Transplantationsskandal

Göttinger Chirurg zieht das Land Niedersachsen vor den Kadi

Nach seinem Freispruch im Göttinger Transplantationsprozess dreht der betroffene Arzt den Spieß um. Er fordert 1,2 Millionen Euro Haftentschädigung vom Land Niedersachsen. Das Landgericht Braunschweig verhandelt ab Freitag über die Schadensersatzklage.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Das Landgericht Braunschweig verhandelt ab Freitag über eine Millionen-Haftentschädigung für einen Göttinger Arzt.

Das Landgericht Braunschweig verhandelt ab Freitag über eine Millionen-Haftentschädigung für einen Göttinger Arzt.

© Ole Spata / dpa / picture-alliance

Der im bundesweit aufsehenerregenden Prozess um den Göttinger Transplantationsskandal freigesprochene Chirurg will wegen der erlittenen Untersuchungshaft vom Land Niedersachsen eine Entschädigung in Höhe von 1,2 Millionen Euro. Der frühere Leiter der Transplantationschirurgie am Göttinger Uni-Klinikum habe eine entsprechende Schadensersatzklage beim Landgericht Braunschweig eingereicht, teilte nun eine Gerichtssprecherin mit. Die zuständige 7. Zivilkammer hat für diesen Freitag einen ersten Güte- und Verhandlungstermin anberaumt, zu dem auch der Oberarzt geladen ist.

Der heute 52 Jahre alte Mediziner war ab Oktober 2008 als Oberarzt am Göttinger Klinikum tätig gewesen. Nachdem 2011 erste Vorwürfe bekanntgeworden waren, dass es Manipulationen bei der Vergabe von Spenderorganen gegeben habe, wurde er sofort vom Dienst freigestellt und beurlaubt. Ende Dezember 2011 wurde das Arbeitsverhältnis komplett aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelte damals zunächst wegen des Verdachts von Korruptionsdelikten. Im Januar 2013 kam der Arzt wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Nach elf Monaten wurde der Haftbefehl gegen Zahlung einer Kaution von 500.000 Euro außer Vollzug gesetzt.

8500 Euro Entschädigung für U-Haft

Angeklagt wurde er wegen versuchten Totschlags in elf Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, durch Manipulationen und falsche Angaben dafür gesorgt zu haben, dass eigene Patienten bei der Vergabe von Spenderorganen bevorzugt würden. Damit habe er billigend in Kauf genommen, dass andere Patienten auf der Warteliste nach hinten rutschen und sterben könnten.

Der Prozess dauerte rund 20 Monate und endete im Mai 2015 mit einem Freispruch. Das Landgericht Göttingen begründete dies unter anderem damit, dass die Manipulationen medizinischer Daten zwar moralisch verwerflich, aber zum damaligen Zeitpunkt nicht strafbar gewesen seien. Nachdem der Bundesgerichtshof die Revision der Staatsanwaltschaft verworfen und somit den Freispruch bestätigt hatte, erhielt der Oberarzt für die erlittene Untersuchungshaft eine Entschädigung von 8500 Euro. Außerdem wurde die Kaution zurückgezahlt.

Der 52-Jährige gab sich damit nicht zufrieden, sondern verlangt eine deutlich höhere Haftentschädigung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz. Nach Angaben des Landgerichts Braunschweig begründet er seine Klage damit, dass er in Folge der Haft eine ihm zugesagte Stelle in Jordanien an einem Krankenhaus nicht habe antreten können. Dadurch habe er das in Aussicht gestellte Gehalt von monatlich 50.000 US-Dollar nicht beziehen können.

Außerdem macht er einen Zinsschaden geltend, da er die Kaution von einer halben Million Euro habe finanzieren müssen. Ferner seien ihm Kosten durch die von ihm eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen seine Inhaftierung entstanden. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Beschwerde damals allerdings nicht zur Entscheidung angenommen.

Niedersachsen zweifelt an Angaben des Arztes

Das beklagte Land Niedersachsen lehnt nach Angaben des Gerichts die Schadensersatzforderungen ab und lässt weder die Verfahrenskosten noch den Zinsschaden noch den angeblichen Verdienstausfall gelten. Das Land bestreite, dass der Kläger tatsächlich in dem Krankenhaus in Jordanien angestellt worden wäre und ein derart hohes Gehalt bezogen hätte.

Der Oberarzt war vor seiner Zeit in Göttingen an der Uni-Klinik Regensburg tätig gewesen und hatte in dieser Zeit auch ein Transplantationsprogramm an einer Klinik in Jordanien aufgebaut, das die Bundesärztekammer als ethisch fragwürdig kritisiert hat.

Auch in Regensburg war es zu Manipulationen gekommen. Die Staatsanwaltschaft Regensburg hatte ihr Ermittlungsverfahren gegen den Chirurgen eingestellt, nachdem der Bundesgerichtshof den Göttinger Freispruch bestätigt hatte. Der Vorsitzende Richter des BGH-Senats bezeichnete damals in seiner Urteilsbegründung die systematischen Manipulationen in der Transplantationschirurgie zugunsten eigener Patienten als „furchtbar“ und als „Katastrophe für das Ansehen der deutschen Medizin“. Angesichts des Transplantationsskandals war in der Bevölkerung die Bereitschaft zur Organspende gesunken.

Lesen Sie dazu auch: Transplantationsarzt: 1,2 Millionen Euro für erlittene Untersuchungshaft

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