Beispiel Delmenhorst

Was tun gegen "Todesengel" am Klinikbett?

Krankenpfleger, die im Dienst Patienten töten, hat es schon mehrfach gegeben. Können sich Krankenhäuser überhaupt wirksam vor Übergriffen dieser Art schützen?

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Opfer eines Krankenpflegers? Kliniken können nach Expertenmeinung nicht verhindern, dass Gesundheitsdienstleister auch töten.

Opfer eines Krankenpflegers? Kliniken können nach Expertenmeinung nicht verhindern, dass Gesundheitsdienstleister auch töten.

© Rene Kampfer / Panthermedia

DELMENHORST. So, wie es aussieht, hat der ehemalige Krankenpfleger Niels H. im Klinikum Delmenhorst bei Bremen 30 Patienten getötet. Jedenfalls erklärte das der psychiatrische Gutachter von Niels H. am vergangenen Donnerstag vor dem Landgericht Oldenburg.

Niels H. ist dort angeklagt wegen dreifachen Mordes und zweifachen Mordversuches. Taten, die er nun offenbar dem psychiatrischen Gutachter gegenüber zugegeben hat. Es handelte sich um Patienten, die schwer krank auf der Intensivstation des Klinikums lagen.

Die mögliche Mordserie könnte sogar noch größere Ausmaße haben. Jedenfalls ermittelt die Staatsanwaltschaft Oldenburg in mehr als 170 Fällen.

Das ist in der Tat - man kann es nicht anders nennen - ein Schreckensszenario: Ausgerechnet an dem Ort, der Hilfe, Fürsorge und Unterstützung für lebensbedrohlich Erkrankte verspricht, geschah offenbar das direkte Gegenteil: Tötung.

Es erinnert daran, wie ausgeliefert Patienten im Klinikbetrieb und besonders auf Intensivstationen sind. Sie sind gezwungen, einen Teil ihrer Autonomie, ihrer körperlichen Integrität abzugeben und den Pflegenden und Ärzten zu vertrauen.

Die Patienten und ihre Angehörigen rechnen zu recht damit, dass hier auf diese besondere Form der Wehrlosigkeit Rücksicht genommen wird.

Wehrlosigkeit allenthalben

Dass nun dieser Vertrauensvorschuss möglicherweise derart ausgenutzt wurde, so hört man aus dem Krankenhaus Delmenhorst und dem Klinikum Oldenburg, das möglicherweise auch betroffen ist, hat die Pflegenden und Kollegen am Krankenbett nachhaltig bestürzt.

 Niemand unter ihnen hätte damit rechnen können, dass ein Kollege und Teammitglied Patienten töten würde, sagte jüngst der Anwalt des Klinikums Delmenhorst, Erich Joester.

Da hat er recht. Alle Beteiligten müssen davon ausgehen können, dass ein Krankenhaus ein Ort der helfenden Zuwendung ist. Nun hat sich aber gezeigt: Nicht nur die einzelnen Patienten sind wehrlos, auch der Krankenhausbetrieb selber ist es.

Professor Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen in Hannover, sagt jedenfalls: "Die Morde hätten nicht verhindert werden können. So genannte ‚Todesengel‘ hat es immer gegeben. Da gibt es keinen Schutz".

Ein Krankenhaus könne sich nicht nachhaltig schützen gegen Menschen, die sich zum Herrn über Leben und Tod aufschwingen.

Für Pfeiffer sind solche Persönlichkeitstypen wie Niels H. Menschen, die keine Empathie erlernt haben. "Deshalb haben sie Kränkungen und Misserfolge nicht verarbeiten können und kompensieren dies durch ihre furchtbaren Taten."

Abgesehen davon, ob man Niels H. in Delmenhorst oder in Oldenburg hätte anstellen dürfen, ist klar: Seelische Verwerfungen stehen nicht im Führungszeugnis.

Interessanter vielleicht noch als Pfeiffers Diagnose sind die Zahlen, die er vorlegt: "In den zurückliegenden Jahren ist die Zahl der erwiesenen Morde um 44 Prozent rückläufig, ebenso die Fälle vorsätzlicher Tötung."

Mitte der 1980er Jahre zählte Pfeiffers Institut in Deutschland noch 50 Sexualmorde im Jahr, "2013 waren es noch zwei", so Pfeiffer. Für den Kriminologen ist diese Entwicklung eine klare Folge besserer Erziehung der Kinder.

"Die Anzahl der schlagenden Eltern ist deutlich zurück gegangen und deshalb die der Morde." Auch für Tötungen im Krankenhaus liegen derzeit keine Daten darüber vor, dass sie zugenommen hätten, erklärt der Kriminologe.

Patientenvertrauen muss wiedergewonnen werden

Wie dem auch sein - nun muss das Personal des betroffenen Krankenhauses, möglicherweise der betroffenen Krankenhäuser, das verlorene Vertrauen in die eigene Arbeit und Kollegialität zurück gewinnen. Aber wie?

Nun, Ansatzpunkte gibt es zu Hauf: Ich sah eine internistische Station, auf der Pflegende und Ärzte ihre Arbeit im Dauerlauf erledigen mussten - so groß war die Aufgabe und so knapp das Personal.

Ich sah eine Gruppe von Krankenhaushebammen, sie wollten gemeinsam ihren Chefarzt loswerden - so miserabel war die Kooperation. Ich sah unter Stress weinende Assistenzärzte. Um nur drei Beispiele zu nennen.

Gewiss, das alles sind punktuelle Beobachtungen und sie mögen als Randnotizen eines insgesamt sehr guten Klinikbetriebes gelten. Und all die Gesten der Unterstützung und der Solidarität in den Klinik-Kollegien würden hier Seiten füllen. Wohl wahr.

Aber wenn Pfeiffer anmahnt, die Kollegialität und die kollegiale Anteilnahme zu steigern und hier eine größere Sensibilität zu entwickeln, dann dürften seine Worte die Richtung weisen.

Denn dies sagt er: "Auch wenn es letztlich keinen Schutz vor Verbrechen gibt - wenn sich zeigt, dass Kollegen in einer schwierigen psychischen Situation sind, dann sind Sensibilität und Anteilnahme die beste Prävention."

Also: Augen auf und Fürsorglichkeit den Kollegen gegenüber. Das ist keine Küchenpsychologie, sondern eigentlich die Bedingung der Möglichkeit, überhaupt kranke Menschen in ihren manchmal bleischweren Lebenssituationen wirksam zu unterstützen.

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