Praxis ohne Grenzen: Anlaufstelle für Menschen in Not
Die Praxis ohne Grenzen behandelt jeden Mittwochnachmittag Menschen in Not. Versichertenkarten gibt es genauso wenig wie ein Honorar.
Veröffentlicht:BAD SEGEBERG. Als Dr. Uwe Denker die Idee zur Praxis ohne Grenzen Kollegen vorstellte, stieß er auf Interesse - die Bereitschaft zur Mitarbeit aber hielt sich damals in Grenzen. Viele Kollegen im Ruhestand, so der Eindruck des 72-jährigen Allgemeinarztes aus Bad Segeberg, wollten mit der Medizin nichts mehr zu tun haben. Doch es waren eher die Rahmenbedingungen der Praxistätigkeit, von denen die angesprochenen Ärzte nichts mehr wissen wollten.
Nachdem Denkers Projekt in Bad Segeberg angelaufen war, stieg allerdings die Bereitschaft zur ehrenamtlichen Mitarbeit an. Inzwischen wechseln sich sechs Hausärzte und eine Internistin in der wöchentlichen Sprechstunde am Mittwochnachmittag ab.
Hinzu kommt ein Pool von elf Fachärzten, an die sich Denker wenden kann, wenn eine spezifische Diagnostik erforderlich ist. Damit nicht genug: "Ich habe auch Angebote von Kollegen aus Kiel und von der Westküste. Die würden nach Bad Segeberg kommen, wenn hier Not am Mann ist", berichtet Denker.
Hier zählt medizinisches Handeln, nicht Bürokratie
Dass sich so viele Ärzte beteiligen, wertet Denker als Indiz dafür, dass die Kollegen zwar die Bürokratie im Praxisalltag ablehnen, keineswegs aber ihre erlernte Tätigkeit. "Hier können sich die Ärzte frei von Dokumentationspflichten und Abrechnungsvorgaben nur um die Medizin kümmern", kommentiert Denker.
Hinzu kommen zahlreiche medizinische Assistenzberufe, die unterstützend tätig sind. Auch eine Klinik und ein Zentrallabor helfen bei Bedarf - kostenlos. Außer in Bad Segeberg hat sich inzwischen auch im Lübecker Vorort Stockelsdorf eine Praxis ohne Grenzen etabliert, weitere in anderen Regionen des Landes will Denker nicht ausschließen.
Voraussetzung dafür ist, dass sich vor Ort eine Gruppe von Kollegen organisiert, die die Sprechstunden ehrenamtlich übernehmen können. Der gemeinnützige Bad Segeberger Verein Praxis ohne Grenzen kann beim Aufbau beraten.
Entstanden ist die Idee der Praxis ohne Grenzen aus der Beobachtung Denkers, dass immer mehr Menschen in Schleswig-Holstein den Weg in die Arztpraxis beziehungsweise in die medizinische Versorgung scheuen, weil sie nicht ausreichend krankenversichert sind oder weil sie die Praxisgebühr nicht mehr zahlen können.
Zuzahlungen oder eine Versichertenkarte sind in der Praxis ohne Grenzen nicht erforderlich. Bei den Behandlungen sind die Ärzte auf die Basismedizin angewiesen, teure Geräte stehen nicht zur Verfügung.
Denker hält das für keinen Nachteil: "Wir haben alle gelernt, uns bei den Untersuchungen auf unsere Hände, Augen und Ohren zu verlassen. Wenn doch einmal ein Gerät oder eine weitergehende fachärztliche Meinung erforderlich ist, können wir darauf zurückgreifen."
Im Schnitt kommen fünf Patienten in die Sprechstunde. Das Spektrum ist so breit wie in einer normalen Hausarztpraxis. Es kommen Frauen zur Schwangerschaftsvorbereitung, Chroniker mit Diabetes, Herzproblemen oder Hypertonie, aber auch Menschen mit einer akuten Lungenentzündung.
Der Andrang nimmt zu, viele müssen zunächst eine Hemmschwelle überwinden, bevor sie die Praxis ohne Grenzen betreten. Es sind Menschen, die sich die Behandlung im Krankenversicherungssystem aus unterschiedlichen Gründen nicht leisten können.
Als Beispiel nennt Denker etwa früher selbstständige Handwerker, die die Prämien für die private Krankenversicherung nach einer Insolvenz ihres Betriebes nicht mehr aufbringen können. Menschen ohne Papiere zählen genauso zu den Patienten wie gesetzlich Versicherte, die die Praxisgebühr nicht mehr zahlen können.
Spenden für den Verein Praxis ohne Grenzen
Denker weiß von einer Praxis in seinem Heimatort, die in einem Quartal 700 Euro abschreiben musste, weil 70 Menschen die Praxisgebühr schuldig blieben. Die Gründe für die Mittellosigkeit werden in der Praxis ohne Grenzen nicht hinterfragt.
Jeder Patient, der hier Unterstützung sucht, bekommt sie. "Keiner muss hier ein Armutszeugnis ablegen. Wir fragen auch nicht, weshalb jemand die Praxisgebühr nicht zahlen kann, aber noch ein Handy in der Tasche hat", stellt Denker immer wieder klar. Er betont die christlichen Grundsätze, nach denen Menschen in der Praxis ohne Grenzen geholfen wird.
Politik soll Weichen stellen für Arzneimittelsammlungen
Wer über die rein medizinische Behandlung hinaus Hilfe bei dem Weg in das Sozialversicherungssystem benötigt und wünscht, bekommt diese. Die Praxis ohne Grenzen arbeitet eng mit dem örtlichen Sozialamt und einem Behördenlotsen zusammen, der sich um solche Fragen kümmert.
Noch ungelöst ist das Problem der Arzneiversorgung. Die Praxis oder die angeschlossenen Apotheken dürfen keine Arzneisammlungen durchführen. Bis zum Jahresende helfen ihnen die Apothekerkammer und der Apothekerverband Schleswig-Holstein durch ein Sponsoring, das die Kosten für die Verordnungen trägt.
Mittelfristig aber will Denker erreichen, dass die Politik die Medikamentensammlungen ermöglicht, damit Arzneien mit noch nicht abgelaufenem Verfallsdatum, die sonst im Müll landen, in den Praxen ohne Grenzen eingesetzt werden können.
"Hier gehen Millionenwerte verloren. Wir wollen das Arzneimittelgesetz mit Hilfe von Gesundheitspolitikern aller Parteien ändern", sagtDenker . Er rechnet sich durchaus Chancen aus, sein Ziel zu erreichen. Er verweist auf ein großes Medienecho für seine Praxis und ein hohes Interesse von Politikern, sich dem noch ungelösten Problem anzunehmen.
Ein anderes Problem bleibt die Finanzierung der Vereinsarbeit "Wir sind auf Spenden angewiesen", sagt Denker. Zwar arbeiten alle Mitarbeiter ehrenamtlich und auch der Behandlungsraum in den Räumen der Diakonie wird bis Jahresende mietfrei zur Verfügung gestellt.
Doch zum Jahresbeginn muss ein Mietvertrag ausgehandelt werden. Die dafür benötigten Mittel hofft Denker aus Spenden zahlen zu können.