Berlin

MVZ contra KV - der Fall Vivantes

Wachstumschancen, ärztliche Arbeitszeit, Abrechnungs- und Vetretungsregularien: Gelegenheiten, mit der KV aneinander zu geraten, gibt es für MVZ etliche - wie das Beispiel Vivantes in Berlin zeigt.

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Der kommunale Klinikkonzern Vivantes betreibt auch elf MVZ, die jährlich rund 15 Millionen Euro erlösen.

Der kommunale Klinikkonzern Vivantes betreibt auch elf MVZ, die jährlich rund 15 Millionen Euro erlösen.

© Paul Zinken / dpa

BERLIN. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und niedergelassene Ärzte sollen gleichbehandelt werden. Doch dieser Grundsatz des Vertragsarztrechts macht bei der Umsetzung oft Probleme.

Das zeigen zahlreiche Auseinandersetzungen zwischen MVZ und ihren Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). In Berlin etwa ficht die MVZ-Tochter des kommunalen Klinikriesen Vivantes einige Streitfragen vor Gericht durch.

"Da sind wir bei grundsätzlichen Fragestellungen durchaus systemisch unterwegs.", sagte der Geschäftsführer der Vivantes MVZ GmbH Dr. Axel Rösler im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

So hat die Berliner MVZ-Gesellschaft vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erst kürzlich die Anwendung der Jungarztregelung zugebilligt bekommen - ein Urteil, das auch der Bundesverband der MVZ als großen Erfolg wertete.

Händel wegen Wochenarbeitszeit

Die meisten Schwierigkeiten treffen nicht nur das große Klinik-MVZ, sondern auch viele kleine MVZ. Streit gibt es in Berlin unter anderem um die Kriterien für die Plausibilitätsprüfung.

Rösler hält es für ungerechtfertigt, dass niedergelassenen Ärzten 60 Wochenstunden, angestellten aber nur 40 zugestanden werden. Wenn die KV-Berlin bei dieser Einschränkung schon auf das Arbeitszeitgesetz Bezug nehme, müsste sie Angestellten wenigstens 48 Wochenstunden zubilligen, meint der MVZ-Chef.

Arbeitsrecht und KV-Recht reiben sich aber auch anderweitig. Rösler nennt ein Beispiel, das ein MVZ mitunter viel Geld kosten kann: "Eine arbeitsrechtlich notwendige fristlose Kündigung eines Arztes ist kein Vertretungsgrund."

Die Folge: Die Fallzahlen brechen weg, da ein Arzt ja ad hoc nicht ersetzt werden kann. Und in der Folge schrumpft das Regelleistungsvolumen.

Ebenfalls noch strittig ist der Umgang mit Weiterbildungsassistenten. Sie sind in Einzelpraxen grundsätzlich einem Arzt zugeordnet. Macht der Arzt Urlaub, muss auch der Assistent Urlaub machen.

"In größeren Einheiten mit mehreren Weiterbildungsbefugten und -assistenten ist diese Regelung aber nicht sinnvoll. Leider sieht das Vertragsarztrecht keine Vertretung von Weiterbildungsbeauftragten vor", so Rösler. Ein Fall für das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz II?

Probleme hatte die Vivantes MVZ GmbH auch mit der Zulassung zur Onkologie-Vereinbarung. Für die Teilnahme an der Sonderabrechnung für onkologisch qualifizierte Hausärzte forderte die KV laut Rösler, dass Ärzte mindestens 30 Wochenstunden ambulant arbeiten.

Ein Arzt der halbtags oder weniger im MVZ tätig war, konnte in seiner parallelen Krankenhaustätigkeit noch so viele Krebspatienten behandeln - er durfte trotzdem nicht nach der Onkologie-Vereinbarung abrechnen.

"Dabei ist es gerade in der Onkologie sinnvoll, dass derselbe Arzt einen Patienten stationär und ambulant betreut", so Rösler. Hinzu kommt: Erst die Onkologievereinbarung bringt hausärztlich tätigen Onkologen in Berlin eine halbwegs adäquate Vergütung der Behandlung von Krebspatienten.

KV Berlin und die Vivantes MVZ GmbH hatten sich dazu vor Gericht zunächst auf einen Kompromiss verständigt. Der sah vor, dass auch MVZ-Ärzte mit 20 Wochenstunden an der Onkologie-Vereinbarung teilnehmen dürfen.

 Immer noch unberücksichtigt blieben aber die Klinik-Onkologen, die nur für zehn Wochenstunden in den Vivantes-MVZ arbeiten.

Schließlich entschied das Landessozialgericht, dass auch ein Viertel-Sitz zur Teilnahme an der Onkologievereinbarung ausreicht, wenn die notwendige Fallzahl darauf erreicht wird.

Vorwurf des Abrechnungsbetrugs

Neben vielen sozialrechtlichen Streitfragen steht der Vivantes-MVZ-Tochter möglicherweise auch noch ein Strafprozess ins Haus. Nach der 2011 erfolgten Selbstanzeige lautet der Hauptvorwurf, dass die Vivantes MVZ GmbH ambulante Behandlungen von Patienten abgerechnet habe, die am Behandlungstag stationär im Krankenhaus waren.

Das kann Rösler zufolge aber durchaus vorkommen, zum Beispiel am Entlasstag nach der Entlassung, wenn der Patient seine ambulante Nachbehandlung mit dem MVZ-Arzt bespricht.

"Würde das Gleiche beim niedergelassenen Arzt passieren, wäre es kein Problem, da dieser seine Patienten nicht fragt, ob sie gerade aus einem Krankenhaus kommen oder sogar noch stationär aufgenommen sind", meint Rösler.

Dennoch hat man bei den Vivantes-MVZ bereits Konsequenzen aus dem Verdacht des Abrechnungsbetrugs gezogen: Die Innenrevision prüft jährlich die persönliche Leistungserbringung, und für alle MVZ-Ärzte gibt es regelmäßige Compliance-Schulungen.

Röslers Fazit: "Dass die KV genau hinguckt, ist völlig in Ordnung. Die meisten Probleme entstehen letztlich daraus, dass der für niedergelassene Ärzte entwickelte KV-Rahmen für MVZ viele Regelungslücken hat. Was wir uns wünschen, ist lediglich die Gleichbehandlung und die konstruktive Schließung der vorhandenen Lücken." (ami)

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