Biogas
Die stinkende Gefahr im Notfalleinsatz
Bayern und Niedersachsen machen es vor: Aus Landwirten werden zunehmend Stromwirte. Doch ihre Biogas-Anlagen haben es regelrecht in sich. Von einer stinkenden Gefahr für Notärzte und Rettungskräfte.
Veröffentlicht:WIESBADEN. Eine ganze Republik wird zum ökologischen Musterknaben: Deutschland, das Land der Windräder, Solar- und Biogasanlagen, findet im Ausland zunehmend Bewunderung für den Ausbau von Ökostrom.
Der Anteil ökologisch erzeugter Energie hierzulande steigt und steigt, trotz der Diskussion um die sogenannte EEG-Einspeisevergütung.
Fast jede vierte deutsche Kilowattstunde kommt mittlerweile aus erneuerbaren Energien (22,1 Prozent im vergangenen Jahr). Doch was für die Ökowende ein enormer Fortschritt ist (bis 2030 soll jede zweite Kilowattstunde öko sein), stellt die Notfallmedizin vor neue Herausforderungen - vor stinkende, um genau zu sein.
Die Rede ist vom Biogas, gewonnen aus Biomasse und verbrannt zur Wärme- und Stromerzeugung. Fast sechs Prozent an der Gesamtstrommenge macht die gärende Energieform mittlerweile aus. Die Zahl der installierten Anlagen steigt seit Jahren unaufhörlich.
Der Fachverband Biogas schätzt das Wachstum dieser Anlagen für dieses Jahr auf insgesamt knapp 8000. Spitzenreiter unter den Bundesländern sind Bayern und Niedersachsen, beides frühere Agrarstaaten. Dort werden aus ehemaligen Landwirten jetzt Stromwirte.
Doch der massive Ausbau dieser Energieanlagen kann Notärzten und Rettungspersonal massive Probleme bereiten. Denn die Anlagen sind gefährlich, das Gas ein hochexplosives Gemisch. Ein Einsatz in einer Biomasse-Stromfabrik ähnelt solchen mit Gefahrgut.
Die unbekannte Biogasanlage
Schlimmer noch: "Manche Leitstellen haben gar keine speziellen Informationen über die Anlagen, oder besondere Alarm- und Ausrückeordnungen", sagt Dr. Sebastian Wirtz. Der Chefarzt für Anästhesie am Hamburger Asklepios-Krankenhaus Barmbek, hat auf dem Notfallmedizinkongress DINK 2013 Anfang März in Wiesbaden von den Problemen mit Biomasseanlagen berichtet.
Weil viele Anlagen relativ neu sind, kommen die Leitstellen offenbar schlicht nicht hinterher, sie in ihre Einsatzpläne einzubeziehen. Im Norden werden die Feuerwehren laut Wirtz sogar vielerorts erst gar nicht in die baurechtliche Genehmigung einbezogen.
Mit gravierenden Folgen: Kommt aus einer solchen Anlage ein Notruf, etwa mit dem Stichwort "bewusstlose Person", werden lediglich Rettungsdienst und Notarzt alarmiert.
Vor Ort angekommen, begeben sich die Retter aber in größte Gefahr, denn die Bewusstlosigkeit kann durch einen Austritt von Biogas entstanden sein. Selbst wenn der Patient ins Freie gebracht wurde, dünstet seine Kleidung das Biogas auch noch lange danach aus.
Eigentlich müsste hier längst der Gefahrgutzug im Einsatz sein - mit entsprechenden Messgeräten und den Möglichkeiten zur Dekontamination.
Wirtz‘ Devise für den Einsatz an Biogasanlagen lautet prägnant: "Eigenschutz, Eigenschutz, Eigenschutz!" Die Personenrettung ist nur unter Atemschutz sicher, eine Aufgabe für die Feuerwehr.
Abstand halten, lautet ein weiteres Gebot. Auch die Windrichtung zählt, nach der Faustregel: Mit dem Wind geht's zur Einsatzstelle, gegen den Wind von der Einsatzstelle weg.
Zahlreiche Atemgifte
Wirtz fordert, dass die lokalen Feuerwehren die Anlagen in ihrem Einsatzbereich genau kennen müssen. Doch gerade auf dem Land hilft das oft nicht weiter: "Die Feuerwehren auf dem Land sind oft schlecht mit Gasdetektoren ausgestattet."
Helfen können vor Ort die Betreiber mit ihrer eigenen Messtechnik und einer sehr guten Ortskenntnis. Aber auch der Arzt selbst kann sich vorbereiten, indem er um die Gefahren von Biogas weiß - etwa die Zusammensetzung und mögliche Gefahren.
Zum überwiegenden Teil - etwa 50 bis 75 Prozent - besteht Biogas aus Methan (CH4). "Das ist gewollt", wie Wirtz sagt. Denn das Methan ist es, dass zur Stromerzeugung verbrannt wird.
Das ist aber auch das Problem: Denn Methan ist zwischen der unteren und oberen Explosionsgrenze (UEG und OEG) von 4,4 bis 16,5 Volumenprozent im Luftgemisch explosiv.
Der Einsatz von Defibrillatoren in dieser Umgebung ist eine schlechte Idee. Auch sonst ist die Ausrüstung im Rettungsdienst kaum Ex-geschützt, also vor Funkenbildung abgesichert (Metallkoffer, Funkgeräte und vieles mehr).
Die meisten Bestandteile von Biogas gelten als Atemgifte. So auch Methan, wenngleich es für die Gesundheit nur deswegen gefährlich ist, weil es zumindest in geschlossenen Räumen Sauerstoff verdrängt und so Bewusstlosigkeit und Erstickung drohen.
Ähnlich ist es mit dem Kohlendioxid (CO2), das als Abfallprodukt in der Biogasproduktion etwa 25 bis 45 Prozent ausmacht (Notarzt 2013; 29: 3-7).
Da es im Gegensatz zu Methan allerdings schwerer ist als Luft, sammelt es sich auch im Freien am Boden und kann in hohen Konzentrationen immer noch gefährlich sein.
An die Dekontamination denken
Der eigentlich gefährliche Bestandteil von Biogas ist jedoch Schwefelwasserstoff (H2S). Obwohl er weniger als ein Prozent am Biogas ausmacht, sind schon geringste Konzentrationen hochtoxisch.
Der Vorteil: In geringen Konzentrationen bis 200 ppm lässt sich Schwefelwasserstoff an dem typischen Geruch wahrnehmen - es stinkt schweflig-stechend nach faulen Eiern.
In höheren Konzentrationen betäubt der Stoff bereits den N. olfactorius, weswegen er dann nicht mehr gerochen werden kann. Unangenehm wird H2S deswegen, weil es sowohl über die Atmung aber auch über Haut und Augen aufgenommen wird.
Dort entfaltet das entstehende Sulfat seine Reizwirkung. In höheren Dosen blockiert es die Cytochrom-c-Oxidase in der mitochondrialen Atmungskette.
Außerdem wirkt es als Nervengift direkt lähmend. Bereits ab geringen Dosen von 50 ppm treten Reizungen der Augen und Atemwege auf. Auf 500 ppm besteht die Gefahr der Atemdepression und eines Lungenödems. Spätestens 1000 ppm führen zur sofortigen Bewusstlosigkeit und einem Tod binnen weniger Minuten.
Notärzte und Einsatzkräfte sollten diese Gefahren daher vor Augen haben, wenn sie zu einer Biogasanlage gerufen werden, wünscht sich Wirtz.
Und sie sollten an ihren Eigenschutz denken: Verwundete müssen womöglich erst entkleidet und dekontaminiert werden. Denn Schwefelwasserstoff hängt noch deutlich nach der Exposition in der Kleidung der Betroffenen.