DGIM und Berufsethos
„Ärzte müssen in der Klimakrise Stellung beziehen!“
Aufgrund von Berufsethos und Fachwissen sind Ärzte in besonderem Maße dafür verantwortlich, die Bevölkerung für mögliche Folgen von Umweltverschmutzung und Klimawandel zu sensibilisieren. Das haben Experten beim DGIM-Kongress betont.
Veröffentlicht:Wiesbaden. Nicht nur Krankheiten zu behandeln, sondern auch Gesundheit zu erhalten, bestimmt ärztliches Handeln. Aus diesem Präventionsgedanken heraus haben Ärzte angesichts zunehmender Erkenntnisse über mögliche gesundheitliche Folgen des Klimawandels eine besondere Verantwortung: Medizinisch, ethisch und politisch.
Als Schwerpunktthema wird der Klimawandel deshalb auf dem DGIM-Kongress viel diskutiert. Das Interesse ist enorm – und eigentlich sind sich alle einig: Es besteht Handlungsbedarf.
Kein abstraktes Problem mehr
„Wir haben die Klimakrise viel zu lange als abstraktes physikalisches Problem definiert“, so Dr. Eckart von Hirschhausen bei der DGIM-Pressekonferenz. „Wir haben über distante Sachen geredet: über Eisbären, über den Meeresspiegel in Bangladesch, über 420 parts per million. Und jeder sagt: ‚Naja, Co2 – man sieht es nicht, man riecht es nicht – kann das denn so ein Problem sein?“ fragte der Arzt und Wissenschaftsjournalist.
Das Problem ist längst bei uns angekommen. Und verändert allmählich das ärztliche Denken: „Wir sind Teil einer allgemeinen Bewusstseinsbewegung, die zur Zeit an Fahrt aufnimmt“, so Kongresspräsident Professor Sebastian Schellong vom Städtischen Klinikum Dresden bei der Veranstaltung.
„ÄrzteTag“-Podcast
Klimawandel und Gesundheit: „Hausärzt*innen sind Frontliner!“
Professor Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, benannte einige der gesundheitlichen Klimawandelfolgen aus epidemiologisch-wissenschaftlicher Perspektive: direkte Auswirkungen durch Hitzestress bei steigenden Temperaturen mit erhöhter Morbidität und Mortalität, Extremwetter, Hautkrebs durch UV-Schäden, indirekte Auswirkungen in Form von Pollenallergien, Erkrankungen durch Luftschadstoffe, die Zunahme durch Mücken oder Zecken übertragener Infektionskrankheiten, Keime in Badegewässern, Wasserknappheit. Letzteres auch in Deutschland: 2020 wurden regional Wasserlieferungen nötig.
Schattenseiten von Globalisierung und Konsumverhalten
Die Coronapandemie hat die Fachwelt kaum überrascht: „Wenn Sie 100 Wissenschaftler befragen, die im Bereich Infektionsmedizin arbeiten, dann werden 95 Prozent davon sagen: ‚Es war klar, dass die Pandemie kommt, wir wussten nur immer nicht, wann sie kommt‘“, so Wieler. „Sie hängt damit zusammen, dass wir Menschen doch relativ borniert in alle möglichen Naturprozesse eingreifen.“
Wieler sprach vom „Zwang, in exotische Umwelten eindringen zu müssen“ und benannte die Schattenseiten von Globalisierung und Konsumverhalten: „Klar, wenn wir innerhalb von 12 oder 24 Stunden um die ganze Welt reisen können, dann können wir auch Erreger schnell verbreiten.“ Auch Tierhandel und Tierhaltung bergen Probleme, „die wir unbedingt in den Griff bekommen müssen.“
All das sei menschengemacht. Wieler ist Mikrobiologe und seine eigentliche Forschung – jenseits von der aktuellen täglichen Beschäftigung mit der Pandemie – basiert auf dem „One Health“-Ansatz. Dieser verknüpft Umweltaspekte und die Gesundheit von Mensch und Tier. Wielers Fazit: „Wir sollten unseren Lebenswandel grundsätzlich überdenken.“
„ÄrzteTag“-Podcast
„Klimawandel und Gesundheit müssen zusammengedacht werden!“
Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse
Es sei keine Verletzung des Neutralitätsgebots, wenn Ärzte sich für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen, betonte Professor Verina Wild von der Universität Augsburg. „Es geht nicht darum, wo man als Arzt oder Ärztin als Privatperson politisch steht, sondern es geht um aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse. Und jeder Arzt muss sich mit diesem Thema auf dieser wissenschaftlichen Grundlage auseinandersetzen“, so die Medizinethikerin. Nach ihrer Einschätzung sei es sogar ethisch geboten, sich durchaus auch proaktiv in die Diskussion einzubringen.
Für Kongresspräsident Schellong gehört dazu auch, politisch Stellung zu beziehen. So wie es in den 1980-er Jahren Ärzte getan haben, als sie den IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) gründeten.