Dranginkontinenz

Bei überaktiver Blase zuerst Verhaltens- und Blasentraining!

Das eine Mittel zur Linderung von Dranginkontinenz gibt es nicht. Vor medikamentösen und chirurgischen Maßnahmen sollten zunächst die Möglichkeiten von Verhaltensänderungen und Blasentraining ausgeschöpft werden.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Die überaktive Blase kann, muss aber nicht mit Inkontinenz einhergehen.

Die überaktive Blase kann, muss aber nicht mit Inkontinenz einhergehen.

© Wigger / DAK

Nicht zu unterdrückender Harndrang bei mindestens acht Miktionen innerhalb von 24 Stunden – das kennzeichnet die überaktive Blase (Overactive Bladder Syndrome, OAB). Diese kann, muss aber nicht mit Inkontinenz einhergehen, weshalb sich der Begriff "Dranginkontinenz" zumindest offiziell erledigt hat. Stattdessen unterscheiden Urologen zwischen OAB "nass" und OAB "trocken".

Verhaltens- und Biofeedbacktraining

"Primär ist OAB-Patientinnen eine konservative Therapie anzubieten", erklärt Professor Ursula Peschers vom Bayerischen Beckenboden Zentrum am Isar Klinikum in München (Gynäkologe 2017; 50: 184-188). Da kann es schon helfen, Kaffee, Tee, Alkohol und Kohlensäure-haltige Getränke zu meiden und die Flüssigkeitszufuhr am Abend zu reduzieren. Verhaltens- und Biofeedback-Training haben in Studien zu signifikant verminderten Drangepisoden geführt. Jedoch sei der Erfolg bei starker Dranginkontinenz gering, so Peschers. Sie verweist auf eine Cochrane-Analyse, wonach ein mindestens einmal wöchentliches Blasentraining unter Supervision absolviert werden sollte. Erlernt wird dabei das aktive Unterdrücken des Harndrangs und somit die Kontrolle der Miktionsfrequenz.

Hilft das nicht, stehen eine Reihe medikamentöser Optionen zur Verfügung. Postmenopausalen Frauen wird zu lokalen Östrogenanwendungen geraten. "Allerdings gibt es keine einheitlichen Empfehlungen über die Dosierung und die Dauer der Anwendung", merkt Peschers an. Die systemische Hormonersatztherapie habe keinen positiven Effekt auf die überaktive Blase.

Wesentlicher Pfeiler der Therapie sind daher nach wie vor Anticholinergika. Sie hemmen effizient unwillkürliche Kontraktionen des Blasendetrusors. Zu rechnen ist jedoch mit den bekannten unerwünschten Wirkungen wie Mundtrockenheit, Obstipation, Akkomodationsstörungen und Herzrhythmusstörungen.

Anticholinergika als Option

Dies führt gerade bei multimorbiden und alten Patienten zu Problemen. Peschers weist darauf hin, dass viele Medikamente anticholinerge Partialwirkungen haben, so dass die Zunahme der anticholinergen Belastung bei Senioren zu deutlichen Verschlechterungen der Kognition, teilweise zu Vorstellungen in der Notaufnahme führt. Unter den selektiven M-3-Rezeptorantagonisten wie Solifenacin oder Darifenacin sind etwas weniger Nebenwirkungen als unter oralem Oxybutinin beobachtet worden, auch vermindert die transdermale Oxybutinin-Applikation das Nebenwirkungsrisiko.

Dennoch ist die Therapietreue gering und die Abbrecherquote hoch. Der ß-3-Rezeptoragonist Mirabegron, der inzwischen in Deutschland wieder verfügbar ist, führt deutlich seltener als andere Anticholinergika zu Mundtrockenheit – die anderen unerwünschten Effekte entsprechen jedoch den übrigen Anticholinergika.

Weil eine starke Korrelation zwischen dem Vorhandensein eines Descensus genitalis und OAB besteht, soll Frauen, bei denen dieser Deszensus als klinisch relevant eingeschätzt wird, eine Behandlung mit Pessar oder eine Operation angeboten werden. Bei nur leichter Senkung des Scheidenendes fehlen jedoch Belege dafür, dass Operationen wie TFS (Tissue Fixation System) oder CESA/VASA (Cervicosacropexie/Vaginosacropexie) Verbesserungen bringen. Solche Therapieverfahren sollten daher nur innerhalb prospektiver Studien angewendet werden, meint Peschers.

Weitere Behandlungsmöglichkeiten bieten sich mit der intravesikalen Injektion von Botulinumtoxin und der sakralen Neuromodulation an. Inzwischen werden Stimulationselektroden perkutan an der Vorderwurzel von S3 platziert. Die Stimulation der Nerven führt sofort zu einem Ende der Detrusorkontraktionen. In einer 2016 veröffentlichten Studie bei 340 Patienten mit OAB war bei 80 Prozent die Teststimulation erfolgreich, von diesen Patienten besserte sich bei 83 Prozent die Drangsymptomatik (Urology 2016; 94: 57-63). Jedoch muss mit Nachoperationen gerechnet werden, etwa wegen Dislokationen des Schrittmachers oder wegen erneuter Verschlechterung der Symptome. Zu beachten ist nach Peschers Angaben außerdem, dass nach der Implantation solcher Systeme keine Magnetresonanztomographien mehr möglich sind.

Eine Alternative ist die in Deutschland kaum verbreitete perkutane Tibialis-Stimulation am medialen Fußknöchel. Weil der Nervus tibialis in Höhe S2 bis S4 umgeschaltet wird, soll mit der elektrischen Stimulation die parasympathischen Aktivität gedämpft und somit die Detrusorhyperaktivität reduziert werden.

Therapieoptionen bei überaktiver Blase

  • Es kann es schon helfen, Kaffee, Tee, Alkohol und Kohlensäure-haltige Getränke zu meiden und die Flüssigkeitszufuhr am Abend zu reduzieren.
  • Verhaltens- und Biofeedback-Training haben in Studien zu signifikant verminderten Drangepisoden geführt.
  • Medikamentöse Optionen: Postmenopausalen Frauen wird zu lokaler Östrogenanwendung geraten. Anticholinergika hemmen effizient unwillkürliche Kontraktionen des Blasendetrusors.
  • Weitere Behandlungsmöglichkeiten sind Pessar oder Op sowie die intravesikale Injektion von Botulinumtoxin und die sakrale Neuromodulation.
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