Plädoyers der Staatsanwaltschaft
Vorgesetzte von Patientenmörder Niels H. können mit Freisprüchen rechnen
Der Prozess gegen sieben ehemalige Vorgesetzte von Pfleger Niels H. beleuchtet seit Wochen, ob der Patientenmörder hätte gestoppt werden können. Die Staatsanwaltschaft sieht keinen Beihilfe-Vorsatz.
Veröffentlicht:
Der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann leitete das Strafverfahren gegen ehemalige Vorgesetzte von Krankenpfleger Niels H.
© Sina Schuldt/picture alliance
Oldenburg. Welche Mitschuld tragen ehemalige Kollegen, Ärzte und Klinikleitungen an den Taten des verurteilten Patientenmörders Niels H.? Seit Februar sucht das Landgericht Oldenburg in einem Prozess gegen sieben ehemalige Vorgesetzte nach Antworten.
Dabei hat sich herausgestellt: An den Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst gab es viel Gerede über H., das Misstrauen war groß. Dennoch wurde am Mittwoch einmal mehr deutlich, dass die Angeklagten keine Verurteilung befürchten müssen. Selbst die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer Freisprüche.
Einzelne Angeklagten hätten zwar „Schuld auf sich geladen“, sagte Staatsanwältin Gesa Weiß. Es seien massive Fehler gemacht worden. „Auf Verdachtsmomente wurde falsch reagiert“, so Weiß. Dies sei aber „nicht justiziabel“. Bei keinem der Angeklagten sei ein Vorsatz zur Beihilfe zum Totschlag beziehungsweise versuchten Totschlag durch Unterlassen zu erkennen. Angeklagt sind drei Ärzte, zwei leitende Pflegerinnen und ein leitender Pfleger sowie ein Ex-Geschäftsführer.
„Monströse Vorwürfe“
Auch die Verteidigung plädierte am Mittwoch auf Freispruch. Die Anwältin einer Angeklagten sprach erneut von „monströsen Vorwürfen“ seitens der Anklage, von denen ihre Mandantin während des Verfahrens vollständig entlastet worden sei. Die leitende Pflegerin habe Hs. Taten nicht erkennen können.
H. wurde 2019 wegen 85-fachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er tötete Patienten, indem er ihnen nicht verordnete Medikamente spritzte. Laut Gericht wollte er sich mit Reanimationen profilieren. Die Verbrechen begannen im Jahr 2000 im Klinikum Oldenburg und endeten 2005 im Klinikum Delmenhorst, nachdem eine Kollegin H. auf frischer Tat ertappte. In dem Prozess gegen seine ehemaligen Vorgesetzten geht es um acht Fälle: sechs Morde und zwei Mordversuche.
Staatsanwältin Weiß sagte, Kollegen und Vorgesetzte am Klinikum Oldenburg hätten H. zunehmend misstraut, vor allem nach einem Wochenende, an dem besonders viele Patienten reanimiert worden seien. „Infusionen von Patienten wurden ausgetauscht, wenn H. Dienst hatte“, berichtete sie. Schließlich hätten drei Ärzte die Zusammenarbeit mit Högel verweigert, offiziell wegen Vertrauensbruchs. „Über die wahren Gründe wurde geschwiegen“, sagte Weiß.
Tatsächlich hätten sie H. als „zu gefährlich“ für ihre Patienten angesehen. Einen Tötungsvorsatz hätten aber auch sie mit ihrem Wissen von damals nicht erkennen können, betonte Weiß.
H. sei schließlich von der Klinik nahegelegt worden, selbst zu kündigen. Mit einem guten Zeugnis wechselte er 2002 nach Delmenhorst, wo er seine Taten fortsetzte. Weiß verglich die Vorgehensweise in Oldenburg mit dem der katholischen Kirche in Bezug auf Missbrauchsfälle. Priester wurden ebenfalls vielfach versetzt.
„Hauptsache aus dem Verantwortungsbereich weg“, sagte Weiß. Selbst als der erste Todesfall in Delmenhorst bekannt wurde, habe die Klinikleitung in Oldenburg nicht mitgeteilt, dass es bereits in ihrem Haus Auffälligkeiten mit H. gegeben habe.
Urteil wird keine Überraschung
Am Donnerstag wollte die Verteidigung mit ihren Plädoyers fortfahren. Das Urteil wird in zwei Wochen gesprochen. Für Verfahrensbeobachter wird es keine Überraschung geben: Das Landgericht hatte in einer vorläufigen Einschätzung vor drei Wochen bereits mitgeteilt, die Beweisaufnahme habe ein vorsätzliches Handeln der Angeklagten nicht mit ausreichender Gewissheit belegt.
Das Unbehagen gegenüber Högels Verhalten sei für die Feststellung eines auch nur bedingt vorsätzlichen Verhaltens nicht ausreichend. Dies jedoch wäre Voraussetzung für eine Verurteilung.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, das Strafrecht sei nicht in der Lage, die Verantwortung von Högels Vorgesetzten aufzuarbeiten. „Auch deshalb müssen die Krankenhäuser und der Gesetzgeber auf Prävention setzen. Es braucht eine Kultur des Hinschauens auf allen Ebenen in der Alten- und Krankenpflege.“ (dpa)