Studie
Medizinstudenten wissen zu wenig über Statistik
Um gute medizinische Entscheidungen zu treffen, ist statistisches Wissen für Ärzte unabdingbar. Einer Studie zufolge hapert es bei Medizinstudierenden hier jedoch ordentlich. Die gute Nachricht: Die Wissenslücken könnten leicht geschlossen werden.
Veröffentlicht:BERLIN. Um Studienergebnisse zu verstehen, Risiken abschätzen zu können oder sich für eine Behandlungsmethode zu entscheiden, benötigen Ärzte statistische Kenntnisse. Hier scheint jedoch einiges zu fehlen. Das hat ein Forscherteam des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung herausgefunden.
Für die Beobachtungsstudie legten die Wissenschaftler 169 Medizinstudierenden und 16 Lehrenden einen zehn Fragen umfassenden, selbst entwickelten Multiple-Choice-Test vor. In dem Test wurde der Fähigkeit auf den Zahn gefühlt, Risiken einzuschätzen und Wahrscheinlichkeiten zu verstehen. Auch das Verständnis zentraler Begriffe aus der Medizinstatistik wurde geprüft.
Situationen aus dem Arzt-Alltag
"Die Fragen basieren auf Situationen aus der ärztlichen Praxis. In einem guten Gesundheitssystem müsste jede Medizinerin und jeder Mediziner diese Fragen richtig beantworten können", sagt Mirjam Jenny, Erstautorin der Studie und Leitende Wissenschaftlerin am Harding-Zentrums für Risikokompetenz.
Eine Frage des Schnelltests lautet beispielsweise: Der Hersteller eines medizinischen Tests gibt Ihnen Auskunft über die Sensitivität und Spezifität des Tests. Sie wollen Ihrem Patienten mitteilen, wie wahrscheinlich es ist, tatsächlich erkrankt zu sein, wenn ein positives Testergebnis vorliegt. Welches Maß brauchen Sie zusätzlich für Ihre Berechnung?
Die Antwortmöglichkeiten:
A) Mortalität
B) Prävalenz
C) Kohärenz
D) Latenz
Die richtige Antwort ist "B".
Studierenden standen kurz vor ihrem Abschluss an der Charité Berlin, die Lehrenden waren Professoren und erfahrene Dozenten. Für alle war die Teilnahme an dem Test freiwillig und anonym, so die Forscher.
Das Ergebnis: Die Studierenden beantworteten im Durchschnitt nur die Hälfte, die Lehrenden Dreiviertel aller Fragen richtig.
"Diese Studie zeigt, dass Statistik in der medizinischen Lehre immer noch vernachlässigt wird – das muss sich ändern. Wenn angehende Ärztinnen und Ärzte Statistiken missverstehen, werden sie falsche Informationen auch an ihre Patientinnen und Patienten weitergeben", sagt Gerd Gigerenzer, Co-Autor der Studie und Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz.
90-minütiger Statistikkurs hilft
Die Studie konnte aber auch zeigen, dass man diese Lücke an statistischem Wissen bei Medizinstudierenden leicht schließen könnte. Nachdem die Studierenden den Test zum ersten Mal durchgeführt hatten, nahmen sie an einem Kurs teil, in dem mit theoretischem Input und praktischen Übungen medizinische Statistik gelehrt wurde. Anschließend führten die Studierenden den Schnelltest erneut durch. Dieses Mal beantworteten sie im Durchschnitt 90 Prozent aller Fragen richtig.
"Mit mangelnder Statistikkompetenz müssen wir nicht leben", sagt Niklas Keller, Coautor der Studie, der Medizinstudierende in der Interpretation und Kommunikation medizinischer Statistiken unterrichtet. "Bereits ein 90-minütiger Kurs kann die Statistikkompetenz der angehenden Medizinerinnen und Mediziner erheblich verbessern", so Keller weiter.
Zwar sei die Studie bisher nur an zwei Orten systematisch durchgeführt und die Zahl der getesteten Lehrenden relativ gering, räumen die Studienautoren ein. Jedoch entsprächen die Ergebnisse dem aktuellen Forschungsstand zu fehlender Statistikkompetenz.
Mit dem selbst entwickelten, neuen "Schnelltest Risikokompetenz" will das Harding-Zentrum Medizinern eine Möglichkeit bieten, ihr Statistikwissen selbst zu prüfen.
Den "Schnelltest Risikokompetenz" mit Lösungen finden Sie hier: https://www.harding-center.mpg.de/de/harding-zentrum/schnelltest-risikokompetenz