Kassen greifen Ärzte an
"Selbstzahler-Leistungen sind ein Griff der Ärzte ins Patienten-Portemonnaie"
Selbstzahlerleistungen in Arztpraxen bleiben umstritten. Ärzte halten sie für sinnvoll. Krankenkassen und Patientenschützer laufen Sturm dagegen.
Veröffentlicht:BERLIN. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDS) stuft ergänzende Ultraschalluntersuchungen - das "Babyfernsehen" - in der Schwangerschaft als medizinisch unnötig, aber nicht als schädlich ein. Das ist das jüngste Ergebnis des IGeL-Monitors, für den der MDS individuelle Gesundheitsleistungen unter die Lupe nimmt. "Wenn Eltern die Entwicklung ihres Kindes im Babyfernsehen mitverfolgen möchten, so ist das unbedenklich", sagte Dr. Michaela Eikermann vom MDS bei der Vorstellung des aktuellen IGeL-Monitors am Dienstag.
Krankenkassen: "Igeln ist zum Volkssport geworden"
Die grundsätzliche Kritik des Medizinischen Dienstes am Umgang mancher Ärzte mit den Selbstzahlerleistungen bleibt bestehen. "Für manche Facharztgruppe ist IGeLn zum Volkssport geworden", sagte MDS-Geschäftsführer Dr. Peter Pick. Die Information und Aufklärung zu den Angeboten komme jedoch zu kurz. Rund 72 Prozent der Angebote stammen aus den Praxen von Frauen- und Augenärzten, Orthopäden, Hautärzten und Urologen. Allgemeinärzte seien deutlich zurückhaltender.
Rund eine Milliarde Euro im Jahr würden mit den Leistungen umgesetzt, habe eine Schätzung des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen ergeben, berichtete Pick. Er räumte ein, dass nicht nur Ärzte die IGeL nutzten, sondern auch Krankenkassen als Satzungsleistungen im Wettbewerb.
41 IGeL hat der MDS bislang geprüft. Lediglich drei seien tendenziell positiv bewertet worden, sagte Pick, keine einzige positiv. Die Stoßwellentherapie bei Fersenschmerz wird aufgrund der positiven Bewertung durch den MDS derzeit im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) daraufhin untersucht, ob sie zu Lasten der Kassen verordnet werden können sollte.
Die gesetzlichen Krankenkassen kritisierten Selbstzahler-Leistungen in der Arztpraxis als weitgehend unnötig. „Die Selbstzahler-Leistungen sind vor allem ein Griff der Ärzte in das Patienten-Portemonnaie“, sagte der Sprecher des Krankenkassen-Spitzenverbands, Florian Lanz, am Dienstag in Berlin.
KBV-Chef: "Es ist falsch, IGeL unter Generalverdacht zu stellen"
Die Ärzte wehren sich gegen den Vorwurf, mit vorgeblich medizinisch nutzlosen Verfahren Geld zu verdienen. "Es ist falsch, IGeL unter Generalverdacht zu stellen", sagte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen am Dienstag. Im individuellen Patientenfall könnten IGeL durchaus medizinisch sinnvoll sein.
Natürlich müsse der Patient ausreichend Zeit haben, um über das Angebot entscheiden zu können, so Gassen. Die Versichertenbefragung des vergangenen Jahres habe zudem gezeigt, dass IGeL von Patienten verstärkt nachgefragt würden. Die KBV und die Bundesärztekammer haben den Online-Ratgeber "Selbst zahlen?" herausgegeben. Der Ratgeber richtet sich an Ärzte und Patienten gleichermaßen.
"Was für Haustürgeschäfte gilt, muss auch für IGeL gelten", sagte Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz. Deshalb sei zwischen dem Angebot des Arztes und der Leistungserbringung eine vierzehntägige Bedenkzeit notwendig. Dafür müssten die gersetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden.
Wichtig sei, dass Patienten eine selbstbestimmte Entscheidung für oder gegen ein Angebot des Arztes treffen könnten. Die umstrittenen Verzichtserklärungen seien zu unterbinden, sagte Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.