Zwischen Euphorie und Rückschlag
Der lange Weg der Gentherapie
Von der mit Euphorie begleiteten ersten Gentherapie zu den ersten Zulassungen brauchte es mehr als zwanzig Jahre. Mit strengeren Prüfungen im Vorfeld und neuen Methoden wie CRISPR wird sich diese Therapiestrategie etablieren.
Veröffentlicht:Eine Sensation war die erste Gentherapie eines Patienten vor fast drei Dekaden. Im September 1990 wurde das vierjährige Mädchen Ashanti DeSilva in Los Angeles von einem Ärzteteam um French Anderson, Michael Blaese und Kenneth Culver behandelt, da sie an einer Adenosin-Deaminase-Defizienz litt und aufgrund der daraus folgenden schweren Immundefizienz (SCID) ständig Infektionen hatte.
Die Ärzte entnahmen dem Kind hämatopoetische Stammzellen, statteten sie ex vivo mithilfe einer viralen Genfähre mit dem intakten Gen des fehlenden Enzyms aus und reinfundierten die Zellen. Vier Monate später wurde auch ein zehnjähriger Junge auf die gleiche Weise gentherapeutisch behandelt.
Die Kinder führen heute ein weitgehend normales Leben. Damit bestätigten die Pioniere das, was der Pädiater Theodore Friedmann von der Universität von Kalifornien in San Diego bereits 1972 aufgrund tierexperimenteller Erfolge vorausgesehen hatte: Dass sich künftig durch Gentherapie Leiden bei manchen genetisch bedingten Krankheiten lindern lassen (Science 1972; 175/4025: 949–955).
Erste Rückschläge
Doch schon 1999 gab es den ersten Rückschlag bei der Anwendung dieser neuen Strategie, als der US-Amerikaner Jesse Gelsinger nach einer Gentherapie mit Adenoviren starb. Bei der Behandlung war übersehen worden, dass der junge Mann, der wegen einer Ornithin-Transcarbamylase-Defizienz mit Störung der Harnstoffsynthese behandelt wurde, früher möglicherweise bereits Kontakt mit einem ähnlichen wie dem als Genfähre verwendeten Adenovirus gehabt hatte, die eine überschießende tödliche Immunreaktion gegen das Virus zur Folge hatte.
Schließlich gab es weitere Rückschläge für die neue Therapieform, als in Paris Anfang der 2000er-Jahre SCID-Patienten wenige Jahre nach einer Gentherapie an Leukämie erkrankten.
Die Gentherapeuten haben sich dadurch nicht entmutigen lassen, sind aber noch vorsichtiger geworden und haben das therapeutische Arsenal erweitert. Inzwischen gibt es weltweit mehrere Hundert laufende oder abgeschlossene Gentherapiestudien, mit 330 Studien die meisten bei Krebserkrankungen, sowohl bei hämatologischen als auch soliden Tumoren. Andere Indikationen sind Blindheit, Hämophilie, Morbus Parkinson und Morbus Huntington.
Längst gibt es gentherapeutische Produkte, die in den USA und in Europa zugelassen sind. Die erste Zulassung in den USA erfolgte im Jahr 2014 für eine CAR-T-Zelltherapie bei Erwachsenen mit akuter lymphatischer Leukämie, bei der T-Zellen ex vivo gentherapeutisch mit krebsspezifischen Rezeptoren ausgestattet werden. Die Zulassung einer ähnlichen Therapie in Europa für das patientenspezifische Zellprodukt Tisagenlecleucel, das in den USA 2017 zugelassen wurde, ist beantragt.
Das erste in Europa zugelassene gentherapeutische Produkt war 2012 Alipogene Tiparvovec zur Behandlung bei seltener Lipoproteinlipase-Defizienz mit schwerer Pankreatitis. Der Hersteller hat allerdings die Marktzulassung nicht mehr erneuert.
In Europa zugelassen oder als PRIME (Priority Medicines) eingestuft sind inzwischen Gentherapien unter anderen gegen spinale Muskelatrophie (zugelassen), Hämophilie A und B, ADA-Defizienz (zugelassen) und Beta- Thalassämie (Science 2018; online 12. Januar).
Hiobs-Botschaft für CRISPR-Cas9
In den Anfängen der Gentherapie hatten die Ärzte die naive Vorstellung, dass sie einfach ein defektes Gen durch ein intaktes Gen ersetzen müssen, etwa unter Zuhilfenahme von abgeschwächten Viren als Genfähre.
Das hat sich als Trugschluss erwiesen, was die Entwicklung immer feinerer und präziserer Methoden aber beschleunigte. Seit dem Beginn der Euphorie um das sehr effiziente und einfach zu handhabende Gentechnikwerkzeug CRISPR-Cas9(clustered regularly interspaced palindromic repeat) entwickeln Wissenschaftler Gentherapiestrategien, die CRISPR zum Geneditieren nutzen.
Vereinfacht ausgedrückt leitet CRISPR das Enzym Cas9 zu jener Stelle im Genom, an der es die DNA zerschneiden soll. Mit der Methode – der Virusabwehr von Bakterien abgeschaut – gelingt es zum Beispiel, gezielt defekte Gene aus dem Erbgut zu entfernen. Sie wurde inzwischen so stark verfeinert, dass sich damit gezielt einzelne Nukleotidbausteine verändern lassen. Weltweit sind bereits 14 klinische Studien gelistet, in denen das Geneditieren in der einen oder anderen Form genutzt wird. D
ie meisten sind in China geplant oder haben dort bereits begonnen. Die US-Gesundheitsinstitute NIH haben vor Kurzem bekannt gegeben, dass sie im Programm "Somatic Cell Genome Editing" die Verbesserung solcher Methoden wie CRISPR in den kommenden sechs Jahren mit 190 Millionen US-Dollar fördern werden, um deren therapeutische Anwendung zu beschleunigen.
Leider gibt es im Zusammenhang mit der CRISPR-Methode eine neue Hiobs-Botschaft: Pädiater um Dr. Carsten T. Charlesworth von der Stanford-Universität entdeckten im Nabelschnurblut von 22 Säuglingen und im peripheren Blut von zwölf Erwachsenen zu einem großen Prozentsatz Antikörper und antigenspezifische T-Zellen gegen Cas9-Proteine (bioRxiv 2018; online 5. Januar). Die bei der CRISPR-Methode verwendeten Cas9-Proteine stammen vor allem aus Staphylococcus aureus beziehungsweise Streptococcus pyogenes.
Sollte sich diese Beobachtung bewahrheiten, müssten Teilnehmer von Gentherapiestudien vor der CRISPR-Anwendung auf mögliche zu erwartende Immunreaktionen getestet werden. Sonst könnte diese Methode ihr Potenzial in der Medizin auf einen Schlag verlieren. Glücklicherweise sind die Gentechniker so erfinderisch, dass sie auch dieses Problem lösen werden.