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Psychisch kranke Kinder erhalten Hilfe per Telemedizin

Ein Pilotprojekt in Sachsen setzt auf Telemedizin, um Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen zu versorgen.

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Persönlicher Erstkontakt, dann geht's per Videosprechstunde weiter: So ist es in einem sächsischen Modellprojekt für Kinder mit psychischen Erkrankungen.

Persönlicher Erstkontakt, dann geht's per Videosprechstunde weiter: So ist es in einem sächsischen Modellprojekt für Kinder mit psychischen Erkrankungen.

© stefanolunardi / Fotolia (Symbolbild mit Fotomodell)

DRESDEN. Telemedizin und ein multiprofessionelles Therapeutenteam sollen in mehreren Regionen in Sachsen die psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen verbessern: Im Rahmen eines jetzt gestarteten Modellprojekts delegiert Psychiater Dr. Reinhard Martens in seiner Pirnaer Praxis fachärztliche Leistungen an Therapeuten via Videokonferenz.

Der Austausch mit den Patienten erfolgt über eine Videosprechstunde – wobei der Erstkontakt stets persönlich ist. Der 55-Jährige gründete hierfür drei Zweigstellen in Sachsen, darunter im etwa 120 Kilometer von seiner Zentrale entfernten Weißwasser im Landkreis Görlitz.

Die Region ist mit einem Versorgungsgrad von 41 Prozent im Facharztbereich der Kinder- und Jugendpsychiater deutlich unterversorgt, wie aus einer Mitteilung der KV Sachsen hervorgeht. Das Gemeinsame Landesgremium unter Beteiligung des sächsischen Sozialministeriums habe daher Modellregionen ausgewählt und Arbeitsgruppen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung eingesetzt.

Wider dem Facharztmangel

„Den Facharztmangel gleichen wir mit einem neuen anspruchsvollen Betreuungskonzept aus, indem wir in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erstmalig telemedizinische Möglichkeiten nutzen und mit weitgehender Delegation ärztlicher Leistungen verbinden“, betont Simone Hartmann, Leiterin der Arbeitsgruppe, mit Blick auf Martens‘ Projekt.

Dieses sei eines der ersten, das in dieser Form in der Modellregion Weißwasser starte. „Wir brauchen neue Lösungsansätze, um die medizinische Versorgung insbesondere in unterversorgten Gebieten sicherzustellen“, betont Sachsens Gesundheitsministerin Barbara Klepsch. Die Einbindung der Telemedizin trage dazu bei, „dass mehr Kinder und Jugendliche mit psychiatrischen Erkrankungen im Raum Weißwasser in hoher Qualität ambulant versorgt werden können.“

Das Modellprojekt beinhaltet außerdem die Delegation fachärztlicher Leistungen an ein Therapeutenteam mit medizinischen oder sozialwissenschaftlichen Studienabschlüssen oder Zusatzqualifizierungen, mit denen Martens per Videokonferenz in Verbindung steht. „Man denkt immer, Kinder- und Jugendpsychiatrie spielt sich in Kliniken ab. Unsere Erfahrung ist, dass ein Aufenthalt dort nur selten notwendig ist“, betont Martens. Die Therapeuten bereiten das Arztgespräch unter Einsatz von Fragebogentests vor, erklären den Patienten und Eltern die Behandlungsschritte oder betreuen sie direkt im familiären und sozialen Umfeld.

Die Behandlung obliege weiterhin dem Arzt, der über eine telemedizinische Plattform die Therapie parallel verfolge und sich sofort einschalten könne, heißt es. In Krisensituationen steht der Arzt den Patienten mit seiner Expertise persönlich zur Verfügung. Mit den Patienten tauscht er sich auch per therapeutisch assistierter Videosprechstunde aus, wobei der erste Kontakt immer persönlich stattfindet.

Arzt wird entlastet

Dies entlaste den Arzt und ermögliche, weitere Patienten ambulant in der Zweigpraxis zu behandeln. Dort werden die nächsten Schritte besprochen, manchmal reiche auch schon ein aufmunterndes Wort, so Martens. Aus Gründen des Datenschutzes wird verschlüsselt kommuniziert.

Die meisten der jungen Patienten ließen sich mit relativ kurzen Behandlungen stabilisieren: „Es gibt aber bestimmte Erkrankungen wie Psychosen, da ist es anders.“ Hier gilt: Je eher sie therapiert werden, desto besser sind die Erfolgsaussichten. „Wenn eine bereits in der Jugend begonnene Psychose erst im Erwachsenenalter festgestellt wird, brauchen wir viel Zeit und Geduld, um gute Effekte in der Behandlung zu erreichen“, sagt Martens.

Die Zweigstelle in Bischofswerda ist inzwischen eine Anlaufstelle für mehr als 100 Mädchen und Jungen. „Die Kinder kommen gern zu uns, können sich hier Selbstbewusstsein holen und sind stolz, wenn sie etwas erreicht haben“, sagt der Sozialpädagoge Martin Epkes. An diesem Tag kommt ein junger Mann, der dafür noch einen weiten Weg vor sich hat. Der 17 Jahre alte Richard hat seit gut zwei Jahren eine Psychose. Martens beschreibt Richard als besonders feinfühlig und sensibel.

Solche Menschen seien bisweilen anfälliger für eine Psychose als andere. „Das Informationszentrum des Gehirns nimmt in bestimmten Stresssituationen zu viele Wahrnehmungen auf und kann sie nicht mehr sortieren. Dann kann es zu einer Psychose kommen. Das ist, als würde man auf einem anderen Planeten landen und könne sich dort nicht zurechtfinden.“ In der Therapie gehe es nun darum, die Vertrautheit mit der bekannten Welt wiederherzustellen. „Eine Psychose stellt einen Schock für die Seele dar. Deshalb will der Betroffene auch erstmal seine Ruhe und zieht sich zurück.“

Ein wenig hat Richard sich aus seiner Verkapselung schon gelöst. Die Dosis seiner Medikamente soll möglichst gering bleiben – auch das eine Maßgabe von Martens‘ Arbeit. Nun geht es darum, Schritt für Schritt seine Belastbarkeit zu steigern. Er soll für ein Jahr auf eine Schule gehen, die mit vereinfachten Lehrplänen arbeitet, und sich so wieder an den schulischen Alltag gewöhnen und Kontakte zu anderen jungen Leuten bekommen. (dab/dpa)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Teleprojekt in Sachsen: Vom Projekt in die Breite

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