Uniklinikum Gießen/Marburg
Unsachliche Kritik oder Pflegenotstand am UKGM?
Die Uniklinik Gießen-Marburg sieht sich schweren Vorwürfen des Betriebsrats ausgesetzt. Die Klinikleitung weist die Anschuldigungen von sich.
Veröffentlicht:Marburg. Nach dem Standort Gießen schlägt nun auch der Betriebsrat am Standort Marburg des privatisierten mittelhessischen Universitätsklinikums (UKGM) Alarm: Die Zahl der Überstunden sei auf 145.000 gestiegen. Und die Zahl der Überlastungsanzeigen, die dem Betriebsrat vorliegen, sei von 125 in 2016 auf 312 in 2018 geklettert. „Wir gehen davon aus, dass wir diese Zahl 2019 noch toppen werden“, erklärt Betriebsratsvorsitzender Wolfgang Demper.
Erschrocken sei der Betriebsrat auch vom Inhalt einiger Überlastungsanzeigen. So heißt es darin etwa, dass zehn schwer pflegebedürftige Patienten wegen Personalmangels nicht gewaschen werden konnten. Sie hätten nur noch darauf achten können, „dass niemand länger als 30 Minuten in seinem eigenen Stuhlgang oder Urin liegen muss“. Zudem berichtet Demper, dass nach den Anzeigen mitunter wichtige Parameter nicht gemessen oder Patienten zu selten umgelagert würden, um sie vor Wundliegen zu schützen.
Klinikleitung weist Kritik zurück
Völlig anders stellt sich die Situation für die Geschäftsführung des zum Rhön-Konzern gehörenden Klinikums dar, die mehr als ein Dutzend Stellungnahmen von Stationsleiterinnen, Pflegedienstleiterinnen, Mitarbeiterinnen und Klinikdirektoren gesammelt hat, die sich „gegen unsachliche Kritik an medizinischer und pflegerischer Versorgung der Patienten“ wehren.
„Diese trübe Stimmung, die der Betriebsrat hier verbreitet, entspricht in keiner Weise der Stimmung im Haus“, sagt etwa Stationsleiterin Melanie Bräuning-Thurm. Die Zahl der Überlastungsanzeigen sei rückläufig, betont Pflegedirektor Michael Reinecke. In den sehr wenigen Fällen, in denen es zu einer Überlastungsanzeige komme, beruhe dies meist darauf, dass Mitarbeiter kurzfristig erkranken.
Die vom Betriebsrat berichtete „Einzelsituation“ auf einer Station schildert Reinecke ebenfalls anders: Eine für den Nachtdienst eingeplante Mitarbeiterin sei kurzfristig erkrankt, weshalb Ersatz organisiert werden musste. Wegen der außergewöhnlich hohen Anzahl pflegebedürftiger Patienten hätten die in der Zwischenzeit verbliebenen Fachkräfte Prioritäten setzen müssen, aber sichergestellt, dass alle medizinisch und pflegerisch dringend notwendigen Maßnahmen durchgeführt wurden, so Reinecke.
„Diese besondere Situation spiegelt in keiner Weise den Klinikalltag am Universitätsklinikum Marburg wider“, betont er. Der ärztliche Geschäftsführer Professor Harald Renz verweist zudem auf Patientenbefragungen, wonach sich in allen Bereichen des Hauses eine sehr hohe Zufriedenheit ermitteln ließ.
Probleme auch in Gießen?
Der Standort Gießen des Universitätsklinikums war bereits vor drei Wochen in die Schlagzeilen geraten, weil dort wegen Personalmangels drei Stationen in der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik, der Chirurgie und der Kardiologie geschlossen werden mussten. „Auch in Marburg haben wir Personalmangel und Bettenschließungen“, sagt Demper. So seien zehn Betten auf der Kinder-Intensiv-Station gesperrt worden. Jeden Monat müsse der Betriebsrat Dienstpläne ablehnen, weil Personal fehle. Schließlich habe der Standort Marburg 1100 Planbetten – ebenso viele wie in Gießen, aber nur gut 900 Vollzeitpflegekräfte, in Gießen seien es 1065.
Stellen in Marburg alle besetzt
Nach Angaben der kaufmännischen Geschäftsführerin Sylvia Heinis sind allerdings alle Stellen in der Pflege am Standort Marburg besetzt. Zudem sei die Zahl der Pflegestellen von 876 Vollzeitkräften in 2017 auf 909 Vollzeitkräfte im Oktober 2019 erhöht worden.
Dagegen verweist Gewerkschaftssekretär Fabian Dzewas-Rehm darauf, dass die Pflegekräfte an der Universitätsklinik Gießen-Marburg schlechter bezahlt würden, als an anderen Uni-Krankenhäusern. Deshalb habe die privatisierte Uniklinik noch mehr Probleme, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden.
Dies gelte vor allem für Gießen, wo es mehr Krankenhäuser ringsum gebe, die höhere Löhne zahlten. Immerhin: Der Gewerkschafter geht davon aus, dass bei den aktuellen Verhandlungen zwischen Universitätsklinikum und Verdi die Gehälter an die Bezahlung in öffentlichen Kliniken angeglichen werden.
Privatisierung weiterhin in der Kritik
Dzewas-Rehm betont aber auch: „Wir erleben seit Jahren immer wieder, dass es zu Versorgungsengpässen am privatisierten Universitätsklinikum Gießen-Marburg kommt.“ Kaum öffentliche Investitionsmittel zu erhalten, aber zusätzlich Rendite zu erwirtschaften, funktioniere einfach nicht ohne Einsparungen beim Personal: „Es hat einen Grund, warum keine weitere Uniklinik in Deutschland privatisiert wurde.“ (coo)