Praxisbesonderheiten

AMNOG bald mit "Muss" statt "Soll"?

Ob Hersteller und Kassen Praxisbesonderheiten für Innovationen vereinbaren, bleibt ihnen überlassen. Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem sieht Reformbedarf - und fordert ein "Muss" statt des heutigen "Soll".

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Aushändigung eines Rezepts. Die Vereinbarung von Praxisbesonderheiten soll für Ärzte hilfreich sein.

Aushändigung eines Rezepts. Die Vereinbarung von Praxisbesonderheiten soll für Ärzte hilfreich sein.

© pixelfokus / Fotolia..com

BERLIN. Sollen neue Medikamente tatsächlich in die Versorgung gelangen, dann muss der Gesetzgeber im SGB V nachjustieren. Bislang ist es dem GKV-Spitzenverband und dem Hersteller freigestellt, ob sie eine Praxisbesonderheit vereinbaren (Paragraf 130 b Abs. 2 SGB V). Der Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem fordert, diese Soll-Vorschrift müsse zur "Muss"-Vorgabe werden.

Bei einer Tagung des Pharmapolitischen Arbeitskreises Süd am Mittwoch in Stuttgart will Wasem den Teilnehmern seine Vorschläge vorstellen. Darin plädiert er für eine Regelung, die die regionalen Vertragspartner (KV und Kassen) verpflichtet, solche Praxisbesonderheiten zu vereinbaren.

Dass das Arzneimittelgesetz AMNOG nach wie vor eine Baustelle ist, wird am Mittwoch im Bundestags-Gesundheitsausschuss deutlich werden. In einer öffentlichen Anhörung wird dabei das 14. SGB V-Änderungsgesetz beraten. Erwartungsmäß kontrovers kommentieren Verbände, deren Stellungnahmen vorab vorlagen, den geplanten Stopp für die Nutzenbewertung älterer Medikamente (Bestandsmarktbewertung).

Die KBV spricht sich dafür aus, an der Bewertung von Bestandsmarkt-Präparaten festzuhalten. Anderenfalls würde "ein sinnvolles Instrument zur evidenzbasierten Bewertung" älterer Medikamente entfallen.

Transparenz auch über den Bestandmarkt sei von "herausragender Bedeutung" für eine "rationale Arzneimitteltherapie". Mit dem gleichen Tenor argumentieren auch Bundesärztekammer und Arzneimittelkommission gegen das Aus für die Bestandsmarktbewertung.

Dagegen nimmt der Gemeinsame Bundesausschuss eine pragmatische Position ein. Angesichts der Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung sei zwar davon auszugehen, dass auch viele Arzneimittel im Bestandsmarkt "keinen oder einen geringen (...) Mehrwert gegenüber Vergleichstherapien" haben.

Allerdings sei es methodisch sehr schwierig, "eine zweckmäßige Vergleichstherapie gerichtsfest zu definieren, wenn ein Wirkstoff, der zu bewerten ist, faktisch die Standardtherapie darstellt."

Der Verband ProGenerika verlangt, dass der Verzicht auf Einsparungen im Bestandsmarkt nicht auf Kosten von Generika und Biosimilars gehen dürfe. Nicht festbetragsgeregelte Generika müssten laut Entwurf künftig insgesamt 17 Prozent Herstellerabschlag zahlen, patentgeschützte Präparate ohne Festbetrag dagegen nur sieben Prozent.

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) warnte mit gleicher Intention, das Gesetz belaste überwiegend Produkte, "die eine Domäne standortgebundener Unternehmen sind". Der Verband forderte, der seit August 2009 geltende Preisstopp für Arzneimittel solle "mindestens Erhöhungen in Höhe der Inflation zulassen".

Kopfzerbrechen bereiten den forschenden Arzneimittelherstellern vor allem die Änderungsanträge von Union und SPD. Laut einem Antrag, der vorgeblich nur "klarstellenden" Charakter hat, soll der Erstattungsbetrag den Abgabepreis funktional ablösen. Damit würde die bisherige Regelung, wonach sich der Erstattungsbetrag aus dem Listenpreis abzüglich Rabatt ergibt, aufgegeben. Dies sei ein "Systemwechsel im AMNOG", warnt der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa).

Werde der Listenpreis funktionslos, habe das weitreichende Auswirkungen auf Deutschland als Preisreferenzland.Der Gesundheitsökonom Wasem warnt, die Änderungen der Regierungsfraktionen könnten zu "einer hochproblematischen Vermischung von Nutzenbewertung nach AMNOG und dem Festbetragsregime führen".

Am Ende dieses Prozesses könnte ein neues Arzneimittel mit Zusatznutzen den Preis eines Generikums erhalten. Der vfa zeigte sich verstimmt, dass Regelungen, die tief in den Arzneimittelmarkt eingreifen, "in Eile und ohne Wirkungsanalyse und Folgenabschätzung in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren integriert werden".

Wasem erinnert daran, eines der Ziele des AMNOG sei es gewesen, positive Anreize für Investitionen zu geben. Im Vergleich zum nun vorliegenden Änderungsgesetz sei ein Festhalten an der Bewertung älterer Medikamente aus dem Bestandsmarkt "die klar überlegene Perspektive".

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