Neues Antibiotikum

Das Problem mit Resistenzen bleibt

Das neue Antibiotikum Teixobactin hat weltweit Schlagzeilen gemacht. Die Entdeckung schürt die Hoffnung auf den Durchbruch, endlich die jahrzehntealten Probleme mit Resistenzen zu lösen. Zu früh freuen sollte man sich aber nicht.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Elefhtheria terrae: So sieht der Teixobactin-Produzent unter dem Elektronenmikroskop aus.

Elefhtheria terrae: So sieht der Teixobactin-Produzent unter dem Elektronenmikroskop aus.

© William Fowley/Northeastern University

BONN. Antibiotikaforschung galt lange als frustrierend. Das goldene Zeitalter neuer Antibiotikaklassen war in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das meiste dessen, was seither zugelassen wurde, spielt auf der Klaviatur alter Entdeckungen.

So kamen in den 90er Jahren viele Cephalosporine und Gyrasehemmer auf den Markt. Erstere wurden in den 40er, letztere in den 60er Jahren erstmals entdeckt.

In den Nullerjahren schafften es einige neue Glycopeptide und Makrolide zur Marktreife, in Europa etwa das Vancomycinderivat Telavancin (2009) und das Makrolid Fidaxomicin (2011). Auch diese Antibiotikaklassen sind seit Jahrzehnten bekannt.

Ganz ausgereizt ist der Weg über die bekannten Antibiotikaklassen noch nicht. Die FDA hat im Sommer 2014 drei neue Antibiotika zugelassen. Zwei davon, Dalbavancin und Oritavancin, sind Glykopeptide.

Beliebt bei der Industrie ist derzeit auch die Kombination bekannter antibiotischer Substanzen mit "Resistenzbrechern". So wurde für Ceftolozan plus Tazobactam eine Zulassung für gramnegative Problemkeime beantragt.

Die Kombinationen Ceftazidim plus Avibactam sowie Biapenem plus RPX-7009, ein neuer Betalaktamasehemmer, zielen in eine ähnliche Richtung.

Insgesamt dürften in der Dekade bis 2020 zwei- bis dreimal so viele neue Antibiotika zugelassen werden wie in den "Nullerjahren", betont der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller vfa.

Neue Methode erschließt neues Universum

Wirklich neue Strukturklassen, die das Tor zu einer ganzen Gruppe neuer Antibiotika aufstoßen könnten, gab es dagegen lange nicht mehr. Zwar kam im Jahr 2000 mit Linezolid das erste Oxazolidinon auf den Markt.

Aus der Gruppe der Oxazolidinone stammt auch das dritte von der FDA im Sommer 2014 zugelassene neue Antibiotikum, Tedizolid. Und 2003 öffnete sich mit Daptomycin das Tor für die zyklischen Lipopeptide.

Beides waren aber wissenschaftlich alte Hüte: "Die Entdeckung dieser Strukturklassen liegt lange zurück", betont PD. Dr. Tanja Schneider vom Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Bonn.

Zusammen mit US-Kollegen um Professor Kim Lewis von der Northeastern University in Boston haben die in das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung eingebundenen Bonner Wissenschaftler jetzt die Stase bei der Antibiotikaneuentdeckung durchbrochen.

 Teixobactin gehört zu einer neuen, den Glykopeptiden verwandten Strukturklasse, deren Vertreter bei grampositiven Bakterien die Zellwandsynthese hemmen.

Das sei die erste wirkliche Neuentdeckung einer (bisher noch nicht näher benannten) Strukturklasse seit mehreren Jahrzehnten, so Schneider. Nicht nur klinisch, auch methodisch ist die Entdeckung spannend.

Zuletzt war jahrelang versucht worden, neue Antibiotika mit Hilfe kombinatorischer Substanzbibliotheken auf Basis vorab definierter Zielstrukturen zu finden. "Da ist praktisch nichts bei rausgekommen", so Schneider.

Die Teixobactin-Entdeckung ist ein Schritt zurück zu den Ursprüngen: Es wurde klassische Mikrobiologie auf Basis von Naturstoffen (in diesem Fall Erdboden) betrieben.

Allerdings wurde dafür eine hoch innovative, iChip genannte Agarplatte eingesetzt, die es erlaubt, bisher unkultivierbare Bakterien quasi direkt in ihrem Biotop zu untersuchen.

Dazu kamen wesentlich in Deutschland entwickelte "smarte" Screening-Technologien, die es erlauben, simultan Informationen über Aktivität und Wirkmechanismus eines antibiotischen Moleküls zu erhalten.

Dadurch können Kandidatenbakterien deutlich schneller identifiziert und interessante Substanzen rascher dingfest gemacht werden.

Das ganze Verfahren sieht Schneider als sehr vielversprechend an, weil es erlaubt, die Antibiotikasuche auf jene 99 Prozent der Bakterien auszudehnen, die bisher als nicht kultivierbar gelten.

Mit anderen Worten: Es könnte in den nächsten Jahren noch einiges mehr kommen. US-Wissenschaftler haben bereits angekündigt, dass sie jetzt auch auf dem Meeresboden suchen wollen.

Nicht zu früh freuen

Zu laut gejubelt werden sollte freilich nicht. Teixobactin ist ein iv-Antibiotikum, also eher kein Kandidat für einen Einsatz in der breiten Versorgung.

Resistenzen können nicht für alle Ewigkeit ausgeschlossen werden, auch wenn bisherige Untersuchungen auf eine extrem geringe Resistenzneigung hindeuten.

Vor allem aber muss Teixobactin jetzt erst einmal in die klinische Prüfung, wo schon so manches Antibiotikum wegen zu hoher Toxizität hängen geblieben ist.

Dass die Mühlen langsam mahlen, zeigen die Oxazolidone, bei denen über 20 Jahre zwischen Entdeckung und der Marktreife des ersten Produkts lagen.

Schon deswegen sollte niemand auf die Idee kommen, die Bemühungen um die Eingrenzung von Antibiotikaresistenzen schleifen zu lassen.

Antibiotikaresistenzen vermeiden – aber wie?

Immer mehr Bakterien entwickeln Resistenzen gegen immer mehr Antibiotika. Das Problem ist erkannt – allein wie lässt es sich lösen? Im Video-Interview erläutert Professor Cord Sunderkötter, Leiter des Hauttumorzentrums sowie der Abteilung für Dermatomikrobiologie am Uniklinikum Münster, welchen Beitrag Ärzte, Gesellschaft und Politik leisten können.

Jetzt abonnieren
Mehr zum Thema

Resistenzen

Leopoldina: Kluge Anreize für neue Antibiotika nötig

Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 12.01.201520:44 Uhr

ich sehe das nicht ganz so pessimistisch, Herr Kollege.

Es sei denn, jedes neue Antibiotikum wird auch tonnenweise in der Tierzucht etc. eingesetzt.
Das ist zwar politisch noch etwas tabu, aber der neue RKI-Chef ist ein Tierarzt, das lässt hoffen (Professor Dr. Lothar H. Wieler). MRSA ist eher schon leicht rückläufig.
Denn die Überzahl ubiquitärer NICHT resistenter Keime ist überwältigend und kann einen Großteil der Vernichtung für uns erledigen, insbesondere wenn wir diese Normalflora etwas pfleglicher behandeln.
Das heist die normale "menschliche" Umwelt reinigen, aber nicht mit Desinfektionsmittel traktieren als grobe Richtung.
Unser Feind ist diesbezüglich die Industrie, die solches auch in den Privathaushalt drücken möchte.
Ärzte sind eigentlich schon zurückhaltend mit Antibiotika, hier sollte man das Kind auch nicht mit dem Bade ausschütten.

mfG

Dr. Karlheinz Bayer 12.01.201514:46 Uhr

was sind Resistenzen?


Wenn man sich wirklich frägt, was eine Resistenz ist, wird man schnell sehen, daß jedes Antibiotikum irgendwann zu resistenten Keimen führen wird. Im Grunde genommen verhalten sich Bakterien und Antibiotika nämlich nicht anders als Menschen, die mit neuen Erregern in Verbindung kommen.

Ebola.
Etwa jeder zweite an Ebola Infizierte stirbt.
Aber jeder zweite überlebt und ist künftig resistent.
Wenn man davon ausgeht (was nahe liegt), daß dieses Überleben eine genetische Komponente hat, wird es am Knie von Afrika mittelfristig und wohl in wenigen Generationen nur noch überwiegend ebolaresistente Menschen geben.

Selbst wenn ein Antibiotikum in 95 % der Fälle hilfreich ist, werden auf Dauer die 5 % Prozent resistenter Keime gewinnen. Die mathematische Gleichung ist eine einfache Zinseszinsrechnung:

Resistenz [%] = 100 * (1-p)hoch Generation [%]

Im Fall von 5 % Resistenzen heißt das, daß in der zweiten Generation der Bakterien, die mit dem Antibiotikum Kontakt hatten, bereits nur noch 100*0.95 hoch 2 = 90,25 % Schutz vorhanden ist.
Nach 12 Bakteriengenerationen werden die 50 % bereits unterschritten, oder anders, es sind mehr Bakterien resistent als bekämpfbar.

Die Konsequenz.
Wollen wir ein Antibiotikum möglichst lange erfolgreich nutzen, dürfen wir es nur selten einsetzen, um den Prozentsatz der resistenten Keime möglichst lange möglichst gering zu halten.

Einen "Durchbruch", also eine "Lösung des Resistenzproblems" allerdings wird es NIE geben, es sei denn, irgendjemand findet das 100 % resistenzresistente Antiotikum. Das wäre allerdings in der Evolutionsgeschichte etwas absolut Neues.

Dr.Karlheinz Bayer

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Laborwerte in der Diabetologie

HbA1c-Wert bei Diabetes-Diagnostik? Gerne, aber mit Verstand!

Meist Frauen betroffen

Standard-Therapie reicht bei Clusterkopfschmerz oft nicht

Methotrexat und Glukokortikoide

Rheumatoide Arthritis: Spannende neue Erkenntnisse zu altbekannten Arzneien

Lesetipps
Aufnahmen einer Magnetresonanzangiographie ohne Kontrastmittel von den Halsgefäße eines Patienten.

© Aleksandr Uglov / stock.adobe.com

Kasuistik

Schlaganfall durch wandernde A. carotis interna

„Nicht jeder Mensch ab 70 wird künftig Statine nehmen, aber es werden mehr als bisher sein“, prognostiziert Kollegin Erika Baum von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin.

© Rafal Rutkowski / stock.adobe.com

„Erheblicher zusätzlicher Beratungsbedarf“

Statine: Was der G-BA-Beschluss für Praxen bedeutet