Ökonomisierung der Medizin
Krankenhausärzte – Op-Knechte oder Verteidiger freier Therapien?
Der Kampf um das Erreichen der wirtschaftlichen Ziele von Kliniken wird zu sehr auf dem Rücken der Krankenhausärzte ausgetragen, monieren Deutschlands Fachärzte. Sie sehen ihre Kollegen zunehmend in der Rolle der Leibeigenen statt in der eines Freiberuflers.
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Freier Beruf? Fachärzte sehen ihre Kollegen in den Kliniken dem ökonomischen Diktat ihres Trägers unterworfen.
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Berlin. Die gegenwärtige Corona-Pandemie befeuert unter Ärzten die alte Debatte um Medizin und Ökonomie wieder. Viele Kliniken haben bereits bekundet, dass sie mit den auf dem Krankenhausentlastungsgesetz fußenden Zuwendungen in Höhe von 560 Euro je Tag und der Bereitstellung von Kapazitäten für COVID-19-Patienten geschuldeten, entgangenen Patienten wirtschaftlich nicht zu Rande kommen werden.
Durch den wochenlangen Wegfall sämtlicher elektiver – und damit zuvörderst privat zu liquidierender – Eingriffe werden die Kliniken vor zum Teil große wirtschaftliche Herausforderungen gestellt.
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Und dieser Kampf um die Erreichung der wirtschaftlichen Ziele wird auf dem Rücken der Krankenhausärzte ausgetragen, moniert der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFA) mit weiteren Berufsverbänden in einem am Donnerstag veröffentlichten „Memorandum der freien Verbände“.
„Auch leitende Ärzte waren früher unabhängiger, weil sie unter anderem durch persönliche Ermächtigungen bei der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt oder ambulant und stationär privatärztlich tätig waren, wobei diese Einnahmen ihnen direkt zu Gute kamen.
Fahrlässig hat man diese Einkünfte dem Krankenhaus überlassen, obwohl man unverändert die Leistung weiter persönlich erbringen muss – teilweise mit strafrechtlichen Konsequenzen bei Ermächtigungen im Rahmen der Kassenärztlichen Versorgung“, heißt es im Memorandum.
Schlussfolgerung der Fachärzte: Durch dieses Abdingen des Rechts auf die direkte eigenverantwortliche Liquidation beim Patienten an den Klinikträger habe man eine stetig stärker werdende Abhängigkeit der ärztlichen Entscheidung und den ökonomischen Einfluss auf das Patienten-Arzt-Verhältnis in Kauf genommen.
Rolle rückwärts angemahnt
Die Fachärzte halten den jetzigen Zustand für ungesund und unhaltbar. „Diese Entwicklung muss zurückgedreht werden, in dem man bis hin in die Berufsordnung regelt, dass die rechtlichen Grundlagen für die beschriebenen Nebeneinnahmen nicht mehrvertraglich abgedungen werden dürfen, wenn diese Leistungen höchstpersönlich erbracht werden müssen. Die Krankenhausärzte haben dazu die Unterstützung der einschlägigen Berufsverbände und freien Verbände“, steht es im Memorandum geschrieben.
Wie die Fachärzte weiter ausführen, habe mit dem Belegarztwesen ein Modell bestanden, das exemplarisch für die Unabhängigkeit des Arztes und damit die freie Berufsausübung inklusive Hoheit über die Therapie auch de facto bestanden habe. Einziges Manko: Es gibt so gut wie keine Belegärzte mehr.
Schützenhilfe von EuGH und BGH beansprucht
Um für die Wiedererlangung der Unabhängigkeit in ihrer Berufsausübung zu kämpfen, holen sich die Fachärzte Schützenhilfe beim Europäischen Gerichtshof (EuGH).
„Freie Berufe sind Tätigkeiten, die ausgesprochenen intellektuellen Charakter haben, eine Qualifikation verlangen und gewöhnlich einer genauen und strengen berufsständischen Regelung unterliegen. Bei der Ausübung einer solchen Tätigkeit hat das persönliche Element besondere Bedeutung und diese Ausübung setzt auf jeden Fall eine große Selbstständigkeit bei der Vornahme der beruflichen Handlung voraus“, urteilte der EuGH im Oktober 2001.
Auch auf Ausführungen des Bundesgerichtshofes (BGH) rekurrieren die Fachärzte, um ihren Forderungen nach mehr Freiheit in der Berufsausübung Nachdruck zu verleihen. Im November 1977 habe der BGH klargestellt, dass der Arzt seine Heilbehandlungstätigkeit unabhängig und weisungsfrei erbringen müsse – und zwar unabhängig davon, in welchem Rechtsverhältnis und in welcher Form er seinen Beruf ausübe.
Last but not least verweist das Memorandum auf den Deutschen Ethikrat, der im April 2016 unter der Überschrift „Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus“ bezweifelt habe, dass das Prinzip Patientenwohl bei den derzeitigen Leitungsstrukturen in der stationären Versorgung noch gesichert sei.
Der Ethikrat fordere deshalb eine gleichberechtigte Führung des Krankenhauses mit kaufmännischer Verwaltung, ärztlicher Leitung und Pflegedienst, wobei eine Ethikkommission als Schiedsamt fungieren könnte.
Kein Ausweg aus der Krise?
Dass die Fachärzte mit ihrem Memorandum in der Gesundheitspolitik auf Gehör stoßen und sich die Zeiten für die Klinikärzte rasch ändern werden, ziehen die Mediziner derweil anscheinend selbst in Zweifel.
„Wie kann man die offensichtlich aus dem Lot geratene Orientierung am Patientenwohl in der Krankenhausversorgung wieder richten? Natürlich durch eine Forderung nach gesetzlichen Vorgaben, die den Vorschlägen des Ethikrates entsprechen. Dazu wird aber die Politik nicht bereit sein, hat doch gerade sie die ökonomische Steuerung des Gesundheitswesens im Interesse der Beitragsstabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als oberstes Wirkprinzip eingeführt und per Sozialgesetzbuch bis in die letzten Regulierungen durchdekliniert. Die als Regulativ gedachte Selbstverwaltung hat dabei kaum noch Handlungsspielraum und ist zu einer großen Gesundheitsbehörde degeneriert“, schreiben die Fachärzte in ihrem Memorandum.