Diabetes
Dosierte Bewegung auf Rezept hält Blutzucker in Schach
In der nächsten Dekade wird sich die Zahl der Diabetes-Kranken in Deutschland verdoppeln. Dabei ließe sich dies vergleichsweise kostengünstig verhindern.
Veröffentlicht:GIEßEN. Man führe sich das noch einmal vor Augen: Zehn Prozent der deutschen Bevölkerung, also acht Mal so viel wie Köln Einwohner hat, sind diabeteskrank; jedes Jahr kommen 300.000 neue Diabetiker hinzu - das ist einmal Münster - und in zehn Jahren wird sich die Zahl der Betroffenen wahrscheinlich verdoppelt haben.
Das wäre dann etwa fünf Mal die Bevölkerung Berlins! Zwei Maßnahmen würden helfen, diese Epidemie einzudämmen: gesunde Ernährung und regelmäßige körperliche Aktivität.
"Schon eine einzige akute körperliche Belastung ist ausreichend, um eine Veränderung der peripheren Insulinresistenz zu erzielen", erklärt Professor Frank C. Mooren, Sportmediziner an der Universität Gießen in der Zeitschrift "Klinikarzt" (2013; 42: 406).
Denn molekulare Veränderungen infolge der Belastung erleichtern die Diffusion von Glukose in die Muskelzelle, die Insulinsensitivität wird also verbessert.
Inzwischen ist bekannt, dass dieser Effekt noch bis zu 72 Stunden nach der Belastung anhalten kann. Es gilt als gesichert, dass sportliche Aktivität vorbeugende oder zumindest verzögernde Wirkung auf den Ausbruch der Diabetes-Erkrankung hat.
Und es sei bemerkenswert, so Mooren, dass medikamentöse Präventionsansätze bei Menschen mit Prädiabetes der reinen Lebensstiländerung unterlegen zu sein scheinen.
Sport senkt den HbA1c-Wert
Wenn also Sport ein so effektives Therapeutikum zur Glukosekontrolle ist, sollte er auch ein Grundpfeiler der Behandlung bei Diabetes sein. In mehreren Metaanalysen kamen die Autoren konsistent zum Schluss: Sport senkt den HbA1c-Wert. Investiert werden müssen dafür mindestens zwei bis drei Trainingseinheiten mit insgesamt 2,5 Stunden pro Woche.
Nach etwa 20 Wochen ist dann ein signifikanter HbA1c-Abfall messbar, und zwar mit einer Effektgröße, wie man sie aus pharmakologischen Interventionsstudien kennt. Mit einem Unterschied: Unter pharmakologischer Therapie nimmt das Körpergewicht meist weiter zu, mit Sport nicht.
Sport macht die Patienten fitter als zuvor, leistungsfähiger, die maximale Sauerstoffaufnahme steigt - mit allen günstigen Folgen für das Herzkreislauf-System und andere Organe.
Ausdauer- und Krafttraining effektiv
Klar ist mittlerweile auch, dass allein die Empfehlung, sich doch bitte mehr zu bewegen, nicht ausreicht. "Wie bei einem Pharmakon sollte auch die Sport- und Bewegungstherapie hinsichtlich verschiedener Parameter entsprechend dosiert werden", meint Mooren. Diese Parameter sind die Sportart, der Umfang und die Intensität des Trainings.
Ausdauertraining erhöht den Kalorienumsatz und verbessert die kardiovaskuläre Funktion. Krafttraining erhöht die Muskelkraft und vermehrt die Muskelmasse mit entsprechenden Auswirkungen auf den Glukosestoffwechsel.
Für beide Trainingsformen liegen Wirksamkeitsbelege vor, ein synergistischer Effekt bei kombiniertem Ausdauer- und Krafttraining ist offenbar nicht zu erzielen. Geeignete Ausdauersportarten sind Wandern, Joggen, Radfahren, Nordic Walking, Skilanglauf und Schwimmen. Als Krafttraining kommen zum Beispiel Rudern oder gerätegestütztes Krafttraining in Frage.
Das Training sollte auf jeden Fall strukturiert erfolgen, weil sonst keine deutlichen Verbesserungen der Blutzuckerwerte wahrscheinlich sind, am besten in Verbindung mit einem Diätprogramm. Sind nur niedrige Trainingsintensitäten möglich, kann das mit verlängerter Trainingszeit ausgeglichen werden.
Der effektive Intensitätsbereich liegt zwischen 50 und 75 Prozent der maximalen Sauerstoffaufnahme, wobei initial mit geringen Belastungen begonnen wird, entsprechend dem zuvor diagnostizierten Leistungszustand des Patienten, um dann den Umfang und die Trainingsintensität allmählich zu steigern.
Mooren: "Vor allem beim Krafttraining ist auf eine sehr gute Anleitung und Schulung zu achten." Überhaupt soll anfangs das Training überwacht und der Patient angeleitet werden, seine Medikation auf die körperliche Aktivität abzustimmen.
Motivation und Selbstkontrolle sind für nachhaltige Änderungen des Lebensstils wichtig. Schrittzähler haben sich dabei als sinnvoll erwiesen: 10.000 Schritte pro Tag wären ein ideales Ziel, schreibt Dr. Wolf-Rüdiger Klare vom Diabeteszentrum in Radolfzell im Buch "Bewegungstherapie bei internistischen Erkrankungen" (Springer-Verlag 2010).
"Ein kleiner Vorrat solcher Geräte zum Ausleihen sollte in jeder Praxis vorhanden sein", so Klare. Für Patienten beeindruckend sind außerdem vergleichende Blutzuckermessungen, zum Beispiel vor und nach einem halbstündigen Spaziergang, wie es die DiSko-Projektgruppe der Arbeitsgemeinschaft "Diabetes & Sport" der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG) praktiziert hat.
Am Ende entsprechender Schulungen formulieren die Teilnehmer schriftlich individuelle Ziele. Deren Umsetzung wird später in der Sprechstunde beim Hausarzt überprüft. Bereits mit einer solchen, einmaligen Intervention lässt sich die körperliche Leistungsfähigkeit messbar steigern.