Urteil

Zwangsbehandlung trotz Patientenverfügung rechtens

Auch wenn eine gegenteilige Verfügung vorliegt, darf ein psychisch Erkrankter zwangsbehandelt werden. Das urteilte ein Landgericht.

Von Martin Wortmann Veröffentlicht:
Es kommt auf den jeweiligen Zustand des Patienten an, ob der in der Verfügung festgelegte Wille im Ernstfall zählt.

Es kommt auf den jeweiligen Zustand des Patienten an, ob der in der Verfügung festgelegte Wille im Ernstfall zählt.

© Dan Race / Fotolia

Osnabrück. Die Zwangsunterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung und eine Zwangsbehandlung mit Medikamenten können auch dann zulässig sein, wenn die betroffene Person dies in einer Patientenverfügung abgelehnt hat. Sie sind zulässig, wenn die betroffene Person eine Gefahr für Dritte bedeutet, wie das Landgericht Osnabrück entschied.

Im Streitfall hatte eine Gemeinde die Zwangsunterbringung beantragt. Der Betroffene zeige sexuell enthemmtes und aggressives Verhalten und sei daher eine Gefahr für Dritte. Zudem sei er wegen einer potenziell lebensbedrohlichen körperlichen Erkrankung auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen, was er aufgrund seiner psychischen Erkrankung aber nicht erfassen könne.

Allerdings hatte der Betroffene eine Patientenverfügung unterschrieben. Darin lehnt er „jede Zwangsbehandlung egal mit welchen als Medikamenten bezeichneten Stoffen“ ebenso ab wie die „Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung“.

Selbsthilfeorganisationen aktiv

Eine entsprechende Patientenverfügung wird von der Initiative „PatVerfü“ im Internet unter dem Slogan „Für Freiheit, gegen Zwang“ angeboten. Dahinter stehen die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener und weitere Selbsthilfeorganisationen.

In der Verfügung werden psychiatrische Diagnosen als „schwere Persönlichkeitsverletzung“, eine Unterbringung als „Gefangennahme“ und eine Zwangsbehandlung als „Folter und schwerste Körperverletzung“ bezeichnet.

Das Landgericht Osnabrück ging nun davon aus, dass die Unterzeichner der Patientenverfügung sich „allein gegen psychiatrische Zwangsbehandlungen schützen wollen“. Dies sei bei der Auslegung zu berücksichtigen, sodass der Ausschluss einer Zwangsmedikation bei körperlichen Leiden nicht greife.

Unter den üblichen Voraussetzungen sei hier eine Zwangsbehandlung daher zulässig, insbesondere dann, wenn die Person die Notwendigkeit der Behandlung nicht mehr erkennen könne.

Nach dem Osnabrücker Beschluss kann die Patientenverfügung die Unterbringung und Zwangsbehandlung wegen einer psychischen Erkrankung nicht in jedem Fall verhindern. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, gelte nicht uneingeschränkt. Es finde seine Grenzen in den Rechten Dritter.

Eine Zwangsbehandlung sei daher trotz entgegenstehender Patientenverfügung zulässig, „wenn sie dem Schutz anderer Bürgerinnen und Bürger dient“. Sei jemand aufgrund seiner Erkrankung gefährlich für Dritte, müsse sich das berechtigte Interesse der Allgemeinheit gegen das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen durchsetzen.

Revision beim BGH möglich

Diese Voraussetzungen sah das Landgericht hier als erfüllt an. Neben der Unterbringung sei auch die Zwangsbehandlung dadurch gerechtfertigt, „den Zustand der betroffenen Person zu verbessern“.

Damit diene sie auch dazu, die in der Verfügung abgelehnte aber „zum Schutz der Allgemeinheit nötige Unterbringung möglichst kurz zu halten“.

Gegen diesen Beschluss ließ das LG Osnabrück den Rechtsweg zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe zu. Das Verhältnis zwischen Patientenverfügung und Zwangsbehandlung sei höchstrichterlich nicht geklärt.

Landgericht Osnabrück: Az.: 4 T 8/20 bis 4 T 10/20

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