Informationsfreiheit vs. Wissenschaft
Hört bei Glyphosat das Urheberrecht auf?
Dürfen staatliche Forschungseinrichtungen noch nicht publizierte Infos unter Verschluss halten? Ein aktuelles Urteil zur Informationsfreiheit ärgert das Bundesinstitut für Risikobewertung.
Veröffentlicht:Köln/Berlin. Es war 2019 ein bis dato einmaliger Vorgang für das Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR): Eine Stellungnahme zu Glyphosat aus dem Jahr 2015 bescherte der Behörde rund 43 .000 Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Die Anfragenden forderten eine nicht veröffentlichte zusammenfassende wissenschaftliche Stellungnahme des BfR zur Monografie der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC über den Wirkstoff Glyphosat an.
Das BfR hatte sich dazu entschieden, diese Stellungnahme allen Antragstellenden über eine nicht öffentlich zugängliche BfR-Internetseite individuell zugänglich zu machen – durch individuelle Zugangsdaten. Dieses Vorgehen landete beim Oberlandesgericht (OLG) Köln, welches nun offensichtlich nicht im Sinne des BfR geurteilt hat.
Im Kern ging es um die Klärung zweier Fragen: Haben staatliche Forschungseinrichtungen geistiges Eigentum an ihren Werken? Und: Erlaubt die Pressefreiheit eine Veröffentlichung ohne Zustimmung des Urhebers?
Das BfR hatte Mitte 2019 nach einer auf der Online-Plattform „FragDenStaat“ von ihm nicht autorisierten Veröffentlichung seiner Stellungnahme zum Pflanzenschutzmittelwirkstoff Glyphosat, die seiner Aussage nach für das Bundeslandwirtschaftsministerium als Entscheidungshilfe im Rahmen des europäischen Prüfverfahrens zur Wiederzulassung des Stoffes Glyphosat konzipiert gewesen war, das Landgericht (LG) Köln angerufen und wollte einen Unterlassungsanspruch nach dem Urheberrechtsgesetz geltend machen – mit negativem Ausgang. In zweiter Instanz wies auch das OLG Köln die Klage nun am Mittwoch ab, wie das BfR vor Kurzem mitteilte.
Urhebernutzungsrecht erloschen
Wie das OLG in seinem Urteil, das der „Ärzte Zeitung“ vorliegt, ausführt, habe das BfR mit dem mailgestützten Zugang zu dem Dokument seiner aus dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) resultierenden Pflicht genügt – aber auch sein Urheberrecht verloren.
Der Inhalt des Dokuments sei von „hoher gesellschaftspolitischer Bedeutung“, heißt es in dem Urteil. Es betreffe die wichtige und seit Jahren kontrovers diskutierte Frage nach der Auswirkung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen und Tiere. Und weiter: „Das insoweit bestehende spezifische Verbreitungsinteresse wird nicht bereits durch die Veröffentlichung des 95 Seiten langen Addendums in englischer Sprache abgedeckt. Der seit Jahren anhaltende Diskurs um das Pflanzenschutzmittel Glyphosat und seine (Neu)Zulassung erfordert vielmehr eine zusätzliche urheberrechtsfreie Verbreitung gerade der streitgegenständlichen Zusammenfassung in deutscher Sprache.“
Die Tatsache, dass bis Ende letzten Jahres bereits über 43.000 Einsichtnahmen erfolgt seien, belege ein „erhebliches Informationsinteresse der anfragenden Bürger und – damit korrespondierend – das Interesse des Beklagten, den berechtigten Anfragen ordnungsgemäß nachzukommen und die bedeutsamen Informationen nunmehr ohne weiteres gegenüber jedermann freizugeben“, so die Kölner Richter.
BfR: „Urteil nationaler Tragweite“
Für BfR-Präsident Professor Andreas Hensel ist das Urteil so nicht hinnehmbar, da es nationale Tragweite habe. „Die juristische Bewertung solcher Vorgänge ist für wissenschaftlich tätige Einrichtungen von hoher Bedeutung“, so Hensel. Das Urteil ist laut BfR noch nicht rechtskräftig. Das OLG Köln habe die Revision zum Bundesgerichtshof zwar nicht zugelassen. Das BfR prüfe deshalb wegen der grundsätzlichen Bedeutung eine Nichtzulassungsbeschwerde.
„Der Vorgang zeigt auf, dass das BfR keine Informationen zurückgehalten, sondern Informationszugang ermöglicht hat. Der zuweilen erhobene Vorwurf, das BfR nutze das Urheberrecht missbräuchlich, um Erkenntnisse über den Pflanzenschutzmittelwirkstoff Glyphosat geheim zu halten, ist damit widerlegt“, heißt es in einer BfR-Mitteilung zum Urteil.
Negative Konsequenzen für Forscher?
Das BfR spannt den Bogen über seinen konkreten Fall noch weiter in das generelle Forschungsgeschehen hinein. So zeichne sich die Arbeit des BfR durch ihren wissenschaftlichen, forschungsgestützten Ansatz aus, der alle Aufgabenfelder der Behörde durchziehe. In der Wissenschaft würden neue Erkenntnisse regelmäßig in Fachzeitschriften veröffentlicht. „Diese lassen Publikationen gutachterlich auf wissenschaftliche Korrektheit prüfen und nehmen sie nicht an, wenn die Ergebnisse bereits anderweitig veröffentlicht wurden. Vor diesem Hintergrund ist es von wesentlicher Bedeutung für das BfR, wer das Erstveröffentlichungsrecht und die weiteren Nutzungsrechte an seinen geistigen Werken hat“, gibt das Institut zu bedenken.
Die Argumentation des BfR bezieht als quasi die Interessen der gesamten Wissenschaftscommunity mit ein. So soll Benachteiligungen von Forschern vorgebeugt werden, die in ähnlich gelagerten Fällen um ihre Publikation in einem Journal gebracht werden könnten – wenn der vom BfR beschriebene Fall je eintreten sollte.
Oberlandesgericht Köln, AZ.: 6 U 146/20