Fallbericht
Blind durch Pommes, Chips und Toast?
Übergewicht und Stoffwechselprobleme wie Diabetes sind die wohl häufigsten Folgen ungesunder Ernährung. Jahrelange Fehlernährung kann aber auch ganz andere Probleme nach sich ziehen.
Veröffentlicht:BERLIN. Ernährung mit „Junk Food“ kann zu einer Optikusneuropathie führen, warnen Augenärzte von der Uniklinik in Bristol. Sie berichten von einem schlanken 17-Jährigen, der in den vergangenen Jahren praktisch erblindet war. Auch sein Hörvermögen war beeinträchtigt. Nach eigenen Angaben hatte er Probleme mit der Textur von Lebensmitteln und sich daher seit der Grundschule nur von Pommes, Chips, Toastbrot und gelegentlich einer Scheibe Schinken ernährt (Ann Intern Med. 2019, online 3. September, DOI: 10.7326/L19-0361). Eine derartige Schädigung des Sehnervens allein aufgrund von schlechter Ernährung sei in Industrieländern selten, schreiben die Autoren.
Der Ernährungsforscher Stefan Kabisch vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam hält den beschriebenen Zusammenhang zwischen Fehlernährung und Seh- und Hörverlust daher auch für nicht wahrscheinlich. Es sei keine Frage, dass sich der Junge nicht gesund ernährt habe. „Seine Vitamin-Werte sind dafür aber immer noch relativ gut, sie liegen im niedrigen Normalbereich und können meines Erachtens die Seh- und Hörstörungen nicht erklären.“ Möglicherweise könne er aber aufgenommene Vitamine nicht ausreichend verwerten.
Hans Konrad Biesalski von der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin vermutet, dass bei dem Patienten zu der schlechten Ernährung weitere Probleme hinzukommen, wie etwa eine ungünstige genetische Veranlagung. „Dass eine langfristige sehr schlechte Ernährung eine Schädigung des Sehnervs nach sich zieht, ist bekannt, wenn auch sehr selten. Meist tritt das im Zusammenhang mit exzessivem Alkoholkonsum auf.“
Schon früh beim Essen pingelig
Erste Probleme, die wohl auf seine Ernährung zurückzuführen waren, bekam der Junge schon als Teenager, wie die britischen Mediziner erläutern. Als 14-Jähriger berichtete er demnach seinem Hausarzt von anhaltender Müdigkeit. Er war pingelig mit dem Essen, ansonsten aber gesund. Der Arzt stellte einen Vitamin-B12-Mangel fest, den er mit Vitaminspritzen behob. Zudem bekam der Junge eine Ernährungsberatung.
Ein Jahr später klagte er über Hörverlust und wenig später auch über Probleme mit dem Sehen, wie es weiter hieß. Die Ärzte fanden keine Ursachen. Mit 17 Jahren hatte sich sein Sehvermögen weiter verschlechtert, er wurde an einen Spezialisten überwiesen, der eine Beschädigung des Sehnervs feststellte.
Den Grund dafür fanden die Ärzte zunächst nicht. Der Nerv war nicht entzündet oder eingeklemmt, auch eine genetische Ursache wurde nicht gefunden.
Vitaminsupplementation brachte wenig
Der einzige auffällige Befund war ein niedriger Vitamin-B12-Spiegel. Dies veranlasste die Ärzte, die Ernährung des Jugendlichen genauer zu beleuchten. Dieser erzählte demnach, dass er seit seiner Grundschulzeit nur Pommes, bestimmte Chips, Weißbrot, Schinken und Würstchen aß. Andere Lebensmittel würde er aufgrund ihrer Textur nicht essen. Er war nicht übergewichtig, rauchte und trank nicht und nahm keine Drogen.
Die Ärzte stellten einen sehr niedrigen Kupfer- und Selenspiegel fest, die Zink-Werte waren erhöht, der Vitamin-D-Spiegel war ebenso wie die Knochenmineraldichte zu gering. Die Werte für Vitamin A und E sowie Folsäure und Eisen waren ebenfalls niedrig, wenn auch noch im Normalbereich.
Die Ärzte korrigierten die Defizite mit Hilfe von Nahrungsergänzungsmitteln, zur Behandlung seiner Essstörung wurde er zudem an spezielle Therapeuten überwiesen. Das Sehvermögen wurde daraufhin nicht mehr schlechter, besserte sich aber auch nicht.
Den Autoren des Fallberichts zufolge leidet der Jugendliche vermutlich an einer „vermeidend/restriktiven Essstörung“. Die davon Betroffenen essen sehr wählerisch – aber nicht, um ihr Gewicht oder ihre Figur zu beeinflussen, sondern weil ihnen die Beschaffenheit bestimmter Nahrungsmittel zuwider ist. Zudem kann das Essen mit Ängsten verbunden sein, etwa zu ersticken oder sich erbrechen zu müssen. (dpa)