Organspende

Debatte über Zwang und Zustimmung

Widerspruch oder aktive Zustimmung? Zwei Stunden lang hat der Bundestag am Mittwoch um den richtigen Weg gerungen, mehr Menschen für die Organspende zu gewinnen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Vertraten unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit unterschiedliche Positionen in der Bundestagsdebatte: Annalena Baerbock (Grüne) sprach sich für die Zustimmungsregelung aus, Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (Linke) votierten für die Widerspruchsregelung (von links nach rechts).

Vertraten unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit unterschiedliche Positionen in der Bundestagsdebatte: Annalena Baerbock (Grüne) sprach sich für die Zustimmungsregelung aus, Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (Linke) votierten für die Widerspruchsregelung (von links nach rechts).

© Montage: Illian; Fotos: Ralf Hirschberger / dpa (2), Lisa Ducret / dpa

BERLIN. Bei den Organspendezahlen liegt Deutschland unter den Ländern Europas weit hinten. Gerade bei elf Menschen je Million Einwohner ist es im Jahr 2018 zu einer Organ- oder Gewebespende gekommen. Beim Welt-Spitzenreiter Spanien lag dieser Wert bei 47.

Rund 9400 Menschen im Land warten derzeit auf ein Spenderorgan. Nicht zuletzt, weil Deutschland zu den Netto-Importeuren von Spenderorganen zählt, will der Gesetzgeber die Zahl der Spender erhöhen (siehe nachfolgende Grafik).

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Zwei fraktionsübergreifende Gruppen

Im Bundestag haben sich zwei fraktionsübergreifende Gruppen gebildet, die im Ziel einig, bei der Wahl der Mittel jedoch unterschiedlicher Auffassung sind. Am Mittwoch prallten die unterschiedlichen Auffassungen bei der ersten Lesung der beiden Gruppengesetzentwürfe im Bundestag aufeinander.

Stand Mittwoch haben sich 221 Abgeordnete hinter dem Vorschlag versammelt, eine Widerspruchslösung einzuführen. Darunter ist auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Demnach ist jeder Organspender, der zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat und diesen Widerspruch in einem Register hat registrieren lassen. Für eine Entscheidungslösung plus regelmäßige Aufklärung durch Ärzte und Ansprache durch Bürgerämter und Führerscheinstellen plädieren derzeit 190 Abgeordnete.

Das ethische Anliegen, Leben zu retten, tauge nicht zur Kontroverse, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion Professor Karl Lauterbach. Es stehe nicht Selbstbestimmung gegen einen obrigkeitsstaatlichen Eingriff. Er persönlich halte den Wechsel zur Widerspruchslösung aber für geboten, nicht zuletzt, weil Ärzte und Angehörige im Ernstfall eine klare Entscheidungsgrundlage bräuchten.

Auf diesen Standpunkt stellte sich auch Dr. Georg Nüßlein, der gesundheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe. Ein in einem Register dokumentierter Widerspruch schaffe mehr Klarheit als ein zerfledderter Organspendeausweis in der Geldbörse eines Unfallopfers.

Sich mit Organspende auseinandersetzen

Am Anfang jeder Entscheidung müsse das Hineindenken in die Situation des anderen stehen, warb Petra Sitte (Linke) für die Widerspruchsregelung. Unter gelebter Verantwortung verstehe sie, dass man sich mit der Spende auseinandersetze und sich dann aber auch entscheide.

Die Hauptsprecherin für die Zustimmungslösung, Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende der Grünen, verwies darauf, dass Organspende in Deutschland mit dem Hirntod verknüpft sei. 2018 habe es demnach nur 1416 potenzielle Organspender gegeben. Die Diskrepanz zur Zahl der Menschen auf der Warteliste lasse sich also mit der Widerspruchslösung nicht überbrücken. „Diese Situation gehört in den Mittelpunkt dieser Debatte“, so Baerbock.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion Karin Maag plädierte dafür, die Strukturen in den Entnahmekrankenhäusern weiter auszubauen und die mit der jüngsten Novelle des Transplantationsgesetzes eingeführten Verbesserungen wirken zu lassen. Einen wissenschaftlichen Nachweis, dass die Widerspruchslösung zu höheren Spenderzahlen führe, gebe es nicht, sagte Stephan Pilsinger (CSU).

Muss „freie Entscheidung“ bleiben

Eine Organspende müsse eine „freie Entscheidung“ bleiben, wandte sich Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) gegen „staatliche Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht“ der Menschen.

Ein Vertrauen in die Organspende könne nicht erzwungen werden, sagte auch Kathrin Vogler (Linke). „Kein Nein ist noch lange kein Ja“, sagte Vogler.

Einen weiteren Antrag hat unterdessen die Fraktion der AfD vorgelegt. Er hebt besonders darauf ab, das Vertrauen der Bevölkerung in das Spende- und Transplantationsverfahren zu stärken.

Die Abgeordneten fordern, die Aufklärung der Bevölkerung auf die grundlegenden Fragen der Todesfeststellung und den medizinischen Verfahrensablauf erweitert wird.

Lesen Sie dazu auch: Gastbeitrag: Mehr Beratung für mehr Organspenden! Organspende: Kunstherzen gewinnen an Bedeutung Hausärzte schulen: Neuer Plan zur Organspende

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 27.06.201909:33 Uhr

Verfassungswidrige Widerspruchslösung ist zusätzliches Problem und nicht Lösung 2.0

Bedauerlicherweise war es die Transplantations-Medizin selbst, die zu krisenhaftem Mangel an Spenderorganen, Manipulationsverdacht bzw. fehlender Transparenz und mangelnder medizinethischer Orientierungen in der Transplantationsmedizin geführt hat. Aber auch die hin und her lavierende Politik hat mit dazu beigetragen: Gestern noch die verfassungskonform qualifizierte, freiwillige Entscheidungs- und Zustimmungslösung, heute schon die "doppelte Widerspruchslösung"?

Informationelle Selbstbestimmung
Doch die „Widerspruchslösung“ verstößt gegen die "informationelle Selbstbestimmung" und weitere Persönlichkeitsrechte: Sie wird m. E. spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe scheitern. Jede(r) von Geburt an potenzielle Organspender wäre z. B. ab dem 16. Lebensjahr von Staats wegen annektiert, wenn er nicht ausdrücklich widerspräche. Besonders perfide: Nicht Einsichts-, Geschäfts- und Entscheidungs-fähige Personen wie Kinder, Jugendliche, körperlich und geistig Behinderte, Benachteiligte und Patienten mit demenziellen Syndromen müssen Ihre Organe unreflektiert zur Verfügung stellen, ohne jemals die Chance zu haben, diesem Ansinnen bewusst widersprechen zu können.

Perimortale Organspende
Ursache mangelnder Organspende-Bereitschaft ist in Deutschland nach wie vor die fehlende gesellschaftspolitisch transparente Debatte über bio-psycho-soziale Auswirkungen der Transplantationsmedizin. Bei möglichst lebensfrischen, transplantablen Spenderorganen mit zu Recht geforderten, guten Erfolgsaussichten bei den Organempfängern kann es keine, wie selbst von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn immer wieder behauptete "postmortale", sondern nur eine p e r i m o r t a l e Organspende geben. Verantwortliche Fachärzte-Teams, die den Hirntod feststellen, bzw. die Organ-Ex- oder -Implanteure, deren chirurgisch-fachliche Qualifikation ich nicht in Frage stellen will, bewegen sich auf einem denkbar schmalen Grat zwischen Leben und Tod; zwischen Hirntodfeststellung, Entscheidungsfindung und Transplantations-Geschehen.

Mehr Organspende-Bereitschaft wagen
Will man "mehr Organspende-Bereitschaft wagen", geht das nur mit Stetigkeit, Beharrlichkeit, Überzeugungskraft, Selbst-Reflexion, Nachhaltigkeit, Perspektive, Mut u n d Offenheit. In einer säkularen Gesellschaft sind als einseitige Lebensverlängerung eine "Wiedergeburt" (Transplantationsmediziner Prof. E. Nagel) genauso wie eine "moralisch-ethische Pflicht zur Organspende" oder ein "Ja" oder "Nein" ebenso spekulativ wie appellativ unwirksam.

Nur ein „toter Organspender“ ist ein „guter Organspender“?
Die ohne Not in die Debatte geworfene "doppelte Widerspruchslösung" reflektiert einen patriarchalen/matriarchalen Fundamentalismus bzw. Utilitarismus im Sinne von „nur ein toter Organspender ist ein guter Organspender“. Sie wird in Spanien gar nicht in dieser Form verwirklicht, wie eine Gruppe von Parlamentariern jüngst feststellen musste: https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/organspende/article/975345/organspende-spanien-widerspruchsloesung-erfolgreich.html
Die Widerspruchslösung offenbart in der medizinischen Grenzsituation einer primären oder sekundären Reanimation unauflösbare medizinisch-ethische Zielkonflikte. In den Diskurs gehört auch das immer wieder selbst von einigen Ärztinnen und Ärzten öffentlich vorgetragene Argument, eine Selektion von zur Organspende bereiten und nicht bereiten Personen einzuleiten: In dem Sinne, dass "wer sich nicht selbst zur Organspende bereit erklärt, auch keine fremden Organe bekommen solle". Dies verkennt neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dass viele unserer Patientinnen und Patienten auf Grund von wesentlichen, bedrohlich lebensverkürzenden Erkrankungen selbst niemals als potenzielle Organspender, sondern nur als Organempfänger in Frage kämen.

Respekt für flankierende Maßnahmen
Bei allem Respekt, auch wenn die bisherige,

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