Prostatakrebs
Auf Ablehnung folgt Wohlwollen für PSA-basiertes Screening
Offiziell gibt die deutsche Urologie noch keine Empfehlung für ein allgemeines PSA-basiertes Prostatakarzinom-Screening ab. Doch Vertreter der Fachgesellschaft sprechen sich für ein organisiertes und Risiko- adaptiertes Screening aus.
Veröffentlicht:Steuert die unendliche Geschichte vom PSA-basierten Prostatakarzinom (PCa)-Screening auf ein Finale zu? Der Depression, nachdem nordamerikanische Fachgesellschaften sich überwiegend gegen ein PSA-basiertes Screening ausgesprochen hatten, folgt jetzt die Rehabilitation desselben. Diese Botschaft ging vom diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologe (DGU) in Dresden aus. Es sei keine Frage des "Ob" mehr, nur noch des "Wie", hieß es. Maßgebliche Vertreter der DGU setzen auf ein organisiertes, Risiko-adaptiertes PCa-Screening – möglichst finanziert von den gesetzlichen Kassen.
Umdenken in den USA
Gründe für den Optimismus der deutschen Urologen sind ein Umdenken der U.S. Preventive Services Task Force, die den Stellenwert des Screenings gerade wieder hochgestuft hat, vor allem aber neue Daten aus den Mega-Studien ERSPC (European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer) und PLCO (Prostate, Lung, Colorectal, and Ovarian Cancer Screening Trial).
Kurzer Rückblick: Während die europäische Studie mit 180.000 Männern eine Senkung der PCa-bedingten Sterblichkeit bei gescreenten Männern ergeben hatte, waren die US-Amerikaner vom PSA-basierten Screening abgerückt, unter anderem weil ihre PLCO-Studie angeblich keinen Vorteil des Screenings ergeben hatte. Im Frühjahr 2016 war dann herausgekommen, dass in der Nicht-Screening-Gruppe in Wirklichkeit mehr als 80 Prozent der Teilnehmer doch ein mehr oder weniger intensives Screening in Anspruch genommen hatten. Es hatte in der PLCO-Studie also keinen echten Vergleich zwischen Screening und Nicht-Screening gegeben. Demzufolge konnten auch keine unterschiedlichen Effekte gemessen werden.
Positive Studiendaten
Nun ist Anfang September eine gemeinsame Auswertung der ERSPC- und der PLCO-Daten erschienen. Resultat der "sehr komplexen Statistik", so Professor Joachim Noldus vom Marien Hospital Herne: Fast deckungsgleich konnte in beiden Studien bei einem Screening eine Mortalitätsreduktion um 25 bis 32 Prozent gemessen werden (Ann Intern Med 2017; Sept 5 online). Bestätigt wird dies durch eine schwedische Untersuchung mit Männern im Alter von Anfang bis Mitte 50 und einer Nachbeobachtungszeit von 18 Jahren: Die Zahl der Prostatakarzinom-Diagnosen verdoppelt sich, die Rate an Prostatakrebs-Metastasen halbiert sich und die Rate Prostatakarzinom-bedingter Todesfälle geht signifikant um 42 Prozent zurück.
Kann das PSA-Screening also Leben verlängern? Eindeutig ja, sagen die Urologen. 139 Männer müssen laut schwedischer Daten zum Screening eingeladen und 13 Karzinome diagnostiziert werden, um innerhalb von 18 Jahren einen Todesfall zu verhindern, bei opportunistischem Screening sind die Zahlen schlechter (Euro Urol 2015; 68: 354-360).
Klar ist aber auch: Durch das Screening werden eine Menge Karzinome entdeckt, die keiner Behandlung bedürfen: Mehr als jeder zweite Mann bräuchte keine Therapie, weil er nicht am Prostatakarzinom sterben würde. Was also tun, um Männer zu akzeptablen Kosten mit behandlungsbedürftigen Karzinomen zu identifizieren und Übertherapien zu vermeiden?
Wolle man Leben retten, müsse man lernen, zwischen der Diagnose eines Prostatakarzinoms und dessen Therapie zu trennen, meint Noldus. Soll heißen: Weniger operieren, mehr aktiv überwachen. Die Altersbeschränkung soll Überdiagnostik und Übertherapien vermeiden helfen: Wer mit Ende 40 einen PSA-Wert von unter 1 ng/ml hat, braucht sich vermutlich nie mehr screenen zu lassen, ab einem Alter von 70 Jahren erscheint die Fortsetzung des Screenings nicht mehr sinnvoll.
Professor Gerd Lümmen aus Troisdorf, langjähriges Mitglied der Leitlinienkommission zum Prostatakarzinom, sprach sich in Dresden für ein organisiertes Screening zwischen dem 55. und 69. Lebensjahr mit individualisierten Kontrollintervallen aus. Offiziell empfiehlt die DGU noch den Basis-PSA ab 45 Jahre, bei Werten unter 1 ng/ml soll alle vier Jahre kontrolliert werden, bei 1 bis 2 ng/ml alle zwei Jahre und bei Werten über 2 ng/ml jährlich. Professor Marc-Oliver Grimm aus Jena empfahl für die Praxis außerdem die Nutzung eines Prostatakrebs-Risikokalkulators. "Manchmal ist man erstaunt, wie niedrig das Risiko für ein signifikantes Prostatakarzinom tatsächlich ist", sagte Grimm. In den Kalkulator gehen Gesamt- und freies PSA, Prostatavolumen, Alter und das Ergebnis der digital-rektalen Untersuchung ein.
Wie hoch ist die Akzeptanz?
Bleibt die Frage, ob die Männer ein organisiertes Screening dieser Art annehmen würden. Innerhalb eines Versorgungskonzepts der AOK Baden-Württemberg hatten im 3. Quartal 2016 etwa 3000 Versicherte eine Prostatakrebs-Früherkennungsuntersuchung in Anspruch genommen, so Privatdozentin Sabine Hawighorst-Knapstein von der AOK Stuttgart. Die Hälfte von ihnen wollte keinen PSA-Wert messen lassen. Insgesamt hatten sich knapp 600 Verdachtsfälle ergeben. Es waren 91 Biopsien gemacht worden, zwei Drittel der Biopsien waren positiv. Hawighorst-Knapstein wies auf die erhebliche psychische Belastung eines positiven Befundes hin: Depressionen, Angst- und posttraumatische Belastungsstörungen nähmen nach der Diagnose zu. Auch dafür, so die Ärztin, müssten Hilfsstrukturen vorgehalten werden.
Ergebnisse aus ERSPC und PLCO
- In beiden Studien konnte bei einem PSA-Screening eine Mortalitätsreduktion um 25 bis 32 Prozent gemessen werden.
- Bestätigt wird dies durch eine schwedische Untersuchung mit Männern im Alter von Anfang bis Mitte 50 und einer Nachbeobachtungszeit von 18 Jahren.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: PSA-basiertes Screening ist nur ein Anfang