Impfgegner
Aufklärung allein macht nicht immun
Beim aktuellen Masernausbruch sind die Impfzweifel vieler Menschen in den Blick gerückt. Besser aufzuklären wird dringend empfohlen. Doch das allein hilft nicht - und kann bei manchen sogar ins Gegenteil umschlagen.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Erstaunlich an den Gegnern des Impfens ist vor allem, dass es sie gibt. In der Medizingeschichte lassen sich jedenfalls nur wenige medizinische Maßnahmen finden, die der allgemeinen Gesundheit zuträglicher gewesen sind als das aktive Immunisieren.
Hartgesottene Impfgegner ficht das indes nicht an, wie nicht zuletzt der aktuelle Masernausbruch vor Augen führt. Und selbst wenn ihre Argumente aus wissenschaftlicher Sicht unsinnig sind, finden sie bei vielen Menschen Gehör.
Allerdings musste schon Edward Jenner, einer der Begründer der Methode, seine Pockenschutzimpfung Anfang des 19. Jahrhunderts gegen Kritik verteidigen.
In der "Oeconomisch-technologischen Encyclopädie" von Johann Georg Krünitz hieß es damals: "Man hält nämlich die natürlichen Blattern für eine Art Sauerteig, den jedes neugeborne Kind mit auf die Welt bringt, und der, wie jeder Sauerteig, eine Gärung hervorbringen müsse."
Bei der Pockenkrankheit, so die Vermutung, handle es sich um eine notwendige Reinigung des Körpers von schlechten Säften. Diese Reinigung werde durch die Impfung verhindert, und noch schlimmere Ersatzkrankheiten könnten die Folge sein.
Das erinnert nicht nur von ferne an die Vorstellungen heutiger Impfskeptiker, wonach man der Natur ihren Lauf zu lassen habe, weil Kinder nach überstandener Infektion gesünder und stärker seien als vorher.
Immerhin ist in diesem Zusammenhang heute nicht mehr von den Pocken die Rede, die einst ebenfalls als Kinderkrankheit galten, sondern meist von den Masern.
Aufklärung erhöhte Furcht vor Nebenwirkungen
Es scheint naheliegend, solch irrationalen Annahmen zu begegnen, indem man über die wahren Sachverhalte aufklärt. Tatsächlich gelingt es auch, unrichtige Auffassungen zu korrigieren.
Ein Beispiel dafür ist die Annahme, wonach die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) das Risiko für Kinder erhöht, Autismus zu entwickeln.
Dieser Irrtum lässt sich laut Ergebnissen einer Studie von Professor Brendan Nyhan vom Dartmouth College in Hanover im US-Staat New Hampshire) und Mitarbeitern durchaus beseitigen, wenn man den Betreffenden wissenschaftliche Belege dafür vorlegt, dass zwischen Impfung und Autismus keine Verbindung besteht.
Die Zustimmung zur falschen Annahme sank dadurch bei den knapp 1800 Studienteilnehmern auf fast die Hälfte (Pediatrics 2014; 133: e835).
Der Haken an dieser Form der Überzeugungsarbeit ist nur: Die Bereitschaft zu impfen steigt nach Korrektur des Irrtums nicht zwangsläufig. Schlimmer noch: Sie kann sogar abnehmen.
Anfällig dafür sind vor allem jene Personen, die dem Impfen gegenüber von Haus aus besonders skeptisch eingestellt sind. In der genannten Studie lag die Wahrscheinlichkeit dafür, Kinder künftig impfen zu lassen, bei den am stärksten gegen die MMR-Vakzine eingestellten Probanden zunächst bei 70 Prozent.
Doch nach der Aufklärung über den nicht bestehenden Zusammenhang mit Autismus nahm die Wahrscheinlichkeit keineswegs zu. Im Gegenteil: Sie sank auf 45 Prozent.
Informationen über die Gefährlichkeit der Erkrankung, Bilder von Kindern mit Folgeerkrankungen oder dramatische Berichte über Fast-Todesfälle - alles Dinge, die sich derzeit in den Medien finden lassen - führen den Forschungsresultaten zufolge ebenso wenig zu einer höheren Impfbereitschaft.
Stattdessen verstärken sie den Glauben an Irrtümer und erhöhen die Furcht vor Nebenwirkungen der MMR-Impfung.
Es geht um mehr, als nur Ansichten zu korrigieren
Nyhan überprüfte den Befund auch in einer Studie zur Grippeimpfung (J Vaccine 2015; 33: 459). Ziel der Korrektur war der Aberglaube, der Grippeimpfstoff könne selbst eine Grippe auslösen - ein Glaube, der immerhin von 43 Prozent der 1000 Befragten geteilt wurde.
Wiederum gelang es mit entsprechenden Informationen, den Irrtum zu korrigieren und die Zustimmung dazu signifikant zu reduzieren. Und wiederum nahm dadurch vor allem in der Gruppe mit den größten Bedenken die Bereitschaft, sich gegen Grippe impfen zu lassen, nicht zu, sondern ab.
Das von Nyhan berichtete Phänomen ist keineswegs auf Impfen und Medizin beschränkt. Es ist auch in anderen Bereichen zu beobachten, etwa auf dem Feld politischer Überzeugungen (J Polit Behav 2010; 32: 303).
Es geht bei all dem um weit mehr als nur darum, falsche Ansichten durch richtige zu ersetzen. Es geht um Geflechte aus Dogmen, die sich zu einer Ideologie zusammensetzen.
Gegenargumente werden hier oft als Angriffe auf die Person gewertet und können eine einmal eingenommene Haltung eher verhärten, als sie zu lockern.
"Was dem Herzen widerstrebt, lässt der Kopf nicht ein", so hat das der Philosoph Arthur Schopenhauer formuliert.
Falls er Recht hat, und Nyhans Ergebnisse sprechen dafür, genügen Informationsbroschüren und Aufklärungskampagnen bei Weitem nicht, um die Impfskepsis abzubauen. Nicht nur der Wissensstand, sondern die gesamte Einstellung zum Impfen müsste sich ändern.
Anders ausgedrückt: Wer nur auf den Kopf zielt, verfehlt leicht das Herz.