KHK

Das Dilemma der dualen Plättchenhemmung

Wie lange sollen KHK-Patienten nach Stent-Implantation eine duale Plättchenhemmung als antithrombotischen Schutz erhalten? Diese Frage soll die DAPT-Studie klären. Ergebnisse wurden jetzt auf der Jahrestagung der American Heart Association (AHA) in Chicago präsentiert. Doch es bleiben einige Fragen offen.

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Wie lange KHK-Patienten nach Implantation eines Koronarstents duale Plättchenhemmung erhalten sollten, ist umstritten.

Wie lange KHK-Patienten nach Implantation eines Koronarstents duale Plättchenhemmung erhalten sollten, ist umstritten.

© BVMed-Bilderpool

CHICAGO. Die Ergebnisse der DAPT-Studie sprechen klar für klinische Vorteile einer längeren Dauer der dualen Plättchenhemmung nach Implantation von Medikamente freisetzenden Koronarstents (Drug-eluting Stents, DES).

Dem steht aber eine deutliche Zunahme von Blutungskomplikationen im Vergleich zu einer kürzeren Behandlungsdauer gegenüber.

Eine generalisierte Empfehlung, alle Patienten künftig länger als zwölf Monate zu behandeln, lässt sich daher mit den Daten kaum rechtfertigen.

Die nicht einfache Aufgabe lautet nun, diejenigen Patienten zu identifizieren, bei denen der Nutzen der verlängerten Behandlung deren Risiken überwiegt.

Gefahr durch Stentthrombosen

DES haben aufgrund eines niedrigeren Restenoserisikos im Vergleich zu reinen Metallstents die interventionelle revaskularisierende Therapie bei KHK verbessert.

Es besteht aber ein Risiko für Stentthrombosen, die auch nach Monaten und Jahren auftreten können.

Wirksamste Waffe dagegen ist derzeit die duale Plättchenhemmung mit Acetylsalicylsäure (ASS) und dem Thienopyridin Clopidogrel.

Das Dilemma

Noch immer ist jedoch nicht klar, wie das Nutzen/Risiko-Verhältnis der dualen Plättchenhemmung in Abhängigkeit von ihrer Dauer ist.

Das Dilemma: Bei relativ kurzer Dauer könnte zwar das Blutungsrisiko minimiert werden, das Risiko für späte Stentthrombosen und stentunabhängige ischämische Ereignisse aber zunehmen.

Bei längerer Dauer könnte die Wirkung gegen diese ischämischen Ereignisse besser zum Tragen kommen, es droht aber eine Zunahme von Blutungen.

Die europäischen ESC-Leitlinien empfehlen nach Implantation von medikamentenfreisetzenden Stents (Drug-eluting Stents, DES) generell eine duale Plättchenhemmung für sechs Monate; nur bei Patienten mit hohem Risiko für ischämische Ereignisse kann nach individueller Abwägung eine noch längere DAPT in Erwägung gezogen werden. In den US-Leitlinien hat man sich für eine mindestens 12-monatige Dauer entschieden.

FDA fordert Klärung in Studie

Als vor einigen Jahren aufgrund von neuen Studiendaten die mögliche Gefahr von späten Stentthrombosen die Kardiologen zunehmend beunruhigte, sah sich die US-Gesundheitsbehörde FDA zum Handeln genötigt. Sie forderte von den Stent-Herstellern, in einer gemeinsam finanzierten Studie zu klären, wie dieser Gefahr begegnet werden kann.

Mit finanzieller Unterstützung von acht Unternehmen, darunter auch vier aus dem pharmazeutischen Bereich, ist 2009 zu diesem Zweck die große DAPT-Studie gestartet worden. Ihre wissenschaftliche Leitung liegt in den Händen des Harvard Clinical Research Institute (HCRI).

Fast 26.000 Patienten aufgenommen

In die Studie sind 25.685 KHK-Patienten nach Stent-Implantation aufgenommen worden. Alle Teilnehmer erhielten zunächst in offener Form für die Dauer eines Jahres eine duale Plättchenhemmung, bestehend aus ASS plus einem Thienopyridin (Clopidogrel oder Prasugrel).

Danach sind 9.961 mit einem DES versorgte Teilnehmer randomisiert zwei Gruppen zugeteilt worden, die dann für die Dauer von weiteren 18 Monaten entweder weiterhin ASS plus Clopidogrel (zwei Drittel) bzw. Prasugrel (ein Drittel) erhielten oder nur mit ASS plus Placebo behandelt wurden. Verglichen wurde also eine duale Plättchenhemmung von 12- versus 30-monatiger Dauer.

DAPT ist ob ihrer Größe die erste und einzige Studie, welche die nötige statistische Teststärke (power) besitzt, um Unterschiede zwischen beiden Strategien zuverlässig aufdecken zu können.

Studienleiterin Dr. Laura Mauri von der Harvard Medical School in Boston hat die DAPT-Ergebnisse jetzt beim AHA-Kongress in Chicago vorgestellt. Die Studie ist simultan im "New England Journal of Medicine" online publiziert worden.

Klinische Vorteile der längeren Behandlung

Die Fortsetzung der dualen Plättchenhemmung über den Zeitpunkt nach zwölf Monaten hinaus erwies sich klinisch als vorteilhaft.

In der Gruppe der 30 Monate lang behandelten Patienten war sowohl die Rate der Stentthrombosen (0,4 versus 1,4 Prozent) als auch die kombinierte Rate der kardiovaskulären Ereignisse Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall (4,3 versus 5,9 Prozent) jeweils signifikant niedriger als in der Vergleichsgruppe mit kürzere Behandlungsdauer.

Ausschlaggebend für die niedrigere Ereignisrate war die unterschiedliche Häufigkeit von Herzinfarkten (2,1 versus 4,1 Prozent). Bemerkenswert ist dabei, dass 55 Prozent aller Herzinfarkte ohne Bezug zu den implantierten Stents waren (1,8 versus 2,9 Prozent).

Schlaganfälle traten mit gleicher Häufigkeit auf (0,8 versus 0,9 Prozent).

Unerwartete Zunahme der Mortalität

Ein unerwartetes Ergebnis ist eine signifikant höhere Mortalität in der Gruppe mit verlängerter dualer Plättchenhemmung (2,0 versus 1,5 Prozent). Dieser Unterschied ist allerdings im Wesentlichen einer Zunahme der nicht kardiovaskulär bedingten Mortalität geschuldet.

Den Grund dafür sehen die DAPT-Studienautoren auf der Grundlage zusätzlicher Analysen in einer ungleichen Verteilung von Patienten mit Krebserkrankungen, die zu mehr krebsbedingten Todesfällen in der Gruppe mit verlängerte dualer Plättchenhemmung geführt habe (31 versus 14).

Die Kehrseite: Blutungsrisiko signifikant erhöht

Kehrseite der günstigen Wirkung auf ischämische Ereignisse ist eine signifikante Zunahme von mittelschweren und schweren Blutungen unter verlängerter Behandlung (2,5 versus 1,6 Prozent).

Studienleiterin Mauri betonte aber, dass es bei alleiniger Betrachtung von schweren oder tödlichen Blutungen keinen signifikanten Unterschiede gegeben habe.

Auffällig war, dass es in den ersten drei Monaten nach Rückkehr zur ASS-Monotherapie jeweils zu einer Zunahme von Herzinfarkten kam. Die könnte für den Nutzen einer noch längeren Behandlung sprechen.

Geht es auch kürzer als 12 Monate?

Außer DAPT sind in der gleichen "Late-Breaking Clinical Trial"-Sitzung des AHA-Kongresses mit ISAR-SAFE und ITALIC noch zwei kleinere Studien zur Frage der Behandlungsdauer bei dualer Plättchenhemmung vorgestellt worden.

Im Gegensatz zu DAPT ging es dabei allerdings um die Frage, ob die Dauer kürzer als 12 Monate sein kann. Verglichen wurde eine sechsmonatige mit einer 12- bzw. 24-monatigen Behandlungsdauer.

Beide Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die kürzere der längeren Behandlung nicht unterlegen ist. Dieses Ergebnis liegt auf gleicher Linie wie die Ergebnisse vorangegangener kleinerer Vergleichsstudie.

Beide neuen Studien, in denen zu einem hohen Prozentsatz Stents der neuen Generation verwendet wurden, sind allerdings aufgrund von Schwierigkeiten bei der Patientenrekrutierung vorzeitig beendet worden, was die Aussagekraft ihrer Ergebnisse limitiert. Die Ereignisraten waren jeweils sehr niedrig. (ob)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kommentar zur dualen Plättchenhemmung: Einheitsregel gibt es nicht

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