Telnet@NRW
Qualität und Leitlinientreue im Fokus
Regelmäßige Televisiten und -konsile sowie eine E-Fallakte sind Kern des sektorübergreifenden telemedizinischen Netzwerks Telnet@NRW. Es will Expertenwissen flächendeckend verfügbar machen.
Veröffentlicht:AACHEN. Infektiologen und Intensivmediziner aus den Universitätskliniken Aachen und Münster machen jeden Tag mindestens eine Visite – nicht in ihren eigenen Häusern, sondern in 17 Kliniken aus der näheren und ferneren Umgebung. Zudem stellen sie ihr Fachwissen für die Versorgung von Patienten in 134 Arztpraxen aus zwei Ärztenetzen zur Verfügung.
Regelmäßige Televisiten und Telekonsile sowie eine elektronische Fallakte sind der Kern des sektorübergreifenden telemedizinischen Netzwerks Telnet@NRW. Es soll Expertenwissen in der Infektiologie und der Intensivmedizin flächendeckend verfügbar machen und so zu einer besseren Behandlungsqualität und einer größeren Leitlinienadhärenz führen.
Erfolgsfaktor Vier-Augen-Prinzip
„Ziel ist, dass jeder Patient unabhängig davon, wo er behandelt wird, das gleiche medizinische Niveau erwarten kann“, erläuterte Dr. Christian Juhra, Leiter der Stabsstelle Telemedizin an der Uniklinik Münster, beim Telnet@NRW-Kongress 2019 in Aachen. Die Netzwerk-Experten sind rund um die Uhr erreichbar, sie bieten Fortbildungen für die Kollegen an.
Bilder, Befunde und weitere Daten werden zwischen den Partnern über hochgesicherte Datenleitungen übertragen. Aber nicht nur der Datenaustausch sei entscheidend, sagte Juhra. „Man muss den Patienten gemeinsam sehen und beurteilen.“ Das Vier-Augen-Prinzip sei ein entscheidender Faktor.
Telnet@NRW wird vom Innovationsfonds über drei Jahre mit 20 Millionen Euro gefördert. Konsortialpartner sind die beiden Unikliniken, das Ärztenetz „Medizin und Mehr“ aus Bünde, das Gesundheitsnetz Köln-Süd, die Techniker Krankenkasse, die Universität Bielefeld und das ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin.
Das Netzwerk ist im Februar 2017 an den Start gegangen, inzwischen sind 8268 stationäre und 111.786 ambulante Patienten einbezogen worden. Mehr als ein Prozent der Patienten in den Praxen haben schon ein Telekonsil erhalten.
Zu den Zielen des Projekts gehören eine geringere Rate an Sepsis- und Lungenversagen-Diagnosen sowie an inadäquaten Antibiotikatherapien, die Senkung der Sepsissterblichkeit, eine kürzere Verweildauer im Krankenhaus und eine höhere Lebensqualität der Patienten. Die Evaluation wird zeigen, diese Ziele erreicht werden. „Ich bin optimistisch, dass das der Fall sein wird“, sagte Juhra.
Neue Form der Medizinvermittlung
Es gehe bei dem Projekt um eine neue Form der Medizinvermittlung, nicht um eine neue Medizin, betonte Professor Gernot Marx. Er ist Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care an der Uniklinik Aachen und Konsortialführer des Projekts.
„Wir kennen alle die Leitlinien, aber die Herausforderung ist, die Leitlinien jeden Tag den Patienten zugutekommen zu lassen.“ Klar ist für Marx, dass dieses Modell nicht auf die Intensivmedizin und die Infektiologie beschränkt bleiben darf. „Wir werden es auf das gesamte Potenzial der großen Häuser übertragen.“ Auch in Bereichen wie der Neurochirurgie oder der Humangenetik werde sich so das Expertenwissen in die Fläche bringen lassen. „Ich sehe es als unsere Aufgabe, die Vernetzung noch viel weiter auszubauen.“
Man brauche die wohnortnahe Versorgung, aber die medizinische Expertise werde sich in Zukunft noch stärker in den Zentren konzentrieren, erwartet Marx. „Telemedizin ist der entscheidende Schritt, damit sie möglichst vielen Patienten und Nutzern zugutekommt.“
Jetzt solle die Basis gelegt werden, um Telnet@NRW in die Regelversorgung und die Regelfinanzierung zu überführen. Die neuen Strukturen müssten mit Abrechnungs- und Vergütungsmöglichkeiten unterfüttert werden. Angesichts der sektoralen Vergütungssystematiken sei das eine große Herausforderung, so Marx.
Das Projekt dürfe Ende Januar 2020 nicht eingestellt werden, findet auch Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). „Es ist die Aufgabe von uns allen, auch im Ministerium, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass es gelingt, das in die Regelversorgung zu übernehmen“, sagte Laumann in einem Video-Grußwort.
Er sei stolz, dass eines der größten Telemedizinprojekte Deutschlands und Europas in Nordrhein-Westfalen läuft. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Telemedizin ein Instrument ist, um in Nordrhein-Westfalen die Versorgung kranker Menschen erheblich zu verbessern“, so Laumann.