Praxis ohne Grenzen
Wenn Selbstständige ohne Krankenversicherung zum Arzt müssen
Versorgung auch ohne Krankenversicherung: Die Praxen ohne Grenzen werden in Deutschland sehr unterschiedlich besucht, auch von verarmten Selbstständigen. Der Allgemeinarzt Dr. Uwe Denker fordert, die Praxen sollten politischer werden – zum Wohle der Patienten.
Veröffentlicht:RENDSBURG. Die Auslastung in den Praxen ohne Grenzen im Norden schwankt stark. Während die Verantwortlichen der Praxis in Neustadt demnächst über eine Schließung entscheiden, steigt der Andrang in Hamburg weiter.
Deutlich wurden diese Unterschiede beim Treffen der Praxisvertreter in Rendsburg. Rund 20 ehrenamtlich tätige Helfer – überwiegend Ärzte – treffen sich in Rendsburg jährlich zu einem Erfahrungsaustausch über die Praxen ohne Grenzen, in denen Menschen ohne Krankenversicherungsschutz geholfen wird. Dabei wurde auch über die Auslastung gesprochen.
Der starke Andrang in Hamburg ist allerdings ein Sonderfall. In die dortige Ambulanz für nicht versicherte Patienten kommen fast zur Hälfte Menschen aus Schwarzafrika, berichtete Initiator Professor Peter Ostendorf. Er erwartet, dass die Zahl der Patienten in diesem Jahr die 4000er-Grenze überschreiten wird.
Ärzte aus neun Fachgebieten
Nur rund fünf Prozent der Patienten sind Deutsche. Die Ausstattung in der Praxis in der Hansestadt ist mit der in den deutlich kleineren Praxen in Flensburg, Husum, Rendsburg, Neustadt, Preetz, Stockelsdorf und Bad Segeberg nicht vergleichbar.
In Hamburg werden Diagnostik und Therapien in neun Fachgebieten vor Ort angeboten. 46 Ärzte, zwölf Krankenschwestern und drei Dolmetscherinnen sind dort ehrenamtlich tätig.
In den kleineren Praxen ist der Anteil deutscher Patienten höher, die Klientel aber stark unterschiedlich. So kommen in die Praxis ohne Grenzen in Bad Segeberg fast ausschließlich Menschen aus der Mittelschicht, die als Selbstständige viele Jahre gearbeitet haben und sich irgendwann den Krankenversicherungsschutz nicht mehr leisten konnten.
Segebergs Praxisgründer Dr. Uwe Denker kündigte in Rendsburg an, dass die Praxen ohne Grenzen ihre politische Arbeit verstärken werden. Sie wollen sich dafür einsetzen, dass die Mindestbemessungsgrenze für Selbstständige deutlich gesenkt wird, da viele mit dem daraus errechneten Beitrag überfordert sind. Folge ist oft ein Ausscheiden aus der Krankenversicherung und ein Verschleppen von Erkrankungen.
Keine Versicherung: Zu spät zum Arzt
Von einem besonders tragischen Fall berichteten die Ärzte aus der Rendsburger Praxis ohne Grenzen: Dort war ein Patient erschienen, der sich wegen des fehlenden Versicherungsschutzes zu spät in ärztliche Obhut begeben hatte. Trotz sofortiger stationärer Aufnahme starb der Patient nur einen Tag später.
Um solche Fälle zu vermeiden, wollen Denker und die Mitstreiter aus den anderen Praxen ihr Angebot verstärkt bekannt machen. Das gelingt nicht immer: Die Praxis im holsteinischen Neustadt wird kaum frequentiert. Nur sechs Patienten suchten in 25 Sprechstunden Unterstützung. Nun soll eine außerordentliche Mitgliederversammlung klären, ob das Angebot in dieser Form aufrechterhalten wird.
Fest steht für Denker, dass der Bedarf vorhanden ist – ihn erreichen mittlerweile Hilferufe aus der ganzen Welt. Geholfen werden kann aber nur Menschen, die vor Ort erscheinen. Dabei legt Allgemeinmediziner Denker Wert darauf, dass niemand seinen Bedarf belegen muss: "Wir helfen jedem, der kommt. Ich will auf keinen Fall Papiere kontrollieren." Die Erfahrung in Bad Segeberg habe gezeigt, dass das kostenlose Angebot nicht ausgenutzt werde.
Genauso wichtig für ihn: Finanzielle Unterstützung ist geboten – darf aber nicht zu einem formellen Hindernis werden. Von der Politik erwartet er, dass diese Anforderung erfüllt wird. Noch wichtiger wäre ihm aber, dass die Bedingungen im Krankenversicherungsschutz so gestaltet werden, dass die Praxen ohne Grenzen gar nicht mehr benötigt werden.