Urteil
Fixierung in Psychiatrie nur mit Richter-Zustimmung
Die Bundesverfassungsrichter setzen hohe Hürden für die Fixierung von psychisch Kranken. Das Grundgesetz schütze die Freiheit der Person. Fehlende Einsichtsfähigkeit lasse diesen Schutz nicht fallen.
Veröffentlicht:KARLSRUHE. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Anforderungen für die Fixierung zwangsuntergebrachter psychisch Kranker deutlich verschärft.
Nach einem am Dienstag verkündeten Urteil erfordert eine Fixierung sämtlicher Gliedmaßen von absehbar mehr als einer halben Stunde eine richterliche Genehmigung.
Dies ist bislang nur in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vorgesehen.
Fixierung muss genehmigt werden
Im ersten Fall ging es um eine Sieben-Punkte-Fixierung an Armen, Beinen, Bauch, Brust und Stirn. Der Beschwerdeführer war in Bayern alkoholisiert für zwölf Stunden zwangseingewiesen und währenddessen auf ärztliche Anordnung für acht Stunden entsprechend fixiert worden.
Der zweite Beschwerdeführer war in Baden-Württemberg wegen einer schizoaffektiven Störung in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht. Ärzte hatten nahezu durchgehend eine Fünf-Punkte-Fixierung an Armen, Beinen und Bauch angeordnet.
Beide Beschwerdeführer rügten eine Verletzung ihres Grundrechts auf Freiheit. Sie machen geltend, die Fixierungen hätten als freiheitsentziehende Maßnahme von einem Richter genehmigt werden müssen.
Freiheit der Person "unverletzlich"
Umstritten war insbesondere, ob dies auch für eine Fixierung Zwangsuntergebrachter als "Freiheitsentziehung in der Freiheitsentziehung" gilt.
Dies hat das Bundesverfassungsgericht nun bejaht. Laut Grundgesetz sei die Freiheit der Person "unverletzlich". Fehlende Einsichtsfähigkeit lasse diesen Schutz nicht entfallen.
"Gerade psychisch Kranke empfinden eine Freiheitsbeschränkung, deren Notwendigkeit ihnen nicht nähergebracht werden kann, häufig als besonders bedrohlich", betonten die Verfassungsrichter.
Auch auf einer geschlossenen Station könnten sie sich immerhin innerhalb dieser Station noch frei bewegen. "Jedenfalls eine 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung" sei demgegenüber ein erneuter und besonders intensiver Freiheitseingriff.
Die richterliche Genehmigung einer Zwangsunterbringung umfasse zwar auch "Disziplinierungsmaßnahmen", etwa den Einschluss in einer Sicherungszelle.
Wegen ihrer besonderen "Eingriffsqualität" sei eine Fixierung aller Gliedmaßen davon aber nicht gedeckt. Nach dem Karlsruher Urteil sind Fixierungen daher nur nach konkreten gesetzlichen Vorgaben zulässig.
Gründe und Dauer müssen dokumentiert werden
Erforderlich sei dabei die Anordnung durch einen Arzt – in Fällen der 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierung grundsätzlich begleitet von einer Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal".
Gründe und Dauer müssten dokumentiert und Betroffene hinterher auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung hingewiesen werden. Um den Richtervorbehalt zu gewährleisten müsse ein zuständiger Richter mindestens tagsüber von 6 bis 21 Uhr erreichbar sein.
Werde eine Fixierung aller Gliedmaßen kurzfristig notwendig, müsse die Klinik die Genehmigung "ohne jede Verzögerung" nachholen, bei einer Fixierung nachts gegebenenfalls am nächsten Morgen.
Bayern muss neues Gesetz schaffen
Eine kurzfristige Fixierung ohne Richter ist laut Urteil nur zulässig, "wenn sie absehbar die Dauer von ungefähr einer halben Stunde unterschreitet".
Nach diesen Maßgaben gab das Bundesverfassungsgericht beiden Beschwerden statt. Bis Ende Juni 2019 muss Baden-Württemberg seine Regelungen nachbessern, Bayern ein Gesetz überhaupt erst schaffen. Übergangsweise gilt der Richtervorbehalt ab sofort und "unmittelbar".
Az.: 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16
Wir haben den Artikel aktualisiert am 24.7.2018 um 16:38 Uhr - und die erste dpa-Version durch einen Bericht unseres Korrespondenten ersetzt.
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