Über die Sektoren hinweg

Megatrend Kooperation

Die Politik ist motiviert und setzt auf die Öffnung der Grenzen zwischen ambulantem und stationärem Sektor. Analysten der Deutschen Bank sehen darin einen der nachhaltigsten Trends im Gesundheitswesen.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:
Vernetzt, soweit das Auge reicht.

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© higyou / shutterstock

FRANKFURT/MAIN. In ihrem aktuellen Branchenreport "Gesundheitswirtschaft" widmet sich die Deutsche Bank neben der allgemeinen Marktentwicklung auch dem Strukturwandel im Gesundheitswesen.

Darunter subsumiert werden diverse Phänomene: beispielsweise die fortschreitende Privatisierung ehedem öffentlich geführter Krankenhäuser, Nachwuchsprobleme unter Medizinern oder auch die Zunahme kooperativer Formen der ärztlichen Berufsausübung.

Letztere, heißt es, entwickelten sich einerseits unter dem Eindruck der politisch gewollten Grenzöffnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, andererseits als Konsequenz eines wachsenden Anbieter-Wettbewerbs, wie ihn Selektivverträge provozierten.

Politischer Paradigmenwechsel

Obwohl es zuletzt den Anschein hatte, als ob "die Dynamik bei der Verbreitung neuer Versorgungsformen" nachgelassen habe, sind die Analysten des Frankfurter Bankhauses doch davon überzeugt, dass die Gesundheitspolitik auf den eingeschlagenen "Wegen weiter voranschreiten wird".

Dafür spreche allein schon das starke Interesse an qualitätsgesicherter Medizin. In der Gesundheitspolitik der jüngeren Vergangenheit habe sich gleichsam ein Paradigmenwechsel vollzogen: "Statt eindimensionaler Kostenbegrenzung gilt mehr und mehr ein anspruchsvolles Zielsystem, bei dem Qualität und Effizienz der Versorgung sowie Patientenorientierung im Mittelpunkt stehen."

Bisher recht stabil zeige sich die ebenfalls dieser Logik gehorchende Grenzöffnung zwischen ambulantem und stationärem Sektor, die sich auf dreifache Weise manifestiere: Als Einführung der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV), als Ambulantes Operieren sowie in Gestalt Medizinischer Versorgungszentren.

Während die ASV noch immer in den Startlöchern steckt, schreiben ambulante Operationen und MVZ bereits Erfolgsgeschichte. Gab es 2002 erst knapp 600.000 ambulante Op, so sind es mit über 1,8 Millionen per annum inzwischen drei Mal so viele (Stand 2011). Rund 60 Prozent aller Kliniken bieten ambulante Op an.

Erfolgsgeschichte MVZ

Den MVZ widmet DB Research sogar ein eigenes Kapitel. Seit ihrer Einführung 2004 sei deren Anzahl stetig gestiegen. Anfang vorigen Jahres habe es bundesweit 1730 solcher Einrichtungen gegeben, in denen rund 9400 Ärzte arbeiteten.

Das seien zwar nur 6,5 Prozent aller ambulant tätigen Ärzte. Die Rolle der MVZ dürfe aber mithin nicht überschätzt werden. Dennoch belege die stete Zunahme, "dass MVZ aus Sicht der Gründer offenbar ein überzeugendes Modell sind, Gesundheitsleistungen anzubieten".

Etwa 40 Prozent der MVZ werden von Kliniken betrieben - mit schwindendem Elan, da deren Marktanteil kaum noch zunehme. "Der Vormarsch der Krankenhäuser in diesem Segment scheint eingedämmt".

Unabhängig von der Trägerschaft hätten sich MZV jedoch "als wichtige Konkurrenten zu Einzel- und Gemeinschaftspraxen etabliert".

Dem Zuwachs der MVZ entspreche der anhaltende Rückgang von Niederlassungen. Obwohl es immer mehr Ärzte gebe, sei der Anteil der Niedergelassenen mit 28 Prozent auf ein Rekordtief gesunken.

Die Autoren der Studie sind davon überzeugt, dass es sich bei der "Aufweichung der Sektorengrenzen" um einen "nachhaltigen", die Gesundheitswirtschaft "prägenden Trend" handelt. Der werde außer von der politischen Intentionalität von weiteren "wirkungsvollen Kräften" getrieben:

  • Der medizinisch-technische Fortschritt begünstige die Verlagerung von bisher stationär erbrachten Leistungen in den ambulanten Bereich.
  • Verkürzte Klinikaufenthalte sorgten oftmals für höheren Nachsorgebedarf.
  • Die Herausforderungen des demografischen Wandels - Multimorbidität und Versorgungsdichte auf dem Land - begünstigten neue Versorgungsformen ebenso wie sektorenübergreifende Strukturen.
  • Erweiterte Angebote wie MVZ und ambulante Op entsprächen den Wünschen der Patienten.
  • Und schließlich gebe es in der einflussreichen Gilde der Gesundheitsökonomen die Überzeugung, dass an den Versorgungs-Schnittstellen noch immer nicht sämtliche Möglichkeiten, Effizienzreserven zu heben, ausgeschöpft sind.
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Kommentare
Ralf Klos 08.01.201309:50 Uhr

Der Wolf kommt im Schafspelz

Die Strukturen im Gesundheitssystem werden sich in den nächsten Jahren an zentralen Punkten verändern.
Das Gesetzt macht Land und Bund zwar dafür verantwortlich für ein intaktes Gesundheitssystem und eine umfassende Versorgung der Bürger sicherzustellen, sagt aber nicht, dass Bund und Land dies selbst auch umsetzen müssen. Mehr und mehr begreift sich der Staat als Aufsicht und Regulator, überlässt aber die Durchführung im Krankenhaussektor zunehmend privaten Gesellschaften.
Auch die Argumentation beim Kostendruck hat eine andere Qualität bekommen. Während in den letzten Jahrzehnten schlicht Ausgaben gedeckelt wurden, steht inzwischen Qualität und Effizienz im Vordergrund. Unter dem Stichwort „evidenzbasiert“ werden die Kosten nun ziel- und ergebnisorientiert diskutiert. Dies wird den Ärzten eventuell noch bitter aufstoßen, denn diese Diskussion ist der große Bruder der erfolgsbasierten Entlohnung. Die Politik hat hier ein Schlupfloch gefunden, dass sich gegenüber der Bevölkerung gut vertreten lässt. Die unsägliche Meinungsmache der letzten Wochen zum Thema „IGeL“ liefert einen kleinen Eindruck.

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