Apps auf Rezept
Psychotherapeuten schießen gegen DiGA
Hart ins Gericht gehen die Vertragspsychotherapeuten mit den rezeptierbaren Digitalen Gesundheitsanwendungen. In einer Resolution fordern sie mehr regulatorische Strenge – wie es der Sachverständigenrat Gesundheit in Teilen auch tut.
Veröffentlicht:Berlin. Bei den Vertragspsychotherapeuten herrscht hohe Skepsis bezüglich der Integration der seit rund einem halben Jahr rezeptierbaren Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) hat nun auf seiner virtuellen Frühjahrs-Bundesdelegiertenversammlung eine Resolution verabschiedet, die mehr Strenge und Härte im regulatorischen Bereich sowie bei der Vergütung durch die Kassen fordert.
Teils bekommt der bvvp Rückenwind vom Sachverständigenrat Gesundheit (SVR). Diser hat sich in seinem aktuellen Gutachten „Digitalisierung für Gesundheit – Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems“ ebenfalls kritisch mit dem DiGA-Versuchsballon auseinandergesetzt.
Die Forderungen des bvvp im Überblick
1. Nutzennachweise und hohe Sicherheitsstandards essenziell:
In seiner Bestandsaufnahme verweist der bvvp darauf, dass DiGA starken politischen Rückhalt erführen – oft wird von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betont, dass Deutschland in puncto Apps auf Rezept weltweit Pionier sei und somit eine Vorreiterrolle einnehme. DiGA „sollen ein wichtiges Mittel sein, um die medizinische und psychotherapeutische Versorgung bei steigendem Bedarf langfristig sicherzustellen. Insbesondere zur (unterstützenden) Behandlung psychischer Störungen gibt es eine sehr große Zahl solcher DiGA, die zum Teil therapie-ergänzend konzipiert sind, aber zum Teil auch therapieersetzend psychische Erkrankungen behandeln sollen“, heißt es in der bvvp-Resolution.
Die „ungeprüfte Betonung der Wirksamkeit steht hierbei im krassen Gegensatz zu den – nicht vorhandenen – wissenschaftlichen Befunden, die diese Behauptungen belegen könnten“, äußern die Therapeuten ihrem Unmut. Anstoß nehmen sie am Fast-Track-Verfahren für DiGA, die bisher alle der Risikoklasse I oder IIa angehören. Diese Zulassungspraxis ermögliche eine Aufnahme „praktisch ohne Nachweis ihrer Wirksamkeit ins System der gesetzlichen Krankenversicherung“ und dürften ihren Nutzen für die Versorgung erst mit der Anwendung belegen. „Dies gilt sonst für kein Medikament und kein Therapieverfahren!“, mokiert der bvvp.
Die Delegierten fordern, dass DiGA ihren Nutzen und ihre Wirksamkeit und vor allem auch Nicht-Schaden wissenschaftlich nachgewiesen haben müssen, bevor sie Patienten verordnet werden können. In puncto Patientensicherheit fordern sie: „DiGA sind deshalb durch eine externe Stelle hinsichtlich der Zuordnung zu einer, dem jeweiligen Risiko angemessenen Risikoklasse zu prüfen. Die bisherigen Risikoklassen I und IIa (z.B. Gehhilfen und Zahnkronen) sind häufig nicht angemessen.“
Sowohl die „unzulängliche Nutzen- und Sicherheitsbewertung“ als auch die Möglichkeit der Hersteller, den Preis der DiGA für die Krankenkassen verpflichtend festzulegen, stellten gravierende Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot dar.
2. Einbindung in Gesamtbehandlungskonzept unabdingbar:
Die DiGA-Einbindung in den Versorgungsalltag sei zudem nur dann sinnvoll, wenn sie in ein Gesamtbehandlungskonzept eingebunden seien, mahnen die Therapeuten. Und fordern: „Dies bedeutet auch, dass die direkte Abgabe von DiGA an Patienten durch Krankenkassen entschieden abgelehnt wird! Indikation und Kontraindikation können nur von Ärzten/Psychotherapeuten gestellt werden.“ Nur bei einer kontinuierlichen Begleitung durch einen Psychotherapeuten könnten DiGA Nutzen entfalten. Therapieersetzende DiGA funktionierten nicht und könnten sogar schaden, wenn eine Erkrankung nicht fachlich korrekt behandelt werde.
3. Höhere Datenschutzanforderungen:
Die Delegierten des bvvp fordern zudem, dass Datenschutz und Datensicherheit gewährleistet werden müssten. „Eine einfache Selbsterklärung der Hersteller reicht nicht aus. Es bedarf der regelmäßigen Prüfung durch eine unabhängige Stelle“, heißt es in der Resolution. Auch die Nutzung von DiGA als Smartphone- oder Tablet-Anwendungen erge Risiken der Datenweitergabe an Dritte, was unbedingt ausgeschlossen werden müsse. „Auch hier bedarf es weiterer Sicherheitsvorkehrungen“, reklamieren die Therapeuten.
Bis dato bei DiGA laxer Umgang mit Wirtschaftlichkeitsgebot
In seinem Gutachten bescheinigt der SVR Gesundheit in der bisherigen Versorgungspraxis einen eher laxen Umgang mit dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebotes gemäß § 12 SGB V, dem Ärzte und Psychotherapeuten ohne Ausnahme auch beim Rezeptieren im BfArM-Verzeichnis gelisteter DiGA unterlägen.
„Ungeachtet dessen nehmen ökonomische Evaluationen in Deutschland bei der Entscheidungsfindung zur Erstattung und Preisbildung neuer Gesundheitstechnologien bislang eine untergeordnete Rolle ein. Im Kontext von DiGA niedriger Risikoklasse werden ökonomische Versorgungseffekte bei der Entscheidung zur Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis nicht einbezogen, könnten aber ggf. zum Zeitpunkt der Preisverhandlungen berücksichtigt werden“, heißt es im Gutachten.
Grundsätzlich gälten bei der ökonomischen Evaluation digitaler Technologien die gleichen allgemeinen Standards wie für alle anderen Gesundheitstechnologien, so der SVR. Allerdings springt er hier auch den DiGA-Anbietern bei: „Dennoch müssen hierbei die spezifischen Eigenschaften von DiGA berücksichtigt werden.
Hierzu gehören insbesondere die inkrementelle Innovation, durch die ein sich regelmäßig wiederholender Prozess der Evaluation erforderlich wird, die dynamische Preisbildung, die beispielsweise durch eine Variation der App-Preise empirisch getestet werden kann, sowie der Lernkurveneffekt, der mithilfe eines systematischen Vorgehens zur Quantifizierung in die ökonomische Evaluation integriert werden kann.“
Beim Datenschutz gehen die Meinungen weit auseinander
Überhaupt nicht auf Linie mit dem bvvp ist der SVR indes beim Ansinnen schärferer Datenschutzregelungen im DiGA-Kontext. Im Gegenteil: Hier fordert der SVR in seinem Gutachten mehr Flexibilität bei der Handhabung zum Beispiel der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO), wofür er sich stante pede einen Rüffel des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Professor Ulrich Kelber, eingefangen hat.Psychotherapeuten wählen neuen Bundesvorstand
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