Flugangst
Die Hölle am Himmel
Herzrasen, Schweißausbrüche, Übelkeit - manche Menschen leiden beim Fliegen Höllenqualen. Ein zweitägiges Seminar soll Menschen, die häufig schon seit Jahren unter Flugangst leiden, dazu bringen, wieder in ein Flugzeug zu steigen. Kann das tatsächlich funktionieren?
Veröffentlicht:FRANKFURT. Angst ist das Gefühl, das die 13 Menschen in dem kleinen grauen Raum zusammenbringt. Während vor dem Fenster im Minutenabstand tonnenschwere Flugzeuge vorbeidonnern, füllt sich hinter dem Fenster ein weißes Flipchart mit schwarzen Buchstaben. "Angst vor der Enge und anderen Menschen" steht darauf, "Angst vor dem Absturz", "Angst, Kontrolle abzugeben" und "Angst vor dem Herzinfarkt".
Darina Augapfel heißt die Frau, die die Buchstaben schwungvoll auf das Flipchart schreibt. Sie ist Psychologin und Psychotherapeutin und will den 13 Menschen in zwei Tagen die Furcht nehmen, die sie alle belastet: Flugangst. So unterschiedlich dabei die Facetten der Flugangst sind, so unterschiedlich sind auch die 13 Seminarteilnehmer.
Auf schwarzen Swingerstühlen sitzen sie an einem Samstag am Frankfurter Flughafen in dem grauen Seminarraum, auf dem Boden vor ihnen jeweils ein selbstbeschriebenes Schild mit ihren Vornamen.
Die Angst, Kontrolle abzugeben
Joshua ist Schüler, er hat Angst davor, mit dem Flugzeug abzustürzen und wird vor einem Flug "teilweise launisch und aggressiv."
Anja hat den Absturz dreier Kunstflugmaschinen in Ramstein im Sommer 1988 miterlebt. "Danach hatte ich fürchterliche Flugangst mit Herzrasen und Schweißausbrüchen", sagt sie. Schon vor 15 Jahren hat Anja an einem Seminar gegen Flugangst teilgenommen, es habe ihr sehr geholfen. Trotzdem sei die Angst geblieben, "wie unter einer dünnen Eisschicht verborgen". Ein zweites Seminar soll die Eisschicht nun ein bisschen dicker machen.
Ciro, ein Enddreißiger, hat Angst, beim Fliegen zu viel Kontrolle abzugeben und betäubt sich vor jedem Flug mit Alkohol. Und in Marlens Kopf spielt sich jedes Mal, wenn sie in ein Flugzeug steigen soll, das Kopfkino mit Katastrophenszenario ab, weswegen sie in den letzten Jahren immer wieder bereits geplante Flüge abgesagt hat. Schon Tage vor einer Flugreise habe sie keinen Appetit, ihr sei übel und schlafen könne sie kaum.
Vor zwei Tag fürchten sich die Meisten
Alle 13 Teilnehmer sind schon einmal geflogen - und wollen es auch wieder tun. Manche, wie Joshua, schon einen Tag nach dem Seminar, andere, wie Yuri, eine Woche später, nach Mallorca in den Urlaub. Anja plant ihre Hochzeitsreise - "und die soll nicht nur nach Europa gehen".
Die meisten von ihnen haben das Seminar geschenkt bekommen, von der Ehefrau, von Freunden. Von sich aus den Schritt gewagt haben nur wenige. Doch sie alle hoffen, dass Darina Augapfel ihre Angst, wenn schon nicht zum Verschwinden bringen, so doch wenigstens mindern kann.
Über zwei Tage geht das Seminar, wobei Tag zwei den meisten Teilnehmern deutlich mehr Sorgen bereitet als Tag eins. Denn dann ist ein Kurzstreckenflug von Frankfurt nach Berlin und wieder zurück geplant - je eineinhalb Stunden in der bedrückenden Enge eines Flugzeugs. Doch schon Tag eins kostet manchen Teilnehmer mehr Überwindung als gedacht.
Therapiestunde im Siegerflieger
Mit neongelben Warnjacken bekleidet, auf denen deutlich der Hinweis "Seminar zum entspannten Fliegen" steht, betreten die Teilnehmer einen Flugzeughangar.
Mitra ist die Aufschrift peinlich: "Da sieht ja jeder auf den ersten Blick, was wir für Angsthasen sind."
Arbeiter in blauen Anzügen schieben Passagiertreppen hin und her, Rufe schallen durch den Hangar. In der Mitte der Halle steht eine Boeing, auf den Seitenflächen prangt der goldene Schriftzug "Siegerflieger".
Es ist das Flugzeug, mit dem die Deutsche Fußballnationalmannschaft nach dem WM-Sieg 2014 aus Rio de Janeiro zurück in die Heimat flog. Mittlerweile ist die Boeing im normalen Flugverkehr im Einsatz.
16 Millionen Kilometer in 23.000 Flugstunden
Die Seminarteilnehmer in den leuchtend neongelben Jacken nähern sich dem Siegerflieger. Werner Fuchs ist hinzugekommen, Pilot im Ruhestand. 23.000 Flugstunden hat er absolviert und dabei mehr als 16 Millionen Kilometer zurückgelegt. Fuchs, in Pilotenuniform, erklärt technische Details, geht auf mögliche Turbulenzen in der Luft ein und beantwortet Fragen. So will er die Ängste der Seminarteilnehmer abbauen.
"In einem Flugzeug ist alles mindestens zweimal vorhanden. Das heißt, selbst wenn jedes System einmal ausfällt, haben wir eines in Reserve und können das Flugzeug sicher steuern", so Fuchs. Natürlich gelte außerdem die Regel: Sobald ein Systeme ausfalle, lande der Pilot am nächsten Flughafen. "Die Sicherheit der Passagiere geht immer vor".
"Turbulenzen können eine Maschine nicht zerstören"
Mit einer kleinen Spielzeug-Lufthansamaschine in der Hand erklärt Fuchs, wie ein Flugzeug auf Turbulenzen reagiert, lässt die Flugzeugnase mal nach oben zeigen, mal zur Seite. "Turbulenzen können die Maschine nicht zerstören." Eigentlich sei eine Turbulenz nichts anderes, als im Meerwasser mit den Wellen zu gehen, sagt der Pilot, - bloß, dass man das Wasser im Gegensatz zur Luft sehen könne.
"Kann die Scheibe im Cockpit eigentlich splittern?" fragt Joshua und blickt besorgt zur Boeing hinauf. "Die Flugzeugscheiben werden permanent auf 42 Grad geheizt, dadurch sind sie flexibel und elastisch", erklärt Fuchs. "Bei einem Sicherheitstest wird die Scheibe unter den gleichen Bedingungen wie in der Luft mit Tiefkühl-Hähnchen beschossen, sie hält also extremem Druck stand." Joshua muss lachen und scheint beruhigt.
Das Stresslevel liegt bei 1000
Die Psychologin fügt hinzu: "Es geht nicht darum, Euch die Angst auszutreiben." Angst habe einen evolutionären Sinn, sie sichere das eigene Überleben. Es gehe vielmehr darum, irrationale Ängste wie die Flugangst abzubauen, mit Übungen wie bestimmten Atemtechniken und Dehnungsübungen. "Wir wollen die bisherigen Erlebnisse durch neue, bessere Erfahrungen ersetzen."
Eine solche neue Erfahrung sollen die Teilnehmer nun im Siegerflieger machen. Es geht dabei nicht nur darum, das Flugzeug von außen zu betrachten, sondern auch darum, es tatsächlich zu betreten.
Schon die schmale Treppe, über die die Teilnehmer in die Boeing steigen sollen, macht Marlen Angst. "Tief ein- und ausatmen", beruhigt sie Augapfel, und nach einigen Minuten steigt Marlen die Treppe hinauf und betritt das Flugzeug. "Wie hoch liegt dein Stresslevel?" fragt Augapfel. "Bei 1000" antwortet Marlen mit einem gequälten, schiefen Lächeln und fasst sich an die Stirn.
Schweißtropfen sammeln sich auf der Stirn
Die 13 Teilnehmer setzen sich in die engen, grauen Sitze der Economy-Klasse. Im Flugzeug ist es stickig und heiß, bei vielen von ihnen sammeln sich Schweißtropfen auf der Stirn - wegen der Hitze, aber auch wegen der eigenen Angst.
Einigen ist ihr Unbehagen anzusehen, Anja wirkt in dem fahlen Kabinenlicht weiß wie die Außenverkleidung des Flugzeugs. Ciro knetet seine Hände, Joshua presst die Ellbogen auf die Armlehnen, angespannt blickt er zu Darina Augapfel.
"Dass ihr jetzt schon Angst habt, ohne dass das Flugzeug überhaupt gestartet ist, zeigt doch: das Fliegen an sich ist gar nicht das Problem", sagt Augapfel. Vielmehr sei meist die Angst vor der Angst das eigentliche Problem.
Konzentration auf die eigene Atmung
"Stress ist der kleine Bruder der Angst", so die Psychologin, "quasi die Einflugschneise für Flugangst." Vor einem Flug solle man daher schon Tage vorher Stresssituationen vermeiden, mit Atemtechniken und Dehnungsübungen. "Die helfen Euch dann auch in der konkreten Situation, wenn Ihr im Flugzeug sitzt."
Beim Atmen sei es wichtig, sich zu konzentrieren, länger aus- als einzuatmen und die Atmung so zu verlangsamen. Auch Dehnungsübungen helfen, erklärt Augapfel. Mit den Händen an die Kopfstützen fassen, die Arme abwechselnd an- und wieder entspannen, überschüssige Energie loswerden.
In den Flugzeugsitzen versunken tun die Teilnehmer es Augapfel nach, schließen die Augen, fassen um die Kopfstützen, üben das richtige Atmen.
Auch Marlen atmet kontrolliert ein und aus, ein wenig entspannt sie sich, aber es falle ihr schwer, "erst einmal einen Schritt zurückzugehen, um sich auf die eigene Atmung zu konzentrieren zu können."
Tränen des Stolzes
Einen kurzen Blick in das Cockpit wagt sie mit Pilot Werner Fuchs dann doch, setzen will sie sich in den mit graubraunen Plüschfell überzogenen Pilotensitz aber nicht. Hinter Fuchs bleibt sie an der Tür zum Cockpit stehen, die vielen Knöpfe, Radarbildschirme und Schalter verunsichern sie. Geduldig erklärt der Pilot die einzelnen Knöpfe, antwortet auf Fragen.
Nachdem die Teilnehmer das Flugzeug wieder verlassen haben und die schmale Treppe hinuntergestiegen sind, fragt Augapfel ein weiteres Mal nach dem persönlichen Stresslevel. Bei einigen Teilnehmern ist er zumindest ein wenig gesunken.
Am nächsten Tag steht schließlich die zweite große Herausforderung an: ein eineinhalbstündiger Flug von Frankfurt nach Berlin - und wieder zurück. Ob sie tatsächlich einsteigen wird, da ist sich Marlen noch unsicher. Versuchen will sie es aber.
Eine kurze Nachfrage bei Darina Augapfel am nächsten Tag. Sind alle 13 mitgeflogen? Fast - nur eine Teilnehmerin sei dann doch lieber am Boden geblieben, die Angst war wohl zu groß.
Monika ist mitgeflogen, die Entspannungsübungen haben geholfen. Beim Anblick des blauen Himmels, der strahlenden Sonne und der weißen Wolkendecke habe sie weinen müssen, schreibt sie in einer E-Mail wenige Tage später. So stolz sei sie auf sich gewesen.
Flugangst - oft ein Problem der Manager
Menschen, die es gewohnt sind, alle Zügel in der Hand zu halten, fällt das Fliegen oft schwer. Doch Auslöser können auch alltägliche Situationen sein.
Das Interview führte Anne Bäurle
Ärzte Zeitung: Frau Augapfel, aus welchen Gründen entwickelt ein Mensch Flugangst?
Darina Augapfel: Das kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Mal ist es eine konkrete bedrohliche Situation, wie bei einer Teilnehmerin, die einen Flugzeugabsturz mitangesehen hat.
Flugangst kann aber auch unvorhergesehen auftreten, wenn man sehr stark unter Stress steht, ohne es vielleicht selbst zu merken. Flugangst ist eine maximierte Stressreaktion. Da reicht ein Trigger und plötzlich hat man Angst davor, in ein Flugzeug zu steigen.
Ein solcher Auslöser kann eine Beförderung sein, wenn man sich im Job beweisen muss. Oder wenn eine längere Dienstreise ansteht und man aus der Familie gerissen wird. Manchmal ist es auch die Geburt eines Kindes, als Elternteil trägt man dann Verantwortung und will auf sich und seine Familie aufpassen.
Oft entwickeln die Menschen Flugangst, denen es extrem schwerfällt, Kontrolle abzugeben. Die es gewohnt sind, alle Zügel in der Hand zu halten. Flugangst wird ja oft auch als "Managerkrankheit" bezeichnet.
Es gibt aber auch Menschen, die Flugangst haben, ohne jemals ein Flugzeug betreten zu haben.
Ja, das sind dann häufig Menschen, in deren Persönlichkeit schon eine Grundangst verankert ist. Oder Personen, die von besonders furchtsamen Menschen geprägt wurden und deren Ängste übernommen haben.
Kann man die Flugangst denn jemals ganz loswerden, oder schlummert sie bloß wie unter einer dünnen Eisschicht?
Bei wirklich traumatischen, bedrohlichen Erlebnissen wie einem Flugzeugabsturz, den man beobachtet hat, ist die Sache etwas anders gelagert. Die Flugangst dann zu überwinden ist schwieriger, aber nicht unmöglich. Viele, bei denen die Angst vor dem Fliegen eigentlich irrational ist und durch Gründe ausgelöst wird, die mit dem Fliegen an sich nichts zu tun haben, können ihre Flugangst mit etwas Übung tatsächlich loswerden.
Wie reagiere ich am besten, wenn ich im Flugzeug sitze und merke, dass mein Sitznachbar Flugangst hat?
Am besten ist einfach Ablenkung: den Sitznachbar in ein Gespräch verwickeln, über das Wetter reden. Emotionalen Beistand geben. Viele versuchen auch, sich selbst abzulenken, mit Handyspielen oder Filmen.
Steigt die Zahl der Menschen mit Flugangst - gerade mit Blick auf die terroristischen Anschläge an den Flughäfen von Istanbul oder Brüssel?
Nein, überhaupt nicht. Das hat damit nichts zu tun. Flughafenangst unterscheidet sich von Flugangst, der Auslöser ist ein ganz anderer.
Man darf ja nicht vergessen: Das Fliegen ist in den letzten Jahren immer sicherer geworden, der subjektive Eindruck, der auch von der medialen Berichterstattung geprägt ist, ist aber ein anderer. Manchmal werden da falsche Informationen verbreitet, oder Informationen fehlen vollständig - und das löst Ängste aus.