Hintergrund

Borreliose-Verdacht: Bei unklarer Klinik auf Serologiebefunde warten!

Allein aufgrund der Klinik lässt sich die Diagnose "Borreliose" nur schwer stellen. Um Fehldiagnosen zu vermeiden, ist bei unklarem Erscheinungsbild die Bestätigung durch Laborbefunde erforderlich, ergab eine US-Studie.

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Erythema migrans nach Zeckenstich: Nicht immer ist das typische Borreliose-Symptom so ausgeprägt.

Erythema migrans nach Zeckenstich: Nicht immer ist das typische Borreliose-Symptom so ausgeprägt.

© Ingo Bartussek - stock.adobe.com

Bei Patienten mit Borreliose-Verdacht fällt die initiale Entscheidung zur Therapie oft schon, bevor die Laborergebnisse vorliegen. Doch wie sicher lässt sich eine Borreliose aufgrund der Klinik diagnostizieren? Dieser Frage sind Forscher um Dr. Lise Nigrovic vom Boston Children's Hospital im US-Staat Massachusetts nachgegangen. Sie haben die Therapieempfehlungen von Ärzten bei 1021 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 1 bis 21 Jahren in einer prospektiven Kohortenstudie überprüft. Ergebnis: Bei unklarer Klinik sollte mit einer Therapieempfehlung gewartet werden, bis die Laborergebnisse bekannt sind (Pediatrics 2017; online 24. November).

Die geschulten Ärzte aus fünf Notfalleinrichtungen von Endemieregionen sollten bei Patienten die Wahrscheinlichkeit einer Borrelieninfektion einschätzen, und zwar mit einem Zehn-Punkte-Score (1 = unwahrscheinlich, 10 = sehr wahrscheinlich). Eine Borreliose galt als gesichert, wenn die Kinder entweder ein Erythema migrans hatten oder wenn bei Symptomen die zweistufige serologische Abklärung positiv war (ELISA plus Immunoblot). Um auch eine spätere Serokonversion zu erfassen, wurden die serologischen Tests binnen 30 Tagen wiederholt.

Nach den Studienkriterien sollte ein Erythema migrans mindestens 5 cm Durchmesser haben oder sich an der Stelle eines kürzlich aufgetretenen Zeckenstichs befinden und seither vergrößert haben.4 Prozent hatten ein Erythema migrans, bei 47 Prozent zeigte sich eine disseminierte und und bei 46 Prozent eine späte Form. Bei den verbleibenden Kindern war die Form unspezifisch.

Häufige Fehldiagnosen

Bei etwa jedem vierten Teilnehmer insgesamt wurde tatsächlich eine Borreliose nachgewiesen. Die Diagnose wurde bei 11 Prozent allein aufgrund eines Erythema migrans gestellt, bei 6 Prozent aufgrund eines Erythems plus zwei positiven serologischen Befunden und bei 83 Prozent allein aufgrund der positiven Serologie. Bei keinem Teilnehmer mit unspezifische Erythem waren beide Labortests positiv. Bei einem Fünftel wurde eine frühere Lyme-Borreliose nachgewiesen.

Aufgrund des klinischen Verdachts allein wurde eine Borreliose oft nicht richtig diagnostiziert. Bei 31 Prozent der 127 Teilnehmer , bei denen die Ärzte die Borreliose für sehr wahrscheinlich gehalten hatten (Score 8–10), waren die Laborbefunde letztlich negativ. Bei 12 Prozent der 554 Kinder, bei denen die Ärzte eine Borrelieninfektion für unwahrscheinlich gehalten hatten (Score 1–3), ergab das Labor eine Borreliose.

Das Fazit der Forscher: Auch wenn aufgrund eines klinischen Anfangsverdachts eine initiale Behandlung erfolgt, solle eine zweistufige serologische Untersuchung durchgeführt werden, sofern kein klassisches Erythema migrans zu finden ist. Denn allein aufgrund der Klinik lasse werde häufig keine richtige Diagnose gestellt. Erst nach Vorliegen der Laborbefunde sollte bei atypischen Befunden endgültig über die Therapie entschieden werden, so die Autoren.

"Serologie nur bei ausreichendem Verdacht!"

In der Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft "Kutane Lyme-Borreliose" vom März 2016 wird empfohlen, die serologische Diagnostik nur bei ausreichendem klinischem Verdacht anzufordern, und zwar als Stufendiagnostik im Sinne eines Suchtests (etwa ELISA) und eines Bestätigungstests (Immunoblot). Die deutschen Experten weisen darauf hin, dass ein positiver Antikörpernachweis nicht beweisend für eine klinisch bestehende Borreliose ist und ein negativer bei längerer Krankheitsdauer beim Immungesunden eine Borreliose weitestgehend ausschließt. Außerdem betonen sie, dass ein isoliert positiver IgM-Nachweis gegen eine Spätmanifestation spricht.

Der sofortige Therapiebeginn ohne weitere serologische Abklärung ist auch der deutschen Leitlinie zufolge nur dann sinnvoll, wenn ein typisches Erythema migrans vorliegt. Bei atypischem Ekzem soll der Verdacht durch eine zweistufige serologische Untersuchung weiter abgeklärt werden. Fällt der Erstbefund negativ aus, soll zunächst das Ergebnis des molekularbiologischen oder kulturellen Direktnachweises abgewartet werden. Auch der Verdacht auf multiple Erytheme soll zunächst mittels Borrelien-Serologie überprüft und erst nach positivem Ausgang mit einer Behandlung begonnen werden.

Strittig ist in Deutschland das Diagnose-Verfahren bei Verdacht auf Neuroborreliose als Spätmanifestation der Infektion. Hier geht gerade die Deutsche Borreliose-Gesellschaft vor Gericht gegen die neue S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) vor und fordert eine Nachbesserung. (Mitarbeit: Wolfgang Geissel)

Kommentare
Dietmar Seifert 25.01.201822:01 Uhr

Serologiebefunde ungeeignet!

Die Empfehlung, bei unklarer Klinik eines Erythema migrans zur Vermeidung von Fehldiagnosen auf Serologiebefunde warten, ist mehr als fragwürdig?
Gerade diese Vorgehensweise erzeugt zahlreiche Fehldiagnosen!

So sollte eigentlich bekannt sein, dass die Sensitivität von Antikörpertests im Stadium I nur 20-50% beträgt. (MIQ 12 2000)
Somit werden 50-80% aller Erythema migrans mittels Serologie überhaupt nicht erkannt und bewirkt bei negativen Befund 50-80% Fehldiagnosen!
Im Rahmen von Studien sollte auch beachtet werden, dass nach frühzeitiger erfolgreicher Therapie von Frühmanifestationen eine Serokonversion ausbleiben kann.
Deshalb sind Studien eine Borreliose nachträglich mittels Serologie nachzuweisen völlig ungeeignet.

Warum werden bei Lyme-Borreliose andauernd nur Versuche unternommen, selbst bei geringsten Zweifeln jede Diagnose zu negieren. Anstatt sich in Anlehnung zum juristischen Bereich für „In dubio pro patientes“ zu entscheiden und nötigenfalls „ex juvantibus“ zu therapieren?

Günther Binnewies 24.01.201812:19 Uhr

Soviel Wenn und Aber‘s packt kein Arzt.

Wenn/Dann-Bedingungen kann man zwar in der Physik anwenden, nicht aber am Menschen – schon gar nicht, einem mit Lyme-Borreliose.
Leider existieren keine klaren Kriterien für die Erkennung eines Erythems (EM) – ein solches erzwingt eine Therapie (ohne Labor!!!). Ein EM, das „durchrutscht“ – Ansicht: das Labor wäre der Goldstandard – droht eine Spätform zu werden. Sich auf das Labor verlassend, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen! Labore werden zu häufig überbewertet, nicht standardisiert, unterschiedlich gehandhabt, kein wiss. Beweis! In Zukunft werden sicher App‘s die Diagnose erleichtern?!
„Ein negatives Ergebnis schließt die Borreliose nicht aus.“ (MiQ12)
„Lyme-Borreliose ist in erster Linie eine klinische Diagnose.“ (zahlreiche Lit.)
Den „Leitlinien“ fehlt Sachverstand – die Grundlagen des Fachs Infektiologie wurden erst wieder 2003 gelegt. Der Erreger (Spirochaetaceae) ist intelligenter, als man ihn wähnt! Es reicht!!!
Wie lange müssen Patienten noch auf einen „Gold“-Standard warten – nochmals 30 Jahre???? – Armseeeeelige Medizin –

Ursula Dahlem 23.01.201815:47 Uhr

Fatal: Borrelioseerreger in den USA unterscheiden sich von europaischen Stämmen

Fatal vor allem für die Patienten:

Leider wird in den oft gutgemeinten Zusammenführungen von wissenschaftlichen Ergebnissen häufig übersehen, dass die Erregerstämme aus den USA sich von den europäischen zum Teil erheblich unterscheiden. Man sollte daher Erkenntnisse aus den USA nicht einfach auf die europäische Situation übertragen.

Die Lyme-Borreliose wird durch verschiedene Spezies des Genus Borrelia verursacht, die zum sogenannten Komplex Borrelia burgdorferi sensu lato (Bbsl) gehören. Vier der insgesamt 12 bisher beschriebenen Spezies des Bbsl-Komplexes Borrelia, (B.) burgdorferi sensu stricto, Borrelia (B.) garinii und Borrelia (B.) afzelii und die erst vor kurzem beschriebene Spezies B. spielmanii, sind humanpathogen. Alle vier Spezies kommen in Europa vor, während humanpathogene Stämme in den USA ausschließlich der Spezies B. burgdorferi sensu stricto angehören. Von B. afzelii werden vorwiegend Hautmanifestationen hervorgerufen, während die mit Neuroborreliose und Arthritis assoziierten Stämme deutlich heterogener sind, wobei bei der Neuroborreliose B. garinii überwiegt.
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_LymeBorreliose.html;jsessionid=5F8031B738CCD75EBF17F67EB3AF1C7A.2_cid390#doc2398672bodyText2

In den AWMF-Leitlinien "Kutane Manifestationen der Lyme-Borreliose" gibt es eindeutige Empfehlungen ein Erythema migrans, das nach Zeckenstich auftritt OHNE Laborergebnisse abzuwarten zu behandeln. Hier gibt es auch keinen Dissens zwischen Patienten- und Fachorganisationen

Zitat: http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/013-044l_S2k_Kutane_Lyme_Borreliose_2016-05.pdf

"Liegt ein typisches Erythema migrans vor (s. Kapitel Klinische Manifestationen), soll keine weitere labordiagnostische Absicherung
(serologisch,kulturell,molekularbiologisch)erfolgen.

Liegt ein typisches Erythema migrans vor, soll sofort mit der antibiotischen Therapie begonnen werden."

Arme Patienten, die nicht behandelt werden! Denn auch Laborergebnisse sind in der Frühphase einer Lyme-Borreliose oft ohne Aussagekraft oder werden falsch interpretiert. Eine bereits vorhandene Borrelienvorerkrankung schützt dazu nicht vor Neuerkrankung, was ebenso oft, obwohl deutlich beschrieben, übersehen wird.

Bei einer Neuroborreliose kann das Erythema migrans vollkommen fehlen UND die Laborwerte in der Frühphase fehlen. Auch hier sollte rein nach klinischem Befund möglichst früh behandelt werden und sich nicht auf irgendwelche Studien, wie die hier im Artikel vorgestellte, berufen werden, diese Behandlung zu verweigern. Die Schäden einer zu spät erkannten Lyme-Borreliose sind leider oft irreparabel und führen auch zu chronischem Krankheitsverlauf. Dessen sollte sich jeder behandelnde Arzt bewusst sein. Das ist auch ein Gegenstand des Dissens, der bei der Leitlinie "Neuroborreliose" besteht, den alle drei Patientenorganisationen und die deutsche Borreliosegesellschaft ausgesprochen haben.

Für Onlyme-Aktion.org http://onlyme-aktion.org/geplante-neuroborreliose-leitlinie-dissenserklaerung-von-onlyme-aktion-org/ Die ausführliche Form dieser Erklärung, die sich direkt auf die geplante S3-Leitlinie "Neuroborreliose bezieht, befindet sich bei den Leitlinienautoren und es war geplant, diesen mit entsprechendem Hinweis in der Präambel der Leitline im Leitlinienreport zu veröffentlichen.

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