Geschrumpfter Hippocampus

Ein Glas Wein am Abend schädlich fürs Gehirn?

Wer regelmäßig jeden Abend ein Glas Wein oder eine Flasche Bier trinkt, muss nach 30 Jahren verstärkt mit kognitiven Problemen rechnen. So leidet mitunter das lexikalische Gedächtnis, und auch der Hippocampus ist kleiner als bei Abstinenzlern.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Haben kleine Mengen gravierende Auswirkungen auf das Gehirn.

Haben kleine Mengen gravierende Auswirkungen auf das Gehirn.

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OXFORD. Ist ein Bier oder ein Glas Wein am Abend schädlich, gesundheitsförderlich oder weder noch? Seit mehr als 100 Jahren wird darüber diskutiert, ohne dass sich eine Lösung der Frage abzeichnet.

Randomisiert-kontrollierte Studien sind praktisch nicht möglich, und Beobachtungsstudien basieren auf den wenig vertrauenswürdigen Angaben von Personen zu ihrem Alkoholkonsum. Aus den hunderten von Studien zu diesem Thema kristallisiert sich letztlich aber ein U-Kurven-Effekt heraus.

 Danach wäre ein moderater Konsum eher gesundheitsfördernd mit einem reduzierten Risiko für Demenzen und kardiovaskuläre Erkrankungen, erst über einer Dosis von 20–25 g am Tag, was einem gut gefüllten Glas Wein oder einem halben Liter Bier entspricht, scheint der Nutzen in einen Schaden überzugehen. Die meisten Richtlinien zum Alkoholkonsum orientieren sich mittlerweile an dieser Marke für Männer, bei Frauen sollte es ein Drittel bis die Hälfte weniger sein, dann gilt der Alkoholkonsum noch als sicher.

Dosisabhängige Schädigung des Hippocampus

Diese Auffassung wird nun von einer aktuellen britischen Untersuchung infrage gestellt. Sie sieht eine dosisabhängige Schädigung des Hippocampus und der weißen Substanz auch bei regelmäßigem niedrigem Alkoholkonsum. Und diese Schäden werden nicht nur in der Bildgebung sichtbar, sie führen offenbar auch zu einem schnelleren kognitiven Abbau – zumindest beim lexikalischen Gedächtnis.

Die Studienautoren um Dr. Anya Topiwala von der Universität in Oxford befürworten daher eine Absenkung der Grenzwerte für sicheres Trinken auf 16 g Alkohol pro Tag, wie sie vor kurzem in Großbritannien erfolgt ist. Ferner sehen sie im Alkoholkonsum einen modifizierbaren Risikofaktor für die kognitive Gesundheit, der im mittleren Lebensalter angegangen werden muss.

 „Primärpräventive Interventionen in späteren Lebensphasen könnten zu spät kommen“, schreiben sie. Ihre Schlussfolgerungen basieren auf einer Analyse von 527 Teilnehmern der Whitehall-II-Kohortenstudie. Diese waren in den Jahren 2012 bis 2015 von den noch verbliebenen Studienteilnehmern repräsentativ ausgewählt worden, um das Gehirn per MRT und Diffusionsbildgebung (DTI) zu untersuchen.

Whitehall II begann 1985 in London mit rund 10.000 Beamten und öffentlich Angestellten mit dem Ziel, die Auswirkungen von Stress, Lebensstil und sozioökonomischem Status auf die kardiovaskuläre Gesundheit zu prüfen.

Dabei wurde alle fünf Jahre auch der Alkoholkonsum abgefragt. Zu Beginn der Studie waren die Teilnehmer im Mittel 43 Jahre alt, bei der Hirnbildgebung rund 30 Jahre älter. Keiner der 527 Teilnehmer mit MRT und DTI war alkoholkrank, aber 99 (19%) von ihnen frönten einem als riskant definierten Alkoholkonsum mit mehr als 168 g (Männer) oder mehr als 112 g pro Woche (Frauen). Sie tranken wöchentlich also mehr als die Alkoholmenge von acht Flaschen Bier (Männer) bzw. sechs Flaschen Bier (Frauen).

Die riskanten Trinker waren rund fünffach häufiger Raucher (11,1 versus 2,6%), hatten einen etwas höheren Framingham-Score und einen etwas geringeren sozioökonomischen Status als die übrigen Teilnehmer, aber auch einen geringfügig höheren IQ zum Studienbeginn.

Im Schnitt lag der angegebene wöchentliche Alkoholkonsum bei 86 g (Männer) und 51 g (Frauen) und änderte sich bei den einzelnen Teilnehmern über die 30 Jahre hinweg kaum. Die MRT-Untersuchungen zeigten mit steigender Dosis eine abnehmende Dichte der grauen Substanz vor allem im Hippocampus und in Teilen der Amygdala – selbst unter Berücksichtigung von Begleitfaktoren wie Rauchen, körperliche Aktivität, IQ zu Studienbeginn, sozialer Schicht oder Framingham Score.

 Entsprechend wurde der Hippocampus bei höherem Alkoholkonsum häufiger als abnorm atroph beurteilt als bei Abstinenzlern. So stellten die Forscher um Topiwala bei einem Konsum von über 240 g Alkohol pro Woche (Männer und Frauen) 5,8-fach häufiger eine Atrophie fest als bei Abstinenzlern, doch auch bei Werten zwischen 56 und 112 g ergab sich eine signifikante 3,4-fach erhöhte Rate (odds ratio) für einen abnorm geschrumpften Hippocampus.

Solche Teilnehmer konsumierten nach eigenen Angaben eine Alkoholmenge, die lediglich drei bis sechs Flaschen Bier in der Woche entspricht. Frontale Hirnregionen, die als besonders alkoholempfindlich gelten, waren jedoch nicht betroffen. Als signifikant erwies sich der Zusammenhang zwischen Hippocampusatrophie und Alkoholkonsum nur bei Männern, was an der relativ geringen Zahl der Frauen mit moderatem bis hohem Alkoholkonsum gelegen haben könnte. Die DTI-Analyse ergab Hinweise auf mikrostrukturelle Schädigungen vor allem im vorderen Corpus callosum.

Kaum Unterschiede bei der kognitiven Leistung

Bei einer Reihe kognitiver Tests gab es in der letzten Untersuchung keine Unterschiede zwischen Personen mit hohem Alkoholkonsum und Abstinenzlern. Allerdings war das Ausgangsniveau bei den Freunden eines guten Tropfens deutlich höher als bei den Alkoholverächtern, im Umkehrschluss heißt das, Erstere hatten deutlich stärker abgebaut.

Ein signifikant stärkerer geistiger Abbau ließ sich jedoch nur für das lexikalische Gedächtnis nachweisen. Sollten die Teilnehmer innerhalb einer Minute möglichst viele Worte aufzählen, die mit A beginnen, gelang dies den Alkoholfreunden zum Studienbeginn besser als den Abstinenzlern, zum Studienende jedoch nicht mehr.

Bei semantischen Tests (etwa möglichst viele Tierarten in einer Minute aufzählen) und beim Kurzzeitgedächtnis (20 Wörter merken und wiederholen) fanden die Forscher jedoch keine signifikanten dosisabhängigen Unterschiede über den Zeitverlauf.

Was lässt sich nun aus diesen Daten schließen? Zunächst einmal ist die kognitive Leistung bei 30-jährigem moderatem Alkoholgenuss nicht schlechter, aber auch nicht besser als bei Abstinenzlern. Erstaunlich ist das bessere lexikalische Gedächtnis im mittleren Lebensalter bei Personen mit einem Alkoholkonsum von über 112 g/Woche. Dazu zählten immerhin rund 40% der Teilnehmer. Dafür gibt es eigentlich keine plausible Erklärung.

Die Studienautoren erwähnen jedoch einen gewissen Lerneffekt bei den kognitiven Tests über die Zeit hinweg. Möglicherweise war dieser bei Personen mit einem schlechteren Ausgangsniveau höher als bei den ohnehin schon Guten, die das Testprozedere sofort begriffen. In diesem Fall wäre der beschleunigte kognitive Abbau bei moderatem Alkoholkonsum schlicht ein Artefakt.

 Bedenklicher ist da schon die dosisabhängige Hippocampusatrophie. Ob der Hippocampus bei den Alkoholkonsumenten tatsächlich stärker geschrumpft ist als bei den Abstinenzlern, lässt sich jedoch nicht sagen, da nur eine Messung existiert – und dies ist eine der größten Schwachstellen der Studie. Vielleicht war das Hippocampusvolumen, aus welchen Gründen auch immer, schon von Studienbeginn an bei den Alkoholkonsumenten deutlich geringer.

Wie in allen solchen Studien darf zudem angezweifelt werden, dass der berichtete Alkoholkonsum mit dem tatsächlichen übereinstimmt. In der Regel wird doppelt so viel getrunken wie in Umfragen zugegeben. Letztlich bleibt die Feststellung, dass zumindest nach diesen Daten Alkohol auch in geringen bis moderaten Mengen keine positiven Auswirkungen auf das Gehirn hat. Die Frage, ab welcher Menge die Droge schadet, dürfte jedoch weiterhin Generationen von Ärzten und Forschern beschäftigen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Alkoholkonsum: Beunruhigende Resultate

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Kommentare
Jürgen Schmidt 09.06.201706:24 Uhr

Nieder mit den Prozenten !

Mit den drei Kommentatoren ist wohl fast alles zum Thema gesagt und man könnte lediglich noch die Binsenwahrheit hinzufügen, dass es mehr alte Säufer als alte Ärzte gibt.
Sorgen macht mir allerdings, dass die Weine infolge des Klimawandels und ansteigender Glucose immer alkoholhaltiger vergoren werden, und man den wirklich guten 10 %igen Rheingauer mit der Lupe suchen muss.
Wenn sich eine schlagkräftige ärztliche Truppe für eine medizinische Kampagne gegen einfallslose oder gewissenlose Winzer bilden könnte, sollte die Ärztezeitung als Sponsor auftreten

Thomas Georg Schätzler 08.06.201717:24 Uhr

Danke an Dr. med. Johannes Scholl für die Klarstellung!

Die Whitehall II Studie begann 1985 in London mit rund 10.000 Beamten und öffentlich Angestellten mit dem Ziel, die Auswirkungen von Stress, Lebensstil und sozioökonomischem Status auf die kardiovaskuläre Gesundheit zu prüfen. Alle fünf Jahre wurde der Alkoholkonsum abgefragt. Zu Beginn der Studie waren die Teilnehmer im Mittel 43 Jahre alt.

Bei der Hirn-Bildgebung war das Studienkollektiv im Durchschnitt rund 30 Jahre älter, also 73 Jahre alt. Doch wie will man festgestellt bzw. ausgeschlossen haben, dass kein einziger der 527 Teilnehmer mit MRT und DTI nicht doch alkoholkrank war? Verglichen mit meinem Patientenkollektiv wäre das statistisch gar nicht möglich!

Immerhin 19% hatten einen als riskant definierten Alkoholkonsum mit m e h r als 168 g (Männer) oder m e h r als 112 g reinem Alkohol pro Woche (Frauen). Sie tranken also auf der nach oben offenen Promille-Skala wöchentlich wesentlich mehr als z.B. acht Flaschen Bier (Männer) bzw. sechs Flaschen Bier (Frauen) und waren damit durchaus als alkoholabhängig einzustufen.

Riskante Trinker waren rund fünffach häufiger Raucher (11,1 versus 2,6%), hatten einen etwas höheren Framingham-Score und einen etwas geringeren sozioökonomischen Status als die übrigen Teilnehmer, aber auch einen geringfügig höheren IQ zum Studienbeginn, heißt es hier in der Ärzte Zeitung.

Ein Herunterrechnen von exzessivem Alkohol-Konsum und kardiovaskulären bzw. ZNS-Risiken auf moderate Trinkgewohnheiten und eine ebensolche Gefährdung dadurch, ist pseudowissenschaftlicher Unsinn. Es sei denn, man wolle nicht von einem "break-even-point", sondern von einer linearen Dosis-Wirkungs-Kurve (engl. Linear no-threshold model, abgekürzt LNT) ohne Schwellenwert und somit einem Schädigungspotential auch bei beliebig niedrigen Alkohol-Dosen ausgehen.

Dafür gibt es aber in der Literatur keine Anhaltspunkte: Leben und totale Abstinenz gefährden ebenso die Gesundheit wie moderater Wein- oder Bierkonsum. Und kein Alkohol ist auch keine Lösung!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Horst Grünwoldt 08.06.201714:24 Uhr

Alkoholsaufen und Trinken

C2H5OH dürfte -neben Glukose- die am leichtesten und schnellsten im menschlichen Körper energetisch zu metabolisierende, oral zugeführte Substanz sein!
Dabei ist -wenn man von Alkohol als Wirkstoff sprechen will- die aufgenommene Konzentration in der wässrigen und ggf.fettlöslichen Form von entscheidender Bedeutung für die potentiell schädlichen Folgen beim Abusus!!
Kürzlich hat eine Tagesschau-Sprecherin verkündet: Im Jahre 2016 wurden in D pro Kopf jeweils 9 Liter "reinen" Alkohol konsumiert...
Natürlich hat niemand das "reine" Destillat sich in die Kehle geschüttet! Die verkündete Mengenangabe ist somit großer Unsinn. (s.a. die alltäglichen, summierten Gramm-Alkohol-Angaben!)
Schließlich ist es pharmakokinetisch ein immenser Unterschied, ob ich die wässrigen alkoholischen Verdünnungen von 5%igem Bier, 13%igen Wein oder das ü 40%ige Konzentrat (Schnaps und Koll.) in meinem Körpersystem anfluten lasse. Letzteres wird wg. der einfachen Molekular-Struktur und akuten Dosis auch rasch das Gehirn erreichen, und bei hinreichender Trink- oder Sauf-Übung seine, -nicht nur vorübergehend betäubende-, organschädigende Wirkung hinterlassen.
Wohingegen die alkoholhaltigen Durstlöscher oder Genußmittel, zumal im gestreckten Nahrungsbrei, in ihren Verdünnungen alsbald in der gesunden Leber der Energiegewinnung zugeführt und unschädlich beseitigt werden. Sodaß es zu einer toxischen Kumulation -wie mit zahlreichen, synthetischen Pharmaka in der Überdosierung- im Blutkreislauf und Organsystemen erst gar nicht kommen kann.
Es sei denn, man konsumiert die auch alltäglich in Übermengen ohne weitere Nahrungsaufnahme bis zum Erbrechen, wie mir das als Student ein einziges Mal im Leben nach dem Gewinn eines Vaterschafts-Prozesses mit nächtlichem Bier-Komasaufen in fröhlicher Runde passiert ist; und das auf nüchternen Magen, bis die M-D-Schleimhäute mit dem Gerstensaft völlig abgespült waren.
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt, Rostock

Johannes Scholl 08.06.201707:40 Uhr

Briten saufen - Franzosen trinken

In England möchte man - auch mit Hilfe neu interpretierter, alter Studien die Botschaft an die Bevölkerung senden: Sauft weniger! Das ist durchaus legitim, wenn ich mich an meine Zeit als Medizinstudent in England erinnere.

Der entscheidende Fehler in der Interpretation dieser Studie wird allerdings von allen Kommentatoren übersehen: Erfasst wurde in der Whitehall-Studie der Alkoholkonsum PRO WOCHE! Das ist etwas völlig anderes als die Erfassung der Alkoholmenge pro Anlass und pro Tag. Man darf das dann nicht einfach umrechnen, wenn man nicht weiß, wie sich der Alkoholkonsum über die 7 Tage der Woche verteilt.

Während die Franzosen (und vermutlich allgemein die Weintrinker) den Alkoholkonsum ganz regelmäßig über die Woche verteilen und dazu zum Essen trinken, ist schon lange bekannt (Marques-Vidal, P et al.; Eur J Clin Nutr 2000; 54: 321-328), dass die Briten den größten Teil ihres Wochenkonsums von Freitag bis Sonntag in sich hineinschütten - eher nicht von gutem Essen begleitet.

Dass dies einen enormen Unterschied für mögliche Folgeerkrankungen machen könnte, sollte man bedenken! Alle Studien, die den Alkoholkonsum wie die SUN-Study detailliert erfassen (zum Essen/auf nüchternen Magen, wieviel pro Anlass, wie häufig pro Woche, Wein, Bier, Spirituosen?) zeigen einen Vorteil für den regelmäßigen, moderaten Weingenuss zum Essen. (Gea A, Estruch R et. al., British Journal of Nutrition 2014, doi:10.1017/S0007114513004376)

Sämtliche aus dieser aktuellen epidemiologischen Studie abgeleiteten Schlussfolgerungen zum Alkoholkonsum "hinken" jedoch aufgrund der mangelhaften Datenerhebung zum Alkohol. Sie sind deshalb in dieser Hinsicht nichts wert, sondern pure Spekulation.

Die exzentrischen Briten sollten uns in mancher Hinsicht besser kein Vorbild sein - nicht nur nicht bei ihren Saufgewohnheiten!

Dr. med. Johannes Scholl
1. Vorsitzender der Deutschen Akademie für Präventivmedizin e.V.
www.akaprev.de

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