzte gestellt werden, und den künftigen Pauschalen, ist vor allem eine Übersicht interessant: die Gegenüberstellung der Leistungspositionen aus alten und neuen Verträgen.
Hintergrund hierfür ist die Orientierung am morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA), der die Kassen zwingt, ihre Ist-Kosten im Vergleich zu den Norm-Erlösen so zu gestalten, dass in der Tendenz keine negativen Deckungsbeiträge entstehen. Damit schlägt das System des Morbi-RSA bis in die einzelnen Praxen durch.
Im Schiedsspruch für die Ersatzkassen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die HzV durch hervorgehobene Qualitätsanforderungen auszeichnet, die über die normale hausärztliche Versorgung hinausgehen.
Eine teilnehmende Hausarztpraxis habe in der Regel einen besonders hohen Anteil älterer und hochbetagter Menschen. Die Fortbildung sollte daher beispielsweise Grundkenntnisse der Palliativmedizin, der Schmerztherapie sowie der Behandlung von Alterserkrankungen sowie geriatrischen Krankheitsbildern umfassen.
Die Versorgung chronisch kranker Menschen sei denn auch einer der wesentlichen versorgungspolitischen Gründe für eine HzV, heißt es in der Begründung zum Schiedsspruch.
Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich zumindest im AOK-Hausarztvertrag Versicherte und Hausärzte neu einschreiben müssen.
Am alten AOK-Vertrag haben am Schluss immerhin 2,6 Millionen Versicherte und mehr als 7.000 Hausärzte teilgenommen. Bei den Ersatz- und Betriebskrankenkassen ist eine Neueinschreibung hingegen nicht erforderlich.
Teilnehmen dürfen auch MVZ
Nach der Definition der neuen HzV-Verträge umfasst der Versorgungsauftrag der Hausarztverträge die regelhafte hausärztliche Versorgung und die besondere hausärztliche Versorgung, hausärztliche Leistungen zu Prävention und Krankheitsfrüherkennung sowie allgemeine ärztliche Leistungen, die von Hausärzten zur Diagnostik und Therapie angewandt werden.
Teilnehmen können bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) zugelassene Hausärzte sowie Medizinische Versorgungszentren (MVZ), die an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen.
Der bürokratische Aufwand, der mit der Teilnahme an der HzV für die Praxis verbunden ist, sollte nach Ansicht von Experten nicht unterschätzt werden. Deshalb sollte jeder Hausarzt die Vertragsunterlagen genau durchlesen und prüfen, ob Aufwand und Ertrag im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Unter Umständen sind auch zusätzliche Investitionen erforderlich, etwa in die IT-Struktur der Praxis.
Der Aufwand in den Praxen ist nicht zu unterschätzen
Für die Teilnahme gelten in allen Verträgen besondere Qualifikations- und Qualitätsanforderungen. Dazu gehören eine apparative Mindestausstattung (Blutzuckermessgerät, Blutdruckmessgerät, EKG, Spirometer mit FEV1-Bestimmung) sowie eine hinreichende apparative Ausstattung zur Behandlung und Vorsorge von Kindern unter 15 Jahren.
Bis Jahresende muss der Hausarzt die Berechtigung zur Verordnung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation, die Berechtigung zur Erbringung psychosomatischer Leistungen sowie die Fortbildung "geriatrisches Assessment" nachweisen.
Eine weitere Voraussetzung ist die aktive Teilnahme an allen hausärztlich relevanten strukturierten Behandlungsprogrammen (DMP): Versicherte, die für die Einschreibung in ein DMP infrage kommen, sollen entsprechend informiert und motiviert werden. Verlangt wird außerdem ein behindertengerechter Zugang zur Praxis und die Gewährleistung einer Versorgung von Behinderten durch die Praxis.
Um die Pflicht-Software kommen Ärzte nicht herum
Ärzte, die an Hausarzt-Verträgen teilnehmen wollen, bei denen der Hausärzteverband Vertragspartner ist, müssen für die Abrechnung und Dokumentation eine spezielle Vertragssoftware nutzen. Das gilt übrigens nicht nur für die bayerischen Hausarztverträge.
Die Nutzung der Vertragssoftware ist verpflichtend in den einzelnen Verträgen festgeschrieben. Dabei dürfen Ärzte nur die vom Hausarztverband bzw. von der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft (HÄVG), die sich um die Abrechnung der Verträge kümmert, zugelassenen Software-Module nutzen.
Mittlerweile arbeite die HÄVG aber mit 60 der rund 160 Praxissoftware-Hersteller in Deutschland zusammen, berichtet der Bayerische Hausärzteverband (BHÄV) auf seiner Website. Die großen Praxis-EDV-Häuser haben auch nahezu alle bereits das entsprechende HzV-Modul in ihre Software integriert.
Nur, die Kosten sind bei den EDV-Häusern sehr unterschiedlich. Während einige - wie etwa Duria - sich nur die Wartung nicht aber die reine Installation bezahlen lassen, verlangen andere allein für die Installation schon 200 Euro oder mehr.
Und diese Kosten muss der Arzt - ebenso wie die Bereitstellung eines Online-Anschlusses - selbst tragen.
Eine wichtige Voraussetzung für die Teilnahme an der Hausarztzentrierten Versorgung ist die Ausstattung der Praxis mit einer zugelassenen Vertragssoftware von Anfang an und in der jeweils aktuellen Version.
Die IT-Kosten samt Software trägt der Arzt
Dazu gehört auch ein onlinefähiges Praxiscomputersystem und die Internetanbindung der Praxis über DSL oder ISDN.
Sämtliche Kosten der Vertragssoftware, der Hardware und deren Nutzung trägt der Hausarzt. Auch die Ausstattung mit einem Faxgerät wird verlangt.
Hausärzte, die sich in einen HzV-Vertrag einschreiben, müssen an mindestens drei strukturierten Qualitätszirkeln zur Arzneimitteltherapie unter Leitung entsprechend geschulter Moderatoren teilnehmen.
Erwartet wird eine konsequente Behandlung nach Leitlinien, die für die hausärztliche Versorgung entwickelt wurden, und die Erfüllung der Fortbildungspflicht durch Teilnahme an Fortbildungen zu hausarzttypischen Themen sowie die Einführung eines anerkannten Qualitätsmanagements.
Selbst in die Sprechzeiten wird eingegriffen
Zusätzlich zu den regulären Sprechstunden von Montag bis Freitag soll die Praxis für Berufstätige eine Früh- oder Abendsprechstunde pro Woche oder eine Samstagssprechstunde anbieten. Eingeschriebene Versicherte sollen maximal 30 Minuten warten müssen.
Die Überweisung an Fachärzte soll unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes erfolgen, und in dringenden Fällen soll die Praxis zeitnah Facharzttermine vermitteln.
Auch auf die Koordinationsfunktion des Hausarztes zur Vermeidung von Doppeluntersuchungen wird in den Verträgen besonders Wert gelegt. Dazu gehören die Sammlung, Dokumentation und Übermittlung aller relevanten Befunde im Rahmen von Überweisungen an den Facharzt und bei stationären Einweisungen.
Auch soll der Hausarzt prüfen und entscheiden, ob vor der Einweisung in ein Krankenhaus zunächst ein ambulant tätiger Facharzt einzuschalten ist. Ambulante Operationen sollen dort, wo es möglich ist, bevorzugt werden.
Für AOK-Versicherte gibt es weniger Pauschalen
Der Vergleich von altem und neuem AOK-Hausarztvertrag zeigt eine deutliche Kürzung bei den abrechenbaren Pauschalen. |
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Pauschalen |
bis 31.12.2010 | ab 1.7.2012 |
Strukturpauschale P1 (kontaktunabhängig) |
8,75 m / Quartal | Entfällt |
Grundpauschale P2 (kontaktabhängig) |
47,50 m / Quartal | 40,00 m / Quartal |
Besondere Betreuungspauschale bzw. Chronikerzuschlag P3 |
26,00 m / Quartal | 10,00 m / Quartal 27,50 m / Quartal 55,00 m / Quartal |
Kleinkindpauschale |
17,50 m / Quartal | Entfällt |
Vertreterpauschale |
25,00 m (1x im Quartal) | 12,50 m (2x im Quartal) |
Vertreterpauschale Sonderfall |
12,50 m (1x im Quartal) | Entfällt |
Vertreterpauschale Kinderarztvertrag |
25,00 m (2x im Quartal) | Entfällt |
Vertreterpauschale Netzvertrag |
25,00 m (1x im Quartal) | Entfällt |
Zielauftragspauschale | 12,50 m / Quartal | 5,00 m zzgl. Einzelleistungen |
Quelle: Bayerischer Hausärzteverband - Tabelle: Ärzte Zeitung |
Hinzu kommen eine ganze Reihe bürokratischer Anforderungen, die Hausärzte, die an der HzV teilnehmen, erfüllen müssen.
Dazu gehören die Übermittlung der erforderlichen Angaben für die Abrechnung, die zeitnahe Übermittlung von schriftlichen Informationen und Auskünften an die Krankenkasse, eine sorgfältige Leistungsdokumentation und Übermittlung der Diagnosen in Verbindung mit der jeweils aktuellen Klassifikation der Krankheiten.
Die Vertragssoftware soll bei Verordnungen, Überweisungen und bei der Abrechnung eingesetzt werden. Erwartet wird eine aktive Unterstützung der Versorgungssteuerung durch die Krankenkasse.
Straffe Honorarregeln sollen Arztbesuche steuern
Schließlich wird von den teilnehmenden Hausärzten erwartet, dass sie alle Möglichkeiten wahrnehmen, damit eingeschriebene Versicherte während eines Quartals nicht mehrere Hausärzte aufsuchen.
So sieht die Vergütung im BKK-Vertrag aus
Die neuen Vergütungsregeln im BKK-Vertrag gelten bereits ab April. | ||
Pauschalen | Anschlussvereinbarung ab 1.4.2012 | |
Altersgestaffelte kontaktabhängige Grundpauschale Altersstufe A: bis 5 Jahre Altersstufe B: 6 - 59 Jahre Altersstufe C: › 60 Jahre |
Grundpauschale A: 40,00 m / Quartal Grundpauschale B: 32,00 m / Quartal Grundpauschale C: 47,00 m / Quartal |
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Kontaktabhängige Vertreterpauschale | 12,50 m (1x im Quartal) | |
Zielauftragspauschale |
5,00 m / Quartal zzgl. Einzelleistungen | |
Quelle: Bayerischer Hausärzteverband - Tabelle: Ärzte Zeitung |
Sollten sich Überzahlungen oder Erstattungsansprüche gegenüber dem Hausarzt ergeben, kann die Kasse bis zu fünf Prozent des Honorars einbehalten und im nächsten Quartal verrechnen. Wirtschaftlichkeit und die Qualität der Leistungserbringung werden von der Kasse geprüft.
Die Vergütung von Leistungen der besonderen hausärztlichen Versorgung sind in den verschiedenen Hausarztverträgen zwar unterschiedlich geregelt. Gemeinsam ist jedoch eine starke Pauschalierung der Leistungen (siehe Tabellen).
Neben einer kontaktabhängigen Grundpauschale gibt es auch pauschalierte Chronikerzuschläge, Vertreterpauschalen und Zielauftragspauschalen.
Besuchsleistungen, Präventionsleistungen, Untersuchungen zur Krankheitsfrüherkennung und Impfungen sind als Einzelleistungen abrechenbar. Besuchsleistungen einer Medizinischen Fachangestellten (MFA) mit der Qualifikation "Versorgungsassistentin der Hausarztpraxis" (VERAH) werden gesondert vergütet.
Auch die Ersatzkassen drehen zum Teil an den Pauschalen
Gab es in den Altverträgen noch eine Strukturpauschale, müssen Hausärzte darauf ab Juli verzichten. | |||
Pauschalen (P) | Ersatzkassen-Vertrag 2010 | TK-Vertrag ab 1.7.2012 | Ersatzkassen-Vertrag ab 1.7.2012 |
Strukturpauschale P1 | 65,00 m pro Versichertenteilnahmejahr |
Entfällt | Entfällt |
Grundpauschale P2 (kontaktabhängig) |
40,00 m im Quartal max. 3 x pro Versichertenteilnahmejahr |
95,00 m für 1. Versichertenteilnahmehalbjahr 50,00 m für 2. Versichertenteilnahmehalbjahr |
40 m / Quartal |
Vertreterpauschale | 17,50 m (1 x im Quartal) | 12,50 m (1 x im Quartal) | 12,50 m (2 x im Quartal) |
Zielauftragspauschale | 17,50 m zzgl. Einzelleistungen, wenn vorhanden |
12,50 m zzgl. Einzelleistungen, wenn vorhanden | 12,50 m zzgl. Einzelleistungen, wenn vorhanden |
Quelle: Bayerischer Hausärzteverband - Tabelle: Ärzte Zeitung |
Lohnend sind die Verträge für Versorgerpraxen
Als Vertragspartner für die neuen Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung in Bayern kommen nach Ansicht von Experten in erster Linie sogenannte Versorgerpraxen in Betracht.
Zwar gleiche keine Hausarztpraxis der anderen. Wegen des bürokratischen Mehraufwandes, eventuell notwendiger Investitionen in die IT-Struktur der Praxis und der Wahrnehmung koordinierender Aufgaben seien größere Hausarztpraxen vermutlich eher in der Lage, die neuen Hausarztverträge mit Leben zu erfüllen.
Die Versorgungslandschaft würde sich durch die HzV-Verträge in den nächsten Jahren stark verändern, meint denn auch ein Insider.
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