Hauptstadtkongress
Ärzte kritisieren zögerliches Agieren bei Diabetesprävention
Zu zaghaft, zu unverbindlich: Ärzte und Kassenvertreter werfen der Politik Versäumnisse in der Diabetesprävention vor. Auf dem Hauptstadtkongress machen sie Vorschläge, wo anzusetzen wäre.
Veröffentlicht:Berlin. Ärzte und Krankenkassen haben mehr Engagement bei Aufklärung und Prävention bei Diabetes mellitus gefordert. „Es gibt viel zu tun“, sagte der Facharzt für Innere Medizin am Zentrum für Diabetologie in Hamburg-Bergedorf und Vorstand von diabetes.DE, Dr. Jens Kröger, bei einem Symposium im Rahmen des Hauptstadtkongresses 2021 am Donnerstag.
Aktuell seien in Deutschland acht Millionen Menschen an Diabetes erkrankt – bis zum Jahr 2040 steige die Zahl laut konservativen Schätzungen des Robert Koch-Instituts auf über zwölf Millionen. „Die Zahlen steigen und steigen und steigen.“
Zwei Millionen Bundesbürger hätten Diabetes – „und wissen es nicht“.
Mithilfe regelmäßiger Check-ups beim Haus- oder Facharzt lasse sich dem Prä-Diabetes auf die Spur kommen, die Zeit bis zum Ausbruch der Krankheit verzögern oder diese womöglich ganz verhindern.
Diabetesplan ein Papiertiger
Die Politik agiere beim Thema Diabetes viel zu zaghaft, kritisierte Kröger. Vor knapp einem Jahr habe der Bundestag zwar eine nationale Diabetesstrategie verabschiedet. „Sie ist bislang aber ein Papiertiger, es ist nichts passiert bis heute.“ Die Corona-Pandemie als Grund dafür zu nennen, sei unlauter. „Nein, man hätte vieles machen können und vieles machen müssen.“
So sei die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bereits seit vier Jahren beauftragt, eine Aufklärungskampagne zum Diabetes zu starten. „Es ist überhaupt nichts passiert.“ Auch beim Thema Ernährung bleibe der Diabetesrahmenplan unverbindlich. Einzige Ausnahme sei, dass ein Disease Management Programm (DMP) zu Adipositas auf den Weg gebracht worden sei.
Eine gemischte Bilanz des Status quo der Diabetesversorgung zog auch Dr. Christian Korbanka, Unternehmensbereichsleiter Gesundheitspartner und Gesundheitsversorgung bei der IKK Classic. „Einiges läuft gut und routiniert, anderes braucht noch viel, viel mehr Druck.“ Aktuell steige insbesondere die Zahl der Patienten mit Diabetes Typ 2 weiter an – und die Patienten würden immer jünger.
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Oft seien falsche Ernährung und fehlende Bewegung die Ursachen. Wegen der Corona-Pandemie drohe sich das Problem zu verschärfen, da es in der Krise vielen jungen Menschen an „sozialer Struktur“ und geregeltem Tagesablauf fehle. Das könne auch zu einer Vernachlässigung von Ernährung und Bewegung führen, was mit Blick auf die Diabetes-Inzidenz neuer „Treibsatz“ sei, warnte Korbanka.
Kostenträger allein könnten das Problem nicht lösen. „Da braucht man alle Player“, betonte Korbanka und nannte außer Haus- und Fachärzten auch Kitas, Schulen, Arbeitgeber und die Lebensmittelhersteller. „Das ist ausgesprochen zäh, da passiert zu wenig aus unserer Sicht.“
Das Vorhalten von DMP habe sich bewährt, so Korbanka. Von den rund 330.000 Versicherten, die an Diabetes Typ-1 oder Typ-2 erkrankt seien, erreiche man aktuell etwa zwei von drei Patienten. „Das ist gut und bewegt sich im Rahmen dessen, was Krankenkassen hier leisten können.“
Verbindliche Lebensmittel-Ampeln
Es sei bedauerlich, dass man es in Deutschland nicht schaffe, verbindlich Lebensmittel-Ampeln einzuführen, kritisierte auch Kobanka. Der freiwillige NUTRI-Score reiche nicht aus. Es brauche klare Hinweise etwa zum Zuckeranteil in Softdrinks und anderen Lebensmitteln.
Dr. Christian Goeke, Market Access Director bei Abbott, betonte, die Diabetologie finde in Deutschland als Teil der Diabetesversorgung auf einem „sehr hohem Niveau“ statt. Der Zugang zu innovativen Arzneimitteln und Hilfsmitteln „als Rückgrat der nichtsprechenden Medizin“ sei sowohl für gesetzlich wie privat Versicherte gegeben. Mit der Initiierung der Diabetesstrategie sei das Thema „auf höchster politischer Ebene eingeordnet“.
Die Kunst bestehe nun darin, den hohen Standard in der Diabetesversorgung, „den wir punktuell sehen, auch in der Breite zur Anwendung zu bringen“.