Niedersachsen
Medizinstudium: Klinische Semester künftig auch am Klinikum Wolfsburg
Das niedersächsische Wissenschaftsministerium und die Universitätsmedizin Göttingen haben einen Medizincampus Wolfsburg vereinbart. Andernorts ist man darüber enttäuscht.
Veröffentlicht:Göttingen. Die Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und das Klinikum Wolfsburg wollen bei der Ausbildung von Medizinstudierenden kooperieren. Ab Frühjahr 2022 werden Studierende aus Göttingen einen Teil ihrer klinischen Semester am Klinikum Wolfsburg absolvieren. Das hat das Wissenschaftsministerium Niedersachsen mitgeteilt.
Mitte Oktober hatten das Ministerium für Wissenschaft, die Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und das Klinikum Wolfsburg eine Absichtserklärung zum Aufbau eines „Medizincampus Wolfsburg (MCW) der Universitätsmedizin Göttingen“ am Klinikum Wolfsburg unterzeichnet. Professor Wolfgang Brück, Sprecher des Vorstandes der UMG und Dekan der Medizinischen Fakultät, erklärte: „Mit dem gemeinsamen ‚Letter of Intent‘ haben wir die Weichen für die Zukunft gestellt.“
Ab Frühjahr 2022 sollen die ersten patientennahen Lehrveranstaltungen, also der Unterricht am Krankenbett, im Klinikum Wolfsburg stattfinden. Ab 2023 sollen dann bis zu 60 Studierende pro Jahr aus Göttingen drei von insgesamt sechs klinischen Semestern an den Krankenbetten von Patienten im Wolfsburger Klinikum absolvieren.
Kein Lehrpersonal nach Wolfsburg
Es würde aber kein Lehrpersonal mit nach Wolfsburg gehen, erklärt der Sprecher der UMG, Stefan Weller. Die Ausbildung am Standort Wolfsburg erfolge aber nach deren Vorgaben, so die UMG. Die Studierenden werden von Fachärzten des Wolfsburger Klinikums unterrichtet. Unterricht und Prüfungen erfolgen identisch an beiden Standorten und unter Verantwortung der Göttinger Fachvertreter. Soweit praktische Ausbildungsinhalte in Wolfsburg nicht abgedeckt werden können, werden diese auch weiterhin vollständig in Göttingen vermittelt, so Weller. „Vereinzelt wird es auch erforderlich sein, theoretische Inhalte mittels hybrider Lehrformate aus Göttingen zu importieren.“
Traditionell sind die vorklinisch-theoretischen Kapazitäten in Göttingen höher als die klinischen, so die UMG. Studierende, die einen Teilstudienplatz haben, müssen deshalb derzeit die Universität nach der ersten Ärztlichen Prüfung verlassen und ihre klinische Ausbildungszeit – zum Teil mit langer Wartezeit – an einem anderen Standort fortsetzen.
Lösung für Teilstudienplätze
Das soll nun anders werden. Das Klinikum Wolfsburg biete der UMG die für eine Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses wichtigsten Fachdisziplinen unter einem Dach, hieß es. Damit werde ein zweiter klinischer Ausbildungsstandort errichtet und die übrigen der bislang in Göttingen angebotenen Teilstudienplätze im Studiengang Humanmedizin würden in Vollstudienplätze umgewandelt. „Der geplante Ausbau der Lehrkooperation zwischen der UMG und dem Klinikum Wolfsburg führt zu einer rechnerischen Ausweitung der patientenbezogenen Ausbildungskapazität um 60 Vollplätze pro Jahr“, so Weller.
Das Klinikum Wolfsburg biete als Schwerpunktversorger für die Region gute Voraussetzungen auf universitärem Niveau, die mit dem Lehrkonzept der UMG gut vereinbar sind. Die Studierenden bleiben während ihrer Zeit am Standort Wolfsburg in der Georg-August-Universität Göttingen eingeschrieben.
„Viele Medizinerinnen und Mediziner starten im Umfeld ihrer letzten Ausbildungsstätte in den Beruf“, kommentierte Björn Thümler (CDU), in Niedersachsen Minister für Wissenschaft und Kultur. „Daher werden wir in Niedersachsen davon profitieren, dass Studierende an der Universitätsmedizin Göttingen künftig nach dem Physikum nicht mehr in andere Bundesländer wechseln müssen.“
Enttäuscht dagegen sind Vertreter des Klinikums Braunschweig, dem größten kommunalen Versorger Niedersachsens. Bereits 2018 hatten die UMG und das Braunschweiger Klinikum Gespräche über eine Zusammenarbeit geführt und einen eigenen „Letter of Intent“ aufgesetzt. Zum Wintersemester sollten 60 Studierende aus Göttingen die ersten beiden klinischen Semester in Braunschweig absolvieren, so der Plan. 2020 scheiterte er aus rechtlichen Gründen, wie das Krankenhaus mitteilte. Doch immer noch habe das Braunschweiger Haus die Differenzen für überbrückbar gehalten und äußert sich jetzt sehr irritiert über die Vereinbarung zwischen Göttingen und Wolfsburg.
Braunschweiger Hoffnungen passé
„Wir haben den seinerzeitigen Abbruch der Gespräche durch das Land als großen Rückschlag empfunden, eine verstärkte Medizinerausbildung in Campusstruktur am größten kommunalen Krankenhaus in Niedersachsen zu etablieren“, sagt der Erste Stadtrat in Braunschweig, Christian Geiger, Stadtkämmerer und Aufsichtsratsvorsitzender des Klinikums Braunschweig. „Mit Ausbruch der COVID-19 Pandemie im Jahr 2020 in Deutschland haben dazu keine weiteren Gespräche zwischen UMG und SKBS mehr stattgefunden.“ Braunschweig sei der einzige Ort, der klinisch sowohl stationär als auch ambulant alle notwendigen Voraussetzungen für eine qualitätsvolle Ausbildung hätte, so die Stadt Braunschweig.
Dem Vernehmen nach geht es aber auch ums Geld. Für die Kooperation von UMG und dem Klinikum Wolfsburg sind jährlich fünf Millionen Euro vorgesehen, die aus dem Portemonnaie des Landes kommen, wie Weller bestätigt. Offenbar wollte das Klinikum Braunschweig das Doppelte für den neuen Campus – was dem Land zu teuer gewesen sein dürfte. „Für die Finanzierungsgrundlage für den Ausbau zusätzlicher Medizinstudienplätze war und ist das Land Niedersachsen zuständig“, so Weller, „hier hat es keine Einigung gegeben.“ So fiel die Wahl auf Wolfsburg.