Mammografie-Pfusch
KV übt Schadensbegrenzung
Noch immer nebulös sind die Vorgänge um einen Essener Radiologen, der trotz vermeintlich fehlender Qualifikation Mammografie-Screenings durchgeführt haben soll. Um betroffenen Frauen Sicherheit zu bieten, will die KV für eine schnelle Zweitbefundung sorgen.
Veröffentlicht:KÖLN. Angesichts der Berichte über Qualitätsdefizite beim Mammografie-Screening in der Region Oberhausen/Essen/Mülheim suchen die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNo) und die Krankenkassen nach Wegen, verunsicherten Frauen möglichst zeitnah eine Zweitbefundung anzubieten. "Wir arbeiten an einer Lösung", sagt der KVNo-Vorsitzende Dr. Peter Potthoff. Einzelne Kliniken in Essen bieten bereits von sich aus Frauen eine Zweitmeinung an.
Ein Essener Radiologe sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, als Programmverantwortlicher Arzt (PVA) für das Screening von 2010 bis 2013 ohne die notwendige Qualifikation gearbeitet zu haben. Er soll die jährlich geforderte Anzahl von 50 Biopsien nicht nachgewiesen haben.
Die KVNo hat dem Arzt im Oktober 2013 den Versorgungsauftrag entzogen, nachdem ihm das Referenzzentrum Mammografie Münster die Rezertifizierung verweigert hatte. Dagegen klagt der Arzt vor dem Sozialgericht. Seit 2010 sind sieben Verfahren rund um das Mammografie-Screening anhängig.
Damals hat die KVNo dem Radiologen erstmals aus formalen Gründen den Versorgungsauftrag entzogen, ebenso wie seinem ehemaligen Praxispartner. Der Kollege war auch als PVA tätig, in seiner Hand lagen die Biopsien. Die Ärzte waren 2010 im Streit auseinandergegangen - und wollen beide wieder Leiter des Screenings werden.
Die Gemengelage ist ausgesprochen unübersichtlich. Der Radiologe hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Nach eigenen Angaben hat er seit 2010 die notwendigen Brustbiopsien selbst erstellt. "Insgesamt wurden 1240 Ultraschallbiopsien und 617 Vakuumsaugbiopsien und 98 Biopsien unter Röntgenkontrolle fachgerecht durchgeführt", teilte er mit.
Mehrere Anzeigen gegen den Arzt
Eine Prüfung für die Durchführung von Stanzbiopsien hat der Arzt mittlerweile bestanden. An seiner Qualifikation zum korrekten Befunden bestanden nach Angaben der KVNo keine Zweifel.
Inzwischen haben die gynäkologischen Chefärzte von vier Essener Kliniken den Radiologen gegen die Anschuldigungen verteidigt. Andererseits waren schon vor Bekanntwerden der Vorwürfe Ärzte aus Essen bei der KV, um auf Qualitätsdefizite des Kollegen aufmerksam zu machen.
Gegen den Arzt wurden mehrere Anzeigen wegen fahrlässiger Körperverletzung gestellt. Die Staatsanwaltschaft sah aber keine Anhaltspunkte für die Aufnahme von Ermittlungen. Die Kooperationsgemeinschaft Mammografie bescheinigt der Essener Screening-Einheit "gravierende Mängel" - verweigert aber genauere Angaben.
"Die Standards wurden nicht erfüllt, so dass eine Rezertifizierung verweigert wurde." Frauen, denen dort eine Gewebeprobe entnommen wurde, könnten sich nicht sicher sein, dass die Ergebnisse stimmen, teilt die Einrichtung mit. Verunsicherte Frauen verweist sie an die KVNo.
Bei Anfragen werde zunächst geprüft, von wem die Befunde stammen, erläutert KVNo-Chef Potthoff. Schließlich werden vom PVA sämtliche Schreiben an die Teilnehmerinnen des Screenings unterschrieben.
"Wenn jemand anderes der Befunder war, teilen wir den Frauen mit, dass eine zweite Befundung nicht notwendig ist." Den anderen Patientinnen soll diese Möglichkeit zur Verfügung stehen.
"Wir müssen dem akuten Bedürfnis der Patientinnen nach Sicherheit Rechnung tragen", betont der Vorstand der AOK Rheinland/Hamburg Matthias Mohrmann. Die Krankenkassen unterstützten die KVNo bei der Suche nach einem Angebot.
Für Mohrmann hat ein Aspekt große Bedeutung: "Beim Mammografie-Screening gibt es immer ein Vier-Augen-Prinzip." Das mindere das Risiko von Fehldiagnosen erheblich.
Hat das Ministerium geschlafen?
Nach Einschätzung von Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, verdeutlichen die Vorgänge in Essen Fehler im System: Die Politik sei in solchen Fragen zu schwach, die Selbstverwaltung zu stark. "Das Prinzip der Selbstverwaltung darf nicht dazu führen, dass sich die Politik aus der Verantwortung zurückzieht."
Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium hätte sich im Sinne des Patientenschutzes viel früher einschalten müssen, findet Brysch.
"Bei Verdacht auf qualitative Mängel muss es eine Berichtspflicht der KV an das Ministerium geben, und zwar bundesweit, nicht nur in Nordrhein-Westfalen", fordert er. Zumindest durch die Sozialgerichtsverfahren habe das Ministerium von den Bedenken gegen den Arzt gewusst.
Das Gesundheitsministerium sei zu keinem Zeitpunkt in die Rechtsstreitigkeiten eingebunden gewesen, sagt dagegen Sprecher Christoph Meinerz. Allen bekannt gewordenen Vorwürfen sei man nachgegangen. "Die KV als zuständige Stelle hat stets plausibel erklärt, im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten die jeweils erforderlichen Maßnahmen eingeleitet zu haben."
Das Wichtigste ist auch aus Sicht des Ministeriums, den verunsicherten Frauen kurzfristig Hilfe anzubieten. Die KV müsse entscheiden, welche konkreten Maßnahmen im Sinne der Frauen erforderlich und sinnvoll seien.
"Die KV muss auch darlegen, ob Frauen, die aktuell oder in Zukunft das Mammografie-Screening in Essen in Anspruch nehmen wollen, sich auf die ihnen anschließend vorgelegten Ergebnisse verlassen können", betont Meinerz.