Hintergrund

Schrottinfos aus dem Web erschweren Arzt-Patienten-Dialog

Geht es um die Diagnose oder Therapie der eigenen Erkrankung, schauen immer mehr Patienten erst ins Internet, bevor ihr Weg in die Arztpraxis führt. Doch das Wissen aus dem Web ist trügerisch, warnen Experten. Sie betonen: Ein Dialog zwischen Ärzten und Patienten auf Augenhöhe werde es nie geben.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Ein gewisser "Höhenunterschied" wird im Gespräch zwischen Arzt und Patient immer bestehen, meinen Experten.

Ein gewisser "Höhenunterschied" wird im Gespräch zwischen Arzt und Patient immer bestehen, meinen Experten.

© ISOK°-photography / fotolia.com

Dialog auf Augenhöhe, mündige Patienten: Solche Schlagworte gehen seit Jahren durch die Medien, wenn es um das Verhältnis zwischen Patienten und Ärzten geht. Für Professor Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg sind und bleiben das Wunschvorstellungen.

"Der Dialog zwischen Ärzten und Patienten wird nie auf Augenhöhe stattfinden. Das ist eine Illusion", sagte die Gesundheitswissenschaftlerin und Kongresspräsidentin der 13. Jahrestagung des Vereins Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNebM).

Patienten müssen Infos gut sortieren

Drei Tage lang beschäftigten sich Patientenvertreter, Ärzte, Gesundheitswissenschaftler und Kassenvertreter in der Hansestadt mit dem Thema Patientenorientierung und Patientenbeteiligung im deutschen Gesundheitswesen.

Mühlhauser begründete ihre Einschätzung mit der Schwierigkeit, überhaupt an die für Entscheidungen über die eigene Gesundheit relevanten Informationen zu gelangen, sie zu sortieren, zu gewichten und daraus die richtige Schlussfolgerung zu ziehen.

"Patienten wollen zwar entscheiden. Dafür aber brauchen sie Informationen, die ihnen entweder fehlen, oder diese sind falsch oder irreführend", so Mühlhauser in Hamburg. Das Internet spielt bei dieser Entwicklung eine zentrale Rolle.

"Wissen ohne Ende, aber keiner, der es sortiert", brachte die DNEbM-Vorsitzende Dr. Monika Lelgemann dieses Problem auf den Punkt. Gudrun Kemper von der deutschen Sektion der Breast Cancer Action spricht drastisch von "ungeprüften Schrottinfos, die eine Auseinandersetzung mit den Diagnose- und Therapiemöglichkeiten erschweren oder gar verhindern".

Wenn Patientenverbände auf Unabhängigkeit bestehen, stehen sie vor dem Finanzierungsproblem: Der Aufbau einer Infrastruktur kostet Geld.

Das DNEbM bekräftigte deshalb in Hamburg seine Forderung, dass Patientenvertretungen finanziell so ausgestattet werden müssen, dass sie nicht auf Mittel aus der Industrie angewiesen sind.

Kaum Chancen für unabhängige Bewertung

Dass Patientenverbände überhaupt in die Lage versetzt werden sollten, medizinische Informationen unabhängig bewerten zu lassen, dafür ist nach Kempers Erfahrungen das Bewusstsein in Deutschland noch sehr schwach ausgeprägt.

Dabei sind Kemper und andere Patientenvertreter sicher, dass die Chance auf einen Behandlungserfolg steigt, wenn Patienten einbezogen werden und an medizinischen Entscheidungen mitwirken können.

Netzwerk Evidenzbasierte Medizin

Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) wurde im Jahr 2000 gegründet, um Konzepte und Methoden der Evidenzbasierten Medizin (EbM) zu verbreiten und weiter zu entwickeln. Es ist das deutschsprachige Kompetenz- und Referenzzentrum für alle Aspekte der EbM. Das politisch unabhängige Netzwerk versteht sich als interdisziplinäre Plattform, um die Verknüpfung der medizinischen Forschung mit der Versorgung zu verbessern. Ihm gehören rund 850 individuelle und institutionelle Mitglieder an. Die Geschäftsstelle ist beim Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin in Berlin angesiedelt. Aktuelle Vorsitzende ist Dr. Monika Lelgemann, Leiterin des Fachbereichs EbM beim Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) in Essen. (di)

Neben der Industrie, die nach Ansicht vieler DNEbM-Vertreter unabhängige Entscheidungen erschwere, sehen Patientenvertreter auch die Ärzte in einer Schlüsselrolle.

Diese Erfahrung hat zumindest Udo Ehrmann von der Selbsthilfe Prostata gemacht. Er hat in Kooperation mit dem Deutschen Krebsinformationszentrum und dem AOKBundesverband eine Website zum PSA-Text initiiert, die eine internetgestützte Entscheidungshilfe bietet (www.psa-entscheidungshilfe.de).

Die soll die ärztliche Aufklärung zur Krebsfrüherkennung bei Männern unterstützen, stößt nach Erfahrungen Ehrmanns bei vielen Urologen aber auf Skepsis.

Ehrmann ist aber überzeugt, dass sich viele Patienten selbstständig an Hand klarer Fakten entscheiden, und sich nicht ausschließlich auf den Rat des Arztes verlassen wollen.

Viele Ärzte haben Vorbehalte

Genau diese Haltung ist eines der wichtigsten Ziele des Netzwerks, das sich für eine partizipative Entscheidungsfindung einsetzt, damit Patienten sich entsprechend ihrer persönlichen Präferenzen für oder auch gegen präventive, diagnostische und therapeutische Maßnahmen entscheiden können.

Manche Ärzte haben damit nach Erfahrungen des Netzwerks aber ein Problem - laut Mühlhauser wollen viele Ärzte nicht, dass Patienten jede Information kennen.

Für das Netzwerk liegt die Lösung in evidenzbasierten Gesundheitsinformationen, zu denen jeder Mensch Zugang hat. Diese Informationen müssten allerdings so aufbereitet sein, dass sie allgemeinverständlich sind.

Ein wichtiger, aber nur erster Schritt in diese Richtung sind in Patientensprache übersetzte Leitlinien.

Doch selbst mit Vorliegen und Verfügbarkeit unabhängiger Informationen ist Mühlhauser sicher, dass die Augenhöhe zwischen Arzt und Patient schon wegen der unterschiedlichen Vorbildung nicht zu erreichen sein wird.

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Kommentare
Klaus-Dieter Thill 20.03.201209:29 Uhr

Die Lösung ist einfach...

Das Internet ist inzwischen für viele Patienten zu einer selbstverständlichen Informationsquelle über Krankheiten, ihre Prävention und Behandlung, über Medikamente und Operationsverfahren geworden. Immer häufiger werden Ärzte deshalb in ihren Patientengesprächen mit der Aussage konfrontiert:“…und im Internet steht, dass…“.
Für niedergelassene Ärzte stellt sich die Frage, wie sie auf dieses Informationsverhalten reagieren und vor allem, wie sie die Patienten zu einer Nutzung von Netz-Informationsquellen motivieren können, die ihre persönlichen Behandlungsstrategien am besten unterstützen.
Die Lösung ist einfach: das Informations-Rezept. Hierbei handelt es sich um einen simplen, mit jedem Praxis-PC gestaltbaren Zettel im Rezeptformat, auf den unter der Überschrift „Informations-Rezept“ im Kopf die Basisdaten des jeweiligen Patienten gedruckt werden, gefolgt von dem Text: „Im Hinblick auf die bei Ihnen festgestellte(n) Erkrankung (Beschwerden) empfehle ich Ihnen folgende Internetseiten zur weiteren Information“. Hieran schließt sich eine Auflistung von Internetadressen an, deren Eignung vom Arzt geprüft wurde. Mittels Textbausteinen lässt sich die Zuordnung von Internetadressen und Krankheitsbildern automatisieren. Besteht das Patientenklientel zu einem großen Anteil aus jüngeren Patienten, können ergänzend die QR-Codes der empfohlenen Internetseiten aufgeführt werden, so dass diese auch mit einem Smartphone direkt angesteuert werden können.
Das Informations-Rezept bietet gleich mehrere Vorteile:
- die Praxis kann ihren Patienten eine zusätzliche Serviceleistung anbieten,
- die Netzrecherche der Patienten verläuft gezielt im Sinne der ärztlichen Empfehlungen,
- es wird eine einheitlichere Gesprächsebene zwischen Arzt und Patient geschaffen,
- die Rezeptform fördert das Praxisimage im Hinblick auf Modernität und einen Up-To-Date-Status.

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