Krank im Büro

"Präsentismus" kostet die Wirtschaft Milliarden

Bleiben kranke Mitarbeiter zu Hause, kann das unangenehm für Unternehmen sein. Was noch schlimmer ist: wenn die Kranken zur Arbeit kommen. Das kostet nämlich Milliarden – und das hat nichts mit der Ansteckungsgefahr zu tun.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:
Wer krank zur Arbeit erscheint, kostet einer Studie zufolge der Wirtschaft viel Geld.

Wer krank zur Arbeit erscheint, kostet einer Studie zufolge der Wirtschaft viel Geld.

© granata68 / Fotolia

NÜRNBERG/BAD VILBEL. Melden sich Arbeitnehmer krank, ist das im Betrieb selten Anlass zur Freude: Aufgaben bleiben liegen oder müssen von Kollegen mit übernommen werden, die Rentabilität des Faktors Arbeit sinkt.

Doch die durch krankheitsbedingte Fehlzeiten ("Absentismus") verursachten Kosten bilden nur die Spitze des Eisbergs. Das spiegelbildliche Phänomen Präsentismus – die Anwesenheit von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz, obwohl sie krank sind oder sich krank fühlen – sorgt für ungleich höhere volkswirtschaftliche Einbußen.

Das geht aus einem Übersichtsartikel hervor, den die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) in der aktuellen Ausgabe ihres Verbandsorgans publiziert. Das Autorenkollektiv von der Universität Erlangen-Nürnberg rekurriert auf etliche Studien und Berichte der vergangenen Jahre.

Kostet Präsentismus fast das Dreifache der Krankschreibungen?

Danach führten krankheitsbedingte Fehlzeiten 2014 zu einem Ausfall der Bruttowertschöpfung in Deutschland von 90 Milliarden Euro. Einer anderen Datenquelle zufolge kostete dagegen Präsentismus 2011 rund ein Zehntel der Bruttoinlandsprodukts – in absoluten Zahlen: 257 Millionen Euro.

Für Deutschland ermitteln die Autoren nach Befragungen aus 2003 und 2007 eine Präsentismus-Quote von rund zwei Dritteln der Arbeitnehmer.

Das wird durch jüngeres Datenmaterial, das der "Ärzte Zeitung" vorliegt, bestätigt, etwa vom DAK-Gesundheitsreport 2016 oder auch einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) für seinen Fehlzeiten-Report 2014.

Fehlende Konzentration eine Ursache

Als Präsentismus-Effekte werden in dem DGAUM-Beitrag vor allem körperliche und seelische Einschränkungen, verminderte Konzentrationsfähigkeit oder geistige Abwesenheit genannt, die sich auf Arbeitsqualität und -menge, Fehler- oder Unfallhäufigkeit auswirkten.

Zudem deuteten mehrere Studien auf ein "erhöhtes Risiko für einen vorzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben" hin. Studien, die dezidiert Ansteckungseffekte beziffern, werden allerdings nicht erwähnt.

Die deutlichsten Produktivitätsverluste lassen sich Migräne und Kopfschmerzen zuschreiben, gefolgt von Atemwegserkrankungen und Depressionen. Auch rheumatische Erkrankungen verursachen hohe Präsentismus-Kosten, während Bluthochdruck und Herzerkrankungen die Arbeitsproduktivität offenbar deutlich weniger beeinträchtigen.

Warum gehen viele Kranke zur Arbeit?

Aus dem Blickwinkel Erkältung widmet auch der diesjährige Gesundheitsreport der Stada AG dem Thema Präsentismus besonderes Augenmerk: 82 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland gehen demnach trotz grippalen Infekts zur Arbeit, obgleich zwei Drittel der Meinung sind, bei Erkältung solle man sich besser schonen.

Die Angaben resultieren aus einer repräsentativen Befragung unter 2000 Bundesbürgern.

Als Grund für ihren Arbeitseifer gaben 47 Prozent an, Kollegen nicht im Stich lassen zu wollen. 39 Prozent sagten, sie hätten zuviel zu tun, 20 Prozent gaben zu, Angst vor der Reaktion ihres Chefs auf eine Krankmeldung zu haben und 13 Prozent der Befragten halten sich für unverzichtbar.

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